Sie beugen sich nicht

Verhaftungen, Schauprozesse, Hinrichtungen: Obwohl das Mullah-­Regime mit brachialer Gewalt gegen sie vorgeht, kämpfen die Frauen in Iran weiter für ihre Freiheit. Unter­stützung erhalten sie vor allem von Menschen aus der Diaspora. 

Aufschrift auf Hand: Frau, Leben, Freiheit
Frau, Leben, Freiheit: Die feministische Parole, hier in persischer Sprache auf eine Handinnenfläche geschrieben, hat ihren Ursprung in der kurdischen Freiheitsbewegung. Foto: Spencer Platt/Getty Images

Ein Jahr ist es her, dass Jina Mahsa Amini in Teheran festgenommen wurde. Ihr Kopftuch habe ihr Haar nicht vorschriftsmäßig bedeckt, so der Vorwurf der iranischen Sittenpolizei. Was genau der 22-jährigen Kurdin in Polizeigewahrsam geschah, ist bis heute ungeklärt. Fest steht, dass sie kurze Zeit später ins Koma fiel und am 16. September in einer Klinik verstarb. Die ARTE-Dokumentation „Frau. Leben. Freiheit – Eine iranische Revolution“ zeigt die Proteste, die daraufhin das gesamte Land erfassten – und trotz massiver Repressalien weiter andauern. „Etwas Vergleichbares hat es in der 44-jährigen Geschichte der Islamischen Republik nicht gegeben“, sagt die deutsch-iranische Journalistin Gilda ­Sahebi. Dem ARTE Magazin erzählen sie und zwei weitere Frauen, wie sie und viele andere Exiliranerinnen den Kampf von Deutschland aus unterstützen – und was sie vom Westen erwarten.

Frau. Leben. Freiheit – Eine iranische Revolution

Gesellschaftsdoku

19.9. — 22.00 Uhr
bis 24.12. in der
Mediathek 

MEHR VORSICHT ALS STAATSPROPAGANDA

Die Revolution in Iran jährt sich – und das Regime übt weiter extremen Druck auf Demonstrierende aus, vor allem auf Frauen: Haft- und Geldstrafen werden rigoros durchgesetzt. In Deutschland hat die Aufmerksamkeit für das Thema gerade nachgelassen. Statt um Menschenrechte dreht sich die Berichterstattung fast ausschließlich um sicherheitsstrategische Fragen wie zum Beispiel das Bündnis China-Russland-Iran oder die Nuklearfrage. Die Medien lassen sich dabei stark auf das Narrativ des Regimes ein. Das geht so weit, dass Desinformationen der iranischen Behörden übernommen und verbreitet werden. Das ist bereits im vergangenen Jahr mehrfach passiert: etwa nach dem Massaker vom 30. September, bei dem iranische Polizeikräfte, Milizen und Revolutionsgarden mehr als 100 Demonstrierende und Zivilisten erschossen haben. Die DPA hat kurz darauf die Falschmeldung herausgegeben, es hätte sich bei den Getöteten um Terroristen gehandelt. Ein weiteres Beispiel ist die vermeintliche Abschaffung der Sittenpolizei in Iran, die nie stattgefunden hat. Leider gibt es in Deutschland keine medialen Folgen, wenn solche Fehler gemacht werden. Das muss sich ändern. 

Gilda Sahebi,
Journalistin und Ärztin,
dechiffriert im Podcast „Das Iran Update“ wöchentlich iranische Staatspropaganda.

 

Protest in Berlin nach Tod von Jina Mahsa Amini 2022
Nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Jahr 2022 protestierten Menschen weltweit auf den Straßen – so auch in Berlin. Foto: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa

Die westlichen Medien lassen sich stark auf das Narrativ des iranischen Regimes ein

Gilda Sahebi, Journalistin und Ärztin

GEZIELTE SANKTIONEN GEGEN DAS REGIME

Im Juni habe ich bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe Strafanzeige gegen acht hochrangige Mitglieder der iranischen Justiz und des Geheimdienstes erstattet. Ich werfe ihnen die Entführung und Misshandlung meines Vaters -Jamshid Sharmahd vor, der im August 2020 wegen regimekritischer Aussagen nach Teheran verschleppt, gefoltert und in einem Schauprozess zu Tode verurteilt wurde. Darüber hinaus will ich anhand seines Falles beweisen, dass das Regime systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt: an Dissidenten, an Journalisten und Journalistinnen, an all den Menschen, die seit September 2022 auf den Straßen demonstrieren. Als wichtigster Handelspartner in der EU hat Deutschland riesige Druckmittel in der Hand, doch im Grunde wurde bisher nichts getan: weder Zahlungsstopps noch die Schließung der Botschaft oder des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH). Bis heute steht die Revolutionsgarde nicht auf der Terrorliste der EU. Ich hoffe, meine Anzeige motiviert die Bundesregierung, sich endlich für meinen Vater – einen deutschen Staatsbürger – und andere Geiseln stärker einzusetzen.

Gazelle Sharmahd,
Krankenpflegerin,
kämpft um das Leben ihres Vaters, des deutsch-iranischen Journalisten Jamshid Sharmahd, der 2020 in Dubai verschleppt und Anfang 2023 in Iran zu Tode verurteilt wurde.

 

Protest in Madrid nach Tod von Jina Mahsa Amini 2022
Nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Jahr 2022 protestierten Menschen weltweit auf den Straßen – so auch in Madrid. Foto: Marcos del Mazo/LightRocket/Getty Images

KEIN WESTLICH GEPRÄGTER FEMINISMUS

Ich werde oft gefragt, ob ich mein Kopfuch ablegen würde, um meine Solidarität mit den Freiheitskämpfen in Iran zu bekunden. Die Antwort lautet: Nein. Wahre Solidarität bedeutet meiner Meinung nach, iranischen Frauen keine westlich geprägten feministischen Gedanken aufzuzwingen. Sondern zuzuhören, was die Menschen in dem Land wirklich bewegt. Die Debatte hat sich hierzulande sehr auf das Kopftuch eingeschossen. Für viele Iranerinnen ist das Kopftuch nicht das Hauptthema – auch wenn das Ablegen und Verbrennen zum Symbol der Proteste geworden ist. Aber die Frauen wollen wirkliche Freiheiten, die auch mit Kopftuch möglich sind – sofern sie es freiwillig tragen.

Hamideh Mohagheghi,
Religionswissenschaftlerin und Islamische Theologin, lebt seit 1977 in Deutschland und lehrt Islamische Theologie.