»Ich stehe für etwas«

Eine moderne Odyssee. Eine Reise in die Vergangenheit. Seit Eugene Boateng für „Borga“ mit dem Deutschen Schauspielpreis ausgezeichnet wurde, gilt er als Mann des Moments.

Porträt Eugene Boateng
Foto: Daniel Hofer für ARTE Magazin

Als Kind schleppte Eugene Boateng seine Geschwister mit Vorliebe ins Kino. Auch wenn sich deren Begeisterung in Grenzen hielt: Auf ihn übten der dunkle Saal, die bombastische Atmosphäre eine besondere Anziehungskraft aus. Inzwischen ist Boateng selbst Schauspieler. Den Durchbruch schaffte er 2021 mit dem Film „Borga“ von York-­Fabian ­Raabe, den ARTE im September zeigt. Es ist eine Geschichte über einen Mann zwischen einigen Stühlen: Als „Borga“ bezeichnet man in Ghana Menschen, die es im Westen zu Wohlstand gebracht haben – oder zumindest so tun. Boateng verkörpert Kojo, der die Schrotthalden von Accra hinter sich lässt, um nach Deutschland zu reisen. Dort will er das große Geld machen, was, wie es in der Natur des Dramas liegt, einfacher beschlossen als umgesetzt ist. Für seine Darstellung gewann Boateng diverse Auszeichnungen, unter anderem den Deutschen Schauspielpreis. Für ihn birgt der Film auch eine persönliche Historie, denn seine Familie stammt aus dem westafrikanischen Land. Er selbst wurde in Düsseldorf geboren, fing mit 19 Jahren an, professionell zu tanzen. Er wirkte in Musikvideos mit, ging mit ­Beyoncé auf Tour. Später spielte er in der Verfilmung von Benedict Wells’ „Becks letzter Sommer“. In „­Borga“ fand Boateng schließlich eine Geschichte mit Star-Appeal: äußerst spezifisch und zugleich von globaler Tragweite.

Sendungsbild mit Eugene Boateng
Borga: Wo winkt das gute Leben? In Ghana verdient Kojo (Eugene Boateng) sein Geld damit, auf einer Mülldeponie westlichen Metallschrott zu verbrennen. Er träumt von einer besseren Zukunft. Doch die ist auch in Deutschland nicht leicht zu haben. Foto: Chromosom FILM / SWR1

arte Magazin Herr Boateng, es heißt, Sie hätten das Drehbuch für „Borga“ beinahe ignoriert. Woran lag es?

Eugene Boateng Ich steckte damals in einer kleinen Krise. Es flatterten nur Klischeeangebote herein, die klassischen Stereotype: Rollen als Drogendealer etwa. Das sind nicht die Geschichten, die ich erzählen möchte. Als Kind habe ich mich geschämt, wenn ich Schwarze auf der Leinwand sah, die überhaupt nicht das repräsentiert haben, wofür Menschen wie ich stehen. Ich war so frustriert, dass ich die Anfrage kaum beachtet habe. Weil ich dachte: Das ist bestimmt wieder Quatsch.

arte Magazin Was hat Sie vom Gegenteil überzeugt?

Eugene Boateng Dass diese Geschichte aus einer schwarzen, aus einer afrikanischen Perspektive erzählt wird. Das hat es in Deutschland noch nie gegeben. Es ist eine Heldenreise. Vom Tellerwäscher zum Millionär – und zurück. Sie hat mich auch an die Geschichte meines Vaters erinnert. Die wollte ich immer erzählen.

arte Magazin Um Drogen geht es dennoch in „Borga“.

Eugene Boateng Aber sie sind nur ein kleiner Aspekt einer mehrdimensionalen Erzählung. In erster Linie geht es um einen Menschen, der nach Glück und finanzieller Stabilität für seine Familie sucht. Nach Erfolg, Liebe. Und in verzweifelten Momenten zu Mitteln greift, die nicht für jedermann sind.

arte Magazin Die Geschichte beginnt in Accra, wo Ihre Figur Kojo auf einer riesigen Mülldeponie Altmetall einschmilzt. Ein dystopisches Szenario.

Eugene Boateng Das ist Agbogbloshie, in Ghana bekannt als „Sodom und Gomorra“. Inzwischen gibt es die Deponie nicht mehr, man hat sie eingeebnet. Doch bis vor Kurzem landete dort der Elektroschrott der westlichen Welt. Es war ein Ort, an dem Menschen wohnten, die versuchten, das Beste aus ihrem Leben zu machen, aber ganz unten waren. Sie brannten das Metall aus den alten Geräten, dann wurde es aufbereitet und wieder zurück in den Westen geschickt.

arte Magazin Wo sind diese Menschen jetzt?

Eugene Boateng Manche sind in der Umgebung geblieben, man hat ihnen Wohnungen gestellt. Viele haben einfach keinen Ort mehr. Sie sind von überallher gekommen, um auf der Deponie zu arbeiten. Gleich nebenan lag ein riesiger Zwiebelmarkt, dahinter ein Wohngebiet. Jetzt ist dort alles platt.

Borga

Drama

Mittwoch, 14.9. — 22.15 Uhr

bis 13.10. in der Mediathek

Porträt von Eugene Boateng mit Pizza
Foto: Daniel Hofer für ARTE Magazin

arte Magazin Kojo geht schließlich nach Deutschland, kommt als vermeintlich wohlhabender Mann zurück: als „Borga“. Sollte man diesen Begriff eher positiv oder negativ verstehen?

