Einen Tag nach dem Brand in der mehr als 850 Jahre alten Pariser Kathedrale Notre-Dame flog eine Drohne an der gotischen Kirchenfassade entlang. Sie dokumentierte die Schäden, die durch das Feuer und die Löscharbeiten entstanden waren. Die Drohne schwebte durch ein von der Hitze verformtes Baugerüst, das ein Loch im hölzernen Dachstuhl einfasste. Hier wurde das Feuer am Abend des 15. April 2019 ausgelöst. Vermutlich durch einen Kurzschluss. Oder eine achtlos weggeworfene Zigarette. 1.300 mittelalterliche Eichenbalken, die dem Dachstuhl den Spitznamen „la forêt – „der Wald“ – gaben, gingen in Flammen auf. Hunderte Tonnen Blei zerschmolzen. In dem verrußten Kirchenschiff lagen herabgestürzte Balken und Trümmerteile und die Hauptorgel war von einer Schicht Bleistaub überzogen. Ein Großteil der meterhohen Buntglasfenster, die bereits Victor Hugo im „Glöckner von Notre-Dame“ (1831) beschrieb, musste zur Reinigung von Ruß und Schmutz und zur Stabilisierung der Kathedrale ausgebaut werden. Um auch kleinste Risse und Schiefstellungen im Gemäuer erfassen zu können, wurde das einsturzgefährdete Gebäude ergänzend zu den Drohnenaufnahmen mit einem 3D-Laserscanner millimetergenau vermessen. Die Ergebnisse konnten mit einem digitalen Modell der unversehrten Kirche von 2010 verglichen werden. Diese technischen Möglichkeiten sind ein Glücksfall für einen weitgehend originalgetreuen Wiederaufbau des Monuments.
Napoleons Kaiserliche Krönungskirche
In der geschichtsträchtigen Kathedrale ließ sich Napoleon Bonaparte 1804 zum Kaiser krönen, 1944 wurde in Notre-Dame die Befreiung vom deutschen Besatzungsregime gefeiert. Der Sakralbau liegt auf der Seine-Insel Île de la Cité im Herzen von Paris und wurde vor dem Großbrand jährlich von bis zu 14 Millionen Menschen besucht. So erschüttert sich die französische Bevölkerung von der Brandkatastrophe zeigte, so rasant begannen Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten. Unmittelbar nach dem Brand hatte Emmanuel Macron angekündigt, Notre-Dame unverzüglich wieder instand setzen zu wollen. Die Kathedrale sei „das Epizentrum unseres Lebens“, so der französische Präsident. Bereits im Frühjahr 2024 soll sie wiedereröffnet werden. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, arbeiten Wissenschaftler und Restauratoren aus vielen europäischen Ländern gemeinsam am Wiederaufbau, wie die dreiteilige ARTE Dokureihe „Notre-Dame, eine Jahrhundertbaustelle“ zeigt.
Auch deutsche Werkstätten sind an dem Großprojekt beteiligt. So werden in der Kölner Dombauhütte derzeit vier Fenster – rund 90 der insgesamt etwa 3.000 Quadratmeter Glasfläche aus der Kathedrale – restauriert und sollen in diesem April wieder eingebaut werden. Die Kölner Restauratorin Katrin Wittstadt betont im Gespräch mit dem ARTE Magazin, welche besondere Bedeutung die Arbeit für sie hat: „Wir wollen unsere Solidarität durch etwas Sichtbares ausdrücken – durch unser Wissen und Handwerk“, so Wittstadt. Nach der Anlieferung aus Paris befreite sie die Kirchenfenster, die der französische Glasmaler Jacques Le Chevallier 1965 angefertigt hatte, zunächst in einem eigens eingerichteten Dekontaminationsraum mit Staubsauger und Pinsel von giftigem Bleistaub. Danach wurden die bunten Glasflächen mit einem Ethanol-Wasser-Gemisch gereinigt. Wittstadt kittete mit ihrem Team kleine Brüche im Bleinetz, erneuerte die Randfassungen, klebte Risse im Glas und fügte zersplitterte Teile wieder zusammen. Die Fenster wieder instand zu setzen sei „zeit-intensive Feinarbeit“, bei der es teils auf Millimeter ankomme, erklärt die Restauratorin.
Das Handwerk ist bei diesem besonderen Auftrag jedoch nur ein Teil ihrer Aufgaben. Viel Zeit beansprucht die Abstimmung mit den anderen Restauratorinnen und Restauratoren aus Frankreich: „Wir müssen darauf achten, dass wir alle dieselbe Handschrift auf den Kunstwerken hinterlassen, schließlich haben wir die gemeinsame Vorgabe, die Restaurierung auch in den Details historisch originalgetreu durchzuführen“, so Wittstadt. Auf der Baustelle greifen die verschiedensten Arbeitsschritte und Gewerke ineinander. „Das ist eine Wahnsinnslogistik“, betont Wittstadt, die selbst regelmäßig nach Paris fährt, um bei Arbeiten vor Ort dabei zu sein. Auch für sie ist der Wiederaufbau: „ein europäisches Jahrhundertprojekt“.
180 Restauratoren, Architektinnen, Wissenschaftler und Handwerkerinnen arbeiten derzeit auf der Jahrhundertbaustelle im Herzen von Paris.
1.000 alte französische Eichen wurden für den Wiederaufbau des Dachstuhls gefällt. Die Entscheidung, originalgetreues Baumaterial zu verwenden, ist umstritten.
846 Mio. Euro Spendengelder sind bisher für den Wiederaufbau zusammengekommen. Von Stiftungen, aber auch Privatpersonen.