DAS IST UNSER HAUS

WOHNRAUM UN-Sonderberichterstatterin Leilani Farha stellt sich gegen Investmentfirmen – ein ungleicher Kampf.

Illustration: Ivo van de Grift

Leilani Farhas Job ist es, zuzuhören. Dafür bereist sie die ganze Welt. Die Geschichten, die ihr erzählt werden, klingen im Wesentlichen immer gleich. Mieter berichten davon, wie sie vom neuen Eigentümer rausgeekelt werden. Notwendige Arbeiten am Haus werden nicht erledigt, die Mieten erhöht, Anfragen bleiben unbeantwortet und im schlimmsten Fall wird geklagt. Wenn die Mieter ihre Wohnungen aufgeben, wird das Haus luxuriös renoviert und mit Riesengewinn verkauft. Oftmals ziehen dann nicht einmal neue Leute ein. Im Spiel der globalen Finanzströme sind Wohnhäuser zur Geldanlage geworden, zu Spekulationsobjekten. ­Farha hört diese Geschichten in Chile, Großbritannien, Schweden, Deutschland. Dann fliegt die Juristin nach New York, um vor den Vereinten Nationen davon zu berichten. Denn seit 2014 ist ­Farha UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen. Bei dieser Arbeit hat sie der schwedische Filmemacher ­Fredrik ­Gertten begleitet. So entstand der Dokumentarfilm „Push: Für das Grundrecht auf Wohnen“. Er zeigt, wie ­Farha der Krise auf den Grund geht und ihre Lösungs­ansätze der UN vorstellt. Auf diese Weise erhalten die Vereinten Nationen einen Überblick über Menschenrechtsverletzungen im Bereich Wohnen – und können dagegen vorgehen.

DIE SENDUNG AUF ARTE

Den Dokumentarfilm „Push: Für das Grundrecht auf Wohnen“ gibt es am Dienstag, 4.2. ab 21.50 Uhr auf ARTE zu sehen und bis 3.5. in der Mediathek.

Die Finanzkrise als Kipppunkt

Vor 20 Jahren hat die UN-Menschenrechtskommission die Stelle der Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen geschaffen, einen ehrenamtlichen Posten. Die ersten Sonderberichterstatter kamen aus Indien und Brasilien – Länder, in denen eine stark wachsende Bevölkerung und Armut die entscheidenden Faktoren für die Wohnproblematik sind. ­Leilani ­Farha ist Kanadierin. Ihre Ernennung zeigt, dass sich die Wohnkrise ausgeweitet hat: von den Schwellenländern auf die Industrienationen. Und sie ist mutiert. Es geht nicht mehr darum, Wohnraum zu schaffen, sondern darum, ihn zurückzuerobern. Experten sehen die Finanzkrise von 2007/2008 als Kipppunkt. Viele Menschen konnten plötzlich ihre Kredite nicht mehr abbezahlen. Ihre Häuser gingen an die Banken, die sie ebenfalls schnellstmöglich verkauften, um sich selbst zu finanzieren. Käufer waren meist Investmentgesellschaften. Als sich der Markt erholt hatte, begannen diese Investoren wiederum die Häuser zu verkaufen – gewinnbringend, versteht sich. Und zwar nicht als Eigenheime an Kleinverdiener, sondern als Geldanlage an Investoren, die sich die Objekte oft nicht mal ansehen, geschweige denn dort einziehen.

Wohnen ist nicht Gemütlich­keit, sondern Menschen­recht

Leilani Farha, UN-Sonderberichterstatterin

Gemeinsam gegen die „Aasgeier“

Auf ihren Reisen hat ­Farha ganze Viertel gesehen, die wie ausgestorben sind. In Notting Hill etwa, einem begehrten Londoner Stadtteil, stehen 80 Prozent der Immobilien leer, die von ausländischen Investoren gekauft wurden. Der Grund: „Eine leere Wohnung ist schneller zu verkaufen“, meint ­Farha. Weltweit beträgt der Wert aller Immobilien, die als Vermögenswerte fungieren, 217 Billionen Dollar. Allein 545 Milliarden Dollar sind die Beteiligungen von Blackstone wert, dem größten Private-Equity-Unternehmen der Welt. Blackstone, das ­Farha „Aasgeier“ nennt, zum Umdenken zu bewegen oder seinen Geschäften Einhalt zu gebieten, erscheint aussichtslos. „Das sind mittlerweile die Machtverhältnisse“, meint sie, „ein privatwirtschaftlicher Global Player mit Milliarden im Rücken kann einen Staat erpressen.“ In ihrer Arbeit konzentriert sie sich deshalb auf die Betroffenen. Auch, weil sie mit ihnen mitfühlt.

Sie weiß, was es bedeutet, das Zuhause zu verlieren. Ihr Vater hat davon erzählt. Seine Familie verlor in ihrem Heimatland, dem Libanon, durch neue Grenzziehungen in den 1940er Jahren die Lebensgrundlage. Deshalb wanderte ­er nach Kanada aus. Dort lebt seine Tochter heute mit ihrer Familie bei Toronto – in einem eigenen Haus. „Unser Haus ist heute doppelt so viel wert wie vor zwölf Jahren. Wir wären nicht mehr in der Lage, es zu kaufen“, sagt ­Farha. Sie versteht die Ängste der Menschen, die sie trifft. Und sie tut alles, um ihnen zu helfen – als UN-Sonderberichterstatterin, als Juristin und als Aktivistin für das Menschenrecht auf Wohnen. Um alle Stränge ihrer Arbeit zusammenzuführen, hat ­Farha „The Shift“ ins Leben gerufen: eine Organisation, die dabei hilft, sich zu vernetzen. Denn nur gemeinsam hat man eine Chance, gegen Global Player wie Blackstone vorzugehen. NGOs sind genauso eingeladen wie Regierungsvertreterinnen, Bürgermeister, Akademiker und Philanthropinnen. Alle berichten von Problemen, vor allem aber von Lösungsansätzen. Leilani ­Farha hört zu. Und sie sorgt dafür, dass all das an die UN herangetragen wird.