Eugene Boateng Er ist ambivalent. Einige glauben: Ein Borga bringt Geld mit, das bedeutet Spaß für alle. Zugleich ist der Heimkehrer etwas verrufen, weil die Menschen wissen, dass er gar nicht so viel Geld hat, wie er behauptet. Man nimmt ihn nicht ganz ernst. Meinen Eltern gefiel diese Bezeichnung noch, in meiner Generation will man nicht mehr als Borga gelten.

arte Magazin Im Film sind die Erwartungen aus der Heimat riesig, Kojo riskiert entsprechend viel.

Eugene Boateng Tatsächlich lassen viele Familien aus Ghana eine Person in den Westen ziehen, in der Hoffnung, dass die es dort packt und sich um den Rest kümmert. Manchmal geben Familienmitglieder Geld für die Reise – das gilt als Investition. Im Westen merken die Neuankömmlinge dann, dass sie gar nicht arbeiten dürfen. Die Familie wartet trotzdem auf das Geld. Also schlagen sich viele durch, putzen oder spülen in Restaurants Teller. Unsere Eltern konnten ihren Familien nicht die Wahrheit sagen, weil der Druck so groß war. Wenn sie mit uns Kindern nach Ghana gereist sind, haben sie auch ein bisschen Show gemacht. Das hat die Illusion aufrechterhalten.

arte Magazin Hätte man den Film konsequenterweise mit einem Regisseur aus Ghana drehen müssen?

Eugene Boateng Das sehe ich nicht so. Unser Regisseur, York-­Fabian ­Raabe, und ich haben uns komplett auf Augenhöhe getroffen. Alles, was mit Ghana zu tun hatte, habe ich beigesteuert, damit es so authentisch wie möglich ist. Ich wollte unbedingt auf Twi drehen, einer der meistgesprochenen Sprachen des Landes. Also habe ich das Drehbuch übersetzt und es auch inhaltlich angepasst. Respekt ist zum Beispiel ein Riesenthema in Ghana. Ich würde meinem Bruder im Streit nie Schimpfwörter an den Kopf werfen. Solche Dinge mussten berücksichtigt werden.

arte Magazin Sie sind in Düsseldorf geboren und dort in einer Straße aufgewachsen, die für ihre Hausbesetzer bekannt ist. Wie hat Sie das geprägt?

Eugene Boateng Damals war das für mich eine Gegend für arme Menschen, was ich heute anders sehe. Es gab dort viele Ghanaer, aber auch Marokkaner, Albaner, Griechen, Türken. Und Punks, die linke Szene. Die wohnten ab Hausnummer zehn. Es war wie auf dem Dorf. Wenn wir gesehen haben, dass die Mutter eines Freundes vom Einkaufen kam, sind wir runtergelaufen und haben die Tüten getragen.

arte Magazin Das klingt regelrecht idyllisch.

Eugene Boateng Natürlich habe ich mitbekommen, wie die Stadt anderswo aussieht. Was es dort bedeutet, in unserem Viertel zu wohnen, aber auch schwarz zu sein. Damals dachte ich, ich will raus aus dem Ghetto. In der Schule sagten sie: Wo du wohnst, darf ich nicht hin.

Dieselben Leute, die immer alles gemacht haben, wollen jetzt auch das Diverse machen

Eugene Boateng, Schauspieler
Porträt von Eugene Boateng
Foto: Daniel Hofer für ARTE Magazin

arte Magazin Im Film gibt es eine Szene, in der sich Ihr Protagonist in einer Bar als Amerikaner vorstellt – das sei einfacher, als Afrikaner zu sein, erklärt er. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?

Eugene Boateng Das ist für mich eine sehr persönliche Sache. Als Jugendlicher habe ich mich öfter als Amerikaner ausgegeben. In der Schule lernte man: Afrika ist arm. Die coolen Schwarzen kamen aus den USA – Will Smith, ­Tupac, Nas, DMX. So wollten meine Freunde und ich auch sein. Also haben wir das Spiel mitgespielt und behauptet, wir seien aus New York. Zum Glück ändern sich solche Wahrnehmungen gerade, etwa durch den Erfolg von Afrobeat.

arte Magazin Auch beim Film schwören alle auf Diversität, bemerken Sie einen Wandel?

Eugene Boateng Ich merke vor allem, dass sehr viel darüber gesprochen wird. Es gibt eine Menge zu tun. Zum einen braucht es ein Bewusstsein für sich selbst und die eigene Herkunft. Aber auf der anderen Seite auch die Größe des Zurücktretens. Wir sprechen über Diversität, aber dann wollen dieselben Leute, die immer alles gemacht haben, jetzt auch das Diverse machen. Die kennen aber im Zweifel die Geschichten nicht, da liegt die Expertise bei anderen. Deshalb brauchen wir auch neue Leute, die das übernehmen.

arte Magazin Sie haben einmal gesagt, Sie werden nie bloß irgendein Schauspieler sein, sondern immer ein schwarzer Schauspieler. Warum ist Ihnen das wichtig?

Eugene Boateng Ich stehe für etwas. Egal, was ich mache, es fällt auf meine Leute zurück. Ich bin jemand mit einer Hautfarbe, Kultur, Identität, und das bringe ich in meine Arbeit ein. Ich möchte, dass mein Neffe sich mit meinen Figuren identifizieren kann, dass meine Nichte sich in meinen Geschichten wiederfinden kann. Jemand mit einer anderen Historie würde die gleiche Rolle ganz anders spielen. Und das ist doch eigentlich schön, weil es die Komplexität erhöht.

arte Magazin Was bedeutet Ihnen dann eine Auszeichnung wie der Deutsche Schauspielpreis?

Eugene Boateng Ich fühle mich natürlich sehr geehrt. Vor allem aber halte ich diesen Preis hoch für die nächste Generation: Sie soll bitte Gas geben.