Männer-Welten

Städte weltweit sind von Phallussymbolen überzogen. Die Journalistin Anne Waak sammelt sie auf Instagram – und kritisiert, wie die Penis-Übermacht die Gesellschaft prägt.

Graffitis von Penissen
Ist das Kunst oder muss das weg? Penisdarstellungen in allen Farben, Formen und Formaten dominieren vielerorts das Stadtbild – während weibliche Genitalien meist unsichtbar bleiben. Foto: Anne Waak, Saskia Otto, Daniel Lobo / Flickr

Es ist kaum möglich, über den Penis zu sprechen und über das Patriarchat zu schweigen. Denn die Welt, in der wir leben, ist nun mal seit Jahrtausenden in weiten Teilen so gemacht: von Männern (genauer: einer kleinen Gruppe reicher, mächtiger, meist weißer Männer) für Männer. Sei es in der Sphäre der Erwerbsarbeit, in der Medizin oder was die Anzahl öffentlicher Toiletten angeht: Der Mann gilt als Standard, die Frau als die Abweichung davon.

Als Reaktion darauf habe ich auf meinem Instagram-­Kanal (@annewaak) jahrelang Fotos von Phallusdarstellungen im öffentlichen Raum gepostet: Penis-­Graffiti auf Häuserwänden, auf staubige Autoscheiben gemalte Pimmel, eindeutig geformte architektonische Ornamente. Das gesprühte oder hingekritzelte sogenannte Dickpic ist dabei gleichzeitig eine infantil-verspielte und aggressive Geste, angesiedelt irgendwo zwischen feixendem Pennäler-Humor und der Markierung eines Territoriums. Erstaunlich war, wie viel Material mir jeden Tag zur Verfügung stand.

Wir sind von Phallussymbolen umgeben: Hochhäuser, die sich wie in einem absurden Wettkampf immer weiter in den Himmel schrauben. Raketen in Penisform, für Marsmissionen, mit denen obszön reich gewordene Unternehmer bislang weitgehend vom menschlichen Zugriff verschont gebliebene Planeten zu kolonialisieren planen. Raketen, mit denen größenwahnsinnig gewordene Herrscher befehlen, andere Länder anzugreifen. Überflüssig zu erwähnen, welchem Geschlecht die Architekten, Raumfahrer und Diktatoren allesamt angehören, die den Rest der Menschheit mit ihren Machtgesten – beziehungsweise Penislängenwettbewerben – plagen.

Auch abseits von Straßenkunst, Städtebau oder Weltnachrichten ist es eklatant, welchen Raum der Penis einnimmt – besonders im Gegensatz zu den weiblichen Geschlechtsorganen. Während die meisten Kinder einen Penis zeichnen können, wird es bei einer Vulva oder Vagina schon schwieriger. Die Peniszeichnung profitiert von der recht einprägsamen, leicht nachzuahmenden stilisierten Form des männlichen Geschlechtsteils – während das Zeichnen einer Vulva oder Vagina die meisten Menschen wohl vor Probleme stellen würde. Woran das liegt? Vermutlich hat das auch mit der unterschiedlichen Sichtbarkeit der menschlichen