Das kühne Puzzle aus Metall

Oft in Trikolore, bald sogar goldbemalt: Der Eiffelturm ist das stolze Wahrzeichen von Paris. Dabei schlug dem Turm einst viel Kritik und Häme entgegen. Was brachte die Wende?

Eiffelturm Paris Winter Schnee
Foto: Orbon Alija/Getty Images

Bei den Olympischen Spielen 2024 wird der Eiffelturm einmal mehr im Mittelpunkt des Pariser Lebens stehen. Er wird das Herzstück der Eröffnungszeremonie sein, weswegen man seine Träger derzeit in einem neuen Goldton anstreicht. Das mag eine optimistische Geste sein, was die Chancen der französischen Mannschaft auf olympische Medaillen angeht. Noch wichtiger aber ist, dass das Gold den Sieg des Eiffelturms symbolisiert: im Kampf, seine Kritiker und die Unfälle der Geschichte zu überleben. „Kritiker? Überleben?“, mag man sich da verdutzt fragen. Ist es nicht unmöglich, sich Paris ohne den Eiffelturm vorzustellen? Das wäre wie London ohne Big Ben, Rio ohne Christus, den Erlöser, Alexandria ohne seine große Bibliothek. Nun, aber Alexandria hat seine Bibliothek verloren, nicht wahr? Vielleicht ist es also möglich, sich Paris ohne sein berühmtestes Wahrzeichen vorzustellen. Tatsache ist, dass der Eiffelturm seit seiner Erbauung mehrmals kurz vor dem Abriss stand, beinahe nicht mehr existiert hätte. Dass er heute noch in der Pariser Skyline zu sehen ist, grenzt an ein Wunder.

Der Eiffeltum, Geschichte einer Ikone

Dokumentarfilm

Sonntag, 27.12.
— 21.45 Uhr
bis 16.1.24 in der Mediathek

REVOLUTIONÄR: GEBOGENER PYLON

Die Geschichte begann Mitte der 1880er Jahre, als Paris eine Weltausstellung plante, um den 100. Jahrestag der Revolution von 1789 zu feiern. Man beschloss, als Herzstück das höchste Gebäude der Welt zu errichten: einen Turm, der die magische Höhe von 1.000 Fuß überschreiten sollte (ja, damals rechneten die Franzosen noch in Fuß).

Entgegen der landläufigen Meinung hat Gustave Eiffel seinen Turm nicht selbst entworfen. Er war Inhaber eines Bauunternehmens und Frankreichs Marktführer im Bereich der trägerbasierten Architektur, doch zu dieser Zeit voll und ganz damit beschäftigt, das Gerüst im Inneren der Freiheitsstatue zu montieren, die 1886 nach New York geliefert werden sollte. Stattdessen entwickelten zwei seiner Ingenieure, Maurice Koechlin und Émile Nouguier, den revolutionären Entwurf des „gebogenen Pylons“; und sie waren es schließlich, die Eiffel überzeugten, das Projekt einzureichen. 

Es überrascht nicht, dass ihre riesige Eisenkonstruktion auf den erbitterten Widerstand von Traditionalisten stieß. Selbst heute, da das toasterähnliche Centre Pompidou und der schwarze Monolith des Tour Montparnasse zur Pariser Skyline gehören, sticht der Eiffelturm durch seinen kühnen Minimalismus hervor. Im Grunde ist er ein Puzzle aus Trägern – in dem mehr Luft als Metall zu stecken scheint. In den 1880er Jahren waren die berühmtesten Neuerungen in der Dachlandschaft der Stadt wuchtige, traditionell anmutende Bauwerke: die neobyzantinische Kathedrale Sacré-Cœur und das Opernhaus von Charles Garnier, ein Mischmasch aus bekannten Stilen – Barock, Renaissance, Klassik. Die Pariser Architekten befanden sich entschieden in einer Retro-Phase.

Garnier gehörte auch zu den Unterzeichnern eines Traktats, das am 14. Februar 1887 in der Zeitung Le Temps veröffentlicht wurde. Darin erklärte er, dass der Eiffelturm, sollte er denn gebaut werden, wie ein „gigantischer schwarzer Fabrikschornstein“ und eine „abscheuliche Säule aus verschraubtem Blech“ aussehen würde, die die architektonischen Schmuckstücke von Paris „erniedrigen“ würde. Doch der Protest kam zu spät – ­Eiffel hatte seine Konkurrenten bereits ausgestochen, indem er anbot, das Monument auf eigene Kosten zu errichten. Im Gegenzug erhielt er die Erlaubnis, den Turm 20 Jahre lang als Besucherattraktion zu betreiben. Im Januar 1887, nur 27 Monate vor der Eröffnung der Weltausstellung, begannen die Bauarbeiten im feuchten Sand des Seineufers.

