James Lovelock hatte eine Vision: Schon als kleiner Junge träumte der Wissenschaftler von einer Welt, die im natürlichen Gleichgewicht ist. 1972, als er längst als Chemiker und Biophysiker arbeitete, formulierte er gemeinsam mit der Mikrobiologin Lynn Margulis die sogenannte Gaia-Hypothese. Sie besagt, dass sich die Erde – mitsamt ihrer Biosphäre – wie ein lebender Organismus verhält, der danach strebt, sich selbst zu regulieren. So bahnbrechend diese Annahme wirkt – in der Wissenschaftsgemeinde ist sie bis heute umstritten und wird mitunter als esoterisch und versponnen kritisiert. Dabei bot die Hypothese eine gedankliche Grundlage für das von dem britischen Wirtschaftswissenschaftler David W. Pearce in den 1990er Jahren entwickelte Konzept der Kreislaufwirtschaft: eine innovative Idee für ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem Rohstoffe endlos wiederverwendet werden können und in dem kein Abfall produziert wird. Klingt utopisch?
Dass die derzeit praktizierte Linearwirtschaft, auch Wegwerfwirtschaft genannt, angesichts der drohenden Klimakatastrophe überwunden werden muss, ist inzwischen wissenschaftlicher Konsens und wird auch politisch verstärkt gefördert. Besonders die Gewinnung und Verwendung von fossilen Rohstoffen hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Umwelt: Sie erhöht den Energieverbrauch und die CO₂-Emissionen und trägt somit zur Erderwärmung bei. Die Folgen des Klimawandels – Überschwemmungen, Waldbrände, Hunger – zeigen: Ein tief greifender Systemwandel ist nötig.
Forscherinnen wie Christina Dornack, Direktorin des Instituts für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der Technischen Universität Dresden, arbeiten deshalb an neuen Formen der Energiegewinnung und Ressourcennutzung. „Wir müssen Europas massive Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden. Der Krieg in der Ukraine macht uns das besonders schmerzhaft bewusst“, sagt die Professorin. An der TU wird vor diesem Hintergrund zu Ersatzbrennstoffen geforscht, die aus Holzabfällen oder Klärschlamm, aus Fetten, Lackresten oder alten Autoreifen, also letztlich aus Müll, gewonnen werden können.
Der Energiesektor ist jedoch nur eines der Felder, für das die Kreislaufwirtschaft wichtige Konzepte gegen die Folgen des Klimawandels bereithält. Dornack treibt derzeit besonders das Thema Abfallwirtschaft um: „Allein der Abfallsektor trägt schon rund fünf Prozent zu den weltweiten Emissionen bei. Durch eine bessere Verwertung und Entsorgung könnten wir enorm viel einsparen“, betont sie. Insbesondere Elektroschrott würde auch in Deutschland noch zu wenig recycelt, obwohl sich rund 80 Prozent der Gerätebestandteile, wie Kupfer und Silber, wiederverwerten ließen. Hier fehle es am Willen von Industrie und Politik.
Dabei könnten schon vermeintlich kleine Änderungen einen Unterschied machen: etwa die Entwicklung einheitlicher Ladegeräte für Elektrogeräte oder das bisher wenig genutzte Modell, Smartphones oder Laptops nach Bedarf zu leihen oder zu teilen, statt sie wie bisher zu besitzen. „Diese Geräte werden von den Verbrauchern bisher zu kurz genutzt“, moniert Dornack. „Die Abfallwirtschaft ist ein komplexes Zusammenspiel von Politik, Industrie und Konsumenten. Letzlich sind wir da als Weltgemeinschaft gefordert. Wir alle müssen unseren Lebensstil ändern, um wirklich etwas zu bewegen“, sagt die Wissenschaftlerin.
Ökologische Lebenskunst
Dornack ist überzeugt, dass abgesehen vom notwendigen Umbau des Wirtschaftssystems auch kleine Veränderungen wichtige, positive Effekte erzielen: „Trends wie das Upcycling alter Möbel, Secondhand-Kleidung oder das Verteilen von überschüssigen Lebensmitteln sollten wir ernst nehmen und viel stärker fördern. Gerade unter jungen Menschen sehe ich viel Bereitschaft, neue Formen des nachhaltigen Konsums auszuprobieren. Das ist toll! Ich setze große Hoffnungen in die junge Generation.“
Auch Vordenker James Lovelock hatte mit seiner Gaia–Hypothese ein Gesellschaftsmodell im Sinn, das die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Organismen und die vielfältigen biologischen Prozesse berücksichtigt: Statt die Erde wie einen toten Gesteinsbrocken zu behandeln, müsse der Mensch sich ihren natürlichen Kreisläufen anpassen und sich als Teil davon begreifen, forderte Lovelock. Er sprach in diesem Zusammenhang von „ökologischer Lebenskunst“. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft überträgt seine Utopie auf konkrete Probleme unserer Zeit – und rettet die Gaia–Hypothese überdies vor der von Lovelock zeitlebens abgelehnten esoterischen Verklärung.