Briefkolumne

Sorgt die Energiekrise für einen harten Winter des Verzichts? Unsere Brieffreunde machen sich Gedanken, was bei knappen Ressourcen hilft.

Illustrierte Briefmarken von Dirk Gieselmann und Colombe Pringle
Illustration: Elisabeth Moch

 

Liebe Colombe,

der Schriftsteller Thomas Bernhard sagte, auf seinen Debütroman blickend: „Den ,Frost‘ habe ich in der Badehose geschrieben.“ Mir geht es gerade ähnlich: Bei immer noch milden Temperaturen denke ich darüber nach, ob wir im Winter frieren werden, weil wir die Heizungen drosseln müssen. Der Krieg in der Ukraine betrifft uns, die wir in Frieden leben dürfen, bislang nur mittelbar. Wir spüren unsere Abhängigkeit vom Import fossiler Energien, vor allem Gas droht knapp zu werden. Neben Ratschlägen aus der Politik und Wirtschaft, welche Raumtemperatur hinzunehmen sei und wie warm man morgens noch duschen solle, habe ich vor allem eine Parole gehört: Es sei an der Zeit, Verzicht zu üben. Der Gedanke ist nicht rundweg falsch, dennoch wende ich mich entschieden gegen die Vokabel „Verzicht“. Denn sie suggeriert, dass die Ressourcen in Hülle und Fülle vorhanden seien und wir nur aus asketischen Gründen ihren Verbrauch reduzieren sollten – ganz so, als hielten wir eine Diät. Die Wahrheit aber ist: Wir haben auch schon vor dem Ausbruch des Kriegs weit über unsere Verhältnisse gelebt, den Planeten ausgebeutet und ihm erheblichen Schaden zugefügt. Wesentlich treffender wäre also zu sagen: Wir müssen unsere Lebensweise den Umständen anpassen. Wenn man einem Kind sagt, es solle auf Schokolade verzichten, wird ihm das denkbar schwer fallen, wenn es in der Speisekammer einen Vorrat an Süßem vermutet. Wenn man aber sagt, dass es nur ein kleines Stück bekomme könne, weil schlichtweg nur noch sehr wenig davon im Haus sei, wird es diese Tatsache zu akzeptieren lernen. Dass ich hier – auf einen harten Winter blickend – auf Formulierungen herumreite, erscheint womöglich pedantisch. Aber ich bin überzeugt, dass Sprache unser Denken formt und unsere Handlungen bedingt. Und Du, liebe ­Colombe, frierst du schon beim Duschen?

Liebe Grüße

Dein Dirk

 

Cher Dirk,

auf den ersten Blick ist Verzicht nicht mein Ding. Als ehemals rebellische Schülerin einer Nonnenschule denke ich dabei an Keuschheitsgelübde und Opferbereitschaft und möchte sofort eine ganze Tafel Schokolade auf einmal verschlingen. In diesem Sommer hat sich angesichts der kataklysmischen Hitze aber auch bei mir eine Philosophie der kleinen Gesten durchgesetzt. Gemeint sind tugendhafte Tricks – etwa das Pinkeln in der Dusche, um die sechs Liter der Toilettenspülung einzusparen. Als die Schauspielerin ­Jane ­Fonda bei den mehrwöchigen Klimaprotesten in Washington immer wieder mit einem auffälligen roten Mantel auftrat, erklärte sie ihn zu ihrem letzten Kauf, um daran zu erinnern, dass die Textilindustrie zu den größten Umweltsündern zählt. Auch so eine gute Geste. Aber solange wir uns nicht gemeinsam dazu aufraffen, mit dem exzessiven Shoppen aufzuhören, ist das dem Planeten egal. Laut einer Studie der französischen Plattform ­Carbone 4 kann nur ein Viertel der Herausforderungen zur Bekämpfung der globalen Erwärmung durch individuelle Anstrengungen bewältigt werden. Kollektive Veränderungen – etwa eine Geschwindigkeitsreduzierung auf der Autobahn oder die Besteuerung der CO₂-Emissionen von Flügen mit Privatjets – lassen sich politisch jedoch in der Regel nicht durchsetzen. Nächsten Monat findet in Katar, dem Land mit dem weltweit höchsten CO₂-Ausstoß pro Kopf (32,5 Tonnen), die Fußballweltmeisterschaft in zwölf Freiluftstadien statt. Rund 6.500 Migranten sollen laut Schätzungen von NGOs während der Bauarbeiten unter schändlichen Bedingungen ihr Leben verloren haben. Was können wir angesichts dieses menschlichen und ökologischen Skandals tun, während Fußballspieler und WM-Gäste sich von energiefressenden Klimaanlagen kühlen lassen? Klar, den Fernseher ausschalten! Auch nur ein Tropfen in der heißen Wüste, wirst Du mir sagen? Wie mein Pipi unter der Dusche. Irgendwo muss man eben anfangen.

Herzliche Grüße

Colombe