 

Alexandre Gustave Eiffel entwarf be­merkenswerte Brücken und Viadukte, bevor er am Eiffel­turm in Paris arbeitete.
Weltmännisch: Alexandre Gustave Eiffel entwarf be­merkenswerte Brücken und Viadukte, bevor er am Eiffel­turm in Paris arbeitete. Dazu gehört auch das Stahl­gerüst der Freiheitsstatue, das Frankreich den USA schenkte. Bild: SSPL/Science Museum/Getty Images

Glatt verliefen die Arbeiten nicht. Eiffels Team musste mit neuen Techniken experimentieren, um ein stabiles Fundament legen zu können und sicherzustellen, dass die vier Beine des Turms im richtigen Winkel aufragten. Die Bauarbeiten dauerten auch doppelt so lange wie von ­Eiffel geplant, kosteten ihn das Doppelte des veranschlagten Budgets und wurden zweimal durch Streiks unterbrochen – die Arbeiter waren unzufrieden mit ihren Zwölf-Stunden-­Schichten und den Gefahren, die die Tätigkeiten in bis dahin undenkbarer Höhe mit sich brachten. Doch im März 1889, etwa fünf Wochen vor Ablauf der Frist, war der 312 Meter hohe Turm fertiggestellt. Paris beherbergte nun das höchste Gebäude der Welt – ein Rekord, den die Stadt bis zum Bau des New Yorker Chrysler Buildings im Jahr 1930 halten sollte. Der neue Turm war nicht schwarz, wie ­Garnier und andere befürchtet hatten, sondern in einem leuchtenden venezianischen Rot gestrichen. Das sollte so bleiben, bis die Farbe 1892 auf ein weniger auffälliges Ocker gedämpft wurde.

Zunächst war der „Tour de 300 Mètres“ (so der ursprüngliche Name) ein voller Erfolg, vielleicht weil er etwas typisch Französisches an sich hatte: Er war unverschämt protzig und hatte keinerlei praktischen Nutzen, außer dass er es den Menschen ermöglichte, fast 300 Meter in die Höhe zu fahren. Die Eröffnung des Jahrhundertbaus am 15. Mai 1889 lockte viel internationale Prominenz an. Als einer der Ersten erklomm der Prinz von Wales, der spätere britische König ­Edward VII., die Spitze. Der Besuch hatte einige Bedeutung, denn mit ihm hatte er sich dem Befehl seiner Mutter, Königin ­Victoria, widersetzt, die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Französischen Revolution zu boykottieren. Vor allem während der sechsmonatigen Weltausstellung von 1889 entwickelte sich ein regelrechter Hype um den Turm: Mehr als zwei Millionen Menschen erklommen ihn in dieser Zeit. Die Ästheten aber waren nicht begeistert. Der Dichter Paul ­Verlaine bezeichnete den Bau als „Skelett eines Glockenturms“. Dem Schriftsteller Guy de ­Maupassant galt er als eine „dürre Pyramide aus Eisenleitern“. Schon bald sanken die Besucherzahlen drastisch – und tatsächlich wurde der Ruf nach einem Abriss laut. 1903 diskutierte ein Ausschuss für öffentliche Arbeiten da­rüber, ob der Turm nach Ablauf von ­Gustave ­Eiffels Verwaltungsvertrag im Jahr 1909 demoliert werden sollte. Mit nur einer Stimme wurde der Eiffelturm begnadigt.  

Gesichert wurde das Überleben des Turms schließlich durch das Militär: 1903 schlug der Radio­ingenieur Gustave ­Ferrié vor, das bis dahin noch auf Brieftauben basierende Kommunikationssystem der französischen Armee zu modernisieren. Zur Umsetzung dieses Vorhabens brachte ­Ferrié eine Antenne an der Spitze des Turms an. Seine Experimente mit dieser Sendestation waren erfolgreich, was dazu führte, dass man einen Vertrag unterzeichnete, der die Lebensdauer des Eiffelturms um mindestens 70 weitere Jahre verlängerte. Außer Gefahr war er dennoch nicht, denn gegen Ende des Ersten Weltkriegs richtete Deutschland eine massive Artilleriebatterie auf Paris. 

 

Eisenpfeiler des Pariser Eiffelturms
Aus dem unteren Teil des Rahmenwerks (Bild) erheben sich die vier gebogenen Eisenpfeiler des Eiffelturms. Bild: SSPL:Science Museum:Getty Images

DEUTSCHE GRANATEN UND BOMBEN AUF PARIS

Zwar standen die sogenannten Paris-Geschütze in rund 100 Kilometer Entfernung, sodass sie nicht genau trafen. Doch mehrere Hundert Granaten schlugen in der Stadt ein. Zwei von ihnen hätten das Eiffel-Monument beinahe zum Einsturz gebracht: Am 27. Juni 1918 schlug ein Geschoss auf dem Champs de Mars ein, etwa 50 Meter vom Turm entfernt. Und am 15. Juli wurde der Pilier Est, der östliche Teil des Turms, noch knapper verfehlt. Von Flugzeugen und Zeppelinen, die bei ihren Bombenangriffen präziser operierten als die Granaten, wurde der Eiffelturm nicht getroffen, wo­raus man schließen könnte, dass die kaiserlichen Flieger vielleicht weniger unzufrieden mit seinem Design waren als viele Franzosen jener Zeit. 

Während des Zweiten Weltkriegs bewies der Eiffelturm erneut seine Nützlichkeit für das Militär. Die Nazi-Besatzer nutzten seine Antenne, um Programme für verwundete deutsche Soldaten in den Krankenhäusern der Region zu senden. Als die Stadt im August 1944 befreit wurde, stand der Turm auf ­Adolf ­Hitlers Liste der zu sprengenden Gebäude. Glücklicherweise war dies ein Befehl, den der scheidende Kommandant der Stadt, ­Dietrich von ­Choltitz, nicht befolgte.

Nach 1945 begannen die Besucherzahlen dann stetig zu steigen: Im Jahr 1963 etwa kamen mehr als zwei Millionen pro Jahr. Unabhängig davon hätte der Eiffelturm der umfassenden Modernisierungskampagne zum Opfer fallen können, die Paris Anfang der 1960er Jahre einleitete. Als ob man der Geschichte der Stadt den Rücken zukehren wollte, beschlossen die Stadtplaner, die Ufer der Seine in Autobahnen umzuwandeln, die mit einer durch das historische Zentrum verlaufenden Nordautobahn verbunden werden sollten. Dank des Widerstands von Denkmalschützern wurden nicht alle diese Pläne verwirklicht, aber die Markthallen aus Glas und Eisen aus dem 19. Jahrhundert (ganz im Stil von ­Eiffel) wurden abgerissen und durch das hässliche Einkaufsviertel Les Halles ersetzt. Ein großer Teil des mittelalterlichen Marais wurde zerstört, um Platz für das ­Centre ­Pompidou und die Betonbauten drum herum zu schaffen. In einem derart ikonoklastischen Klima hätte der Eiffelturm leicht abgerissen und an seinem Standplatz ein Kreisverkehr errichtet werden können.

 

Eiffelturm in Paris
Der Bau begann im Januar 1887 und wurde am 31. März 1889 abgeschlossen. Bild: Sepia-TimesUniversal-Images-GroupGetty-Images

Doch der Turm überlebte nicht nur – er wurde immer erfolgreicher. Anlässlich seines 100-jährigen Bestehens im Jahr 1989 überschritt die Besucherzahl die Fünf-Millionen-Grenze; und 1999 verzierte man das Monument mit einer inzwischen weltberühmten Beleuchtung. Von Einbruch der Dunkelheit und bis ein Uhr morgens flackern seitdem zu jeder Stunde 20.000 Glühbirnen auf. Das macht den Eiffel­turm zum visuellen Mittelpunkt der Pariser Nacht. Ist man abends auf der Straße unterwegs, schaut man nun instinktiv nach oben, um zu sehen, ob man einen Blick auf das Lichtspiel erhaschen kann.

Heutzutage werden die Lichter genutzt, um politische und kulturelle Botschaften zu vermitteln. Nach dem Bataclan-­Anschlag 2015 erstrahlte der Turm trotzig in den Farben der französischen Trikolore. Im Februar 2022 verwandelte man ihn in eine riesige ukrainische Flagge. Der Eiffelturm ist auch gezwungen, ein weiteres Anliegen zu unterstützen: In einer Zeit, in der Paris versucht, umweltfreundlicher zu werden, und in der viele Geschäfte der Stadt dafür kritisiert werden, dass sie ihre Lichter nachts brennen lassen, begann die spektakuläre Beleuchtung der Konstruktion die Aufmerksamkeit von Umweltschützern auf sich zu ziehen. Die Reaktion war schnell und radikal. Inwischen hat man einen großen Teil der Glühbirnen durch energiesparende LEDs ersetzt. Zwei kleine Windturbinen, diskret in der Farbe der Träger gestrichen, versorgen den kommerziellen Teil des Turms im ersten Stock mit Strom. Zehn Quadratmeter Solarkollektoren liefern das Warmwasser – und die Toilettenspülung wird mit Regenwasser betrieben. Der Turm hat zwar vier riesige „Füße“, aber er hat seinen ökologischen Fußabdruck wesentlich reduziert.

Eine letzte Maßnahme könnte den Eiffelturm völlig klimaneutral machen und ihn sogar in die Lage versetzen, Energie für den Rest der Stadt zu erzeugen. Im Durchschnitt wird er von etwa 25.000 Besuchern pro Tag besucht, und zu Stoßzeiten können die Warteschlangen drei Stunden lang sein. Wenn die wartenden Besucher auf einer Art bewegungsempfindlicher Matte stehen würden, könnte ihr ungeduldiges Getrampel sicher Tausende von Kilowattstunden Strom erzeugen. Das ist nur ein Vorschlag. Er könnte den Eiffelturm unentbehrlicher denn je machen. Und ihm die Garantie für ein ewiges Überleben geben. 

Der Autor
Stephen Clarke, Schriftsteller

Der in England geborene Autor lebt seit Anfang der 1990er in Paris und widmete der Stadt mehrere Romane und Geschichtsbücher, darunter den Bestseller „Ich bin ein Pariser“ (2005). Im November erschien sein neues Werk: „Merde at the Paris Olympics“. 

Der Turm ist ein Symbol eines geliebten Paris

Le Corbusier, Architekt (1887–1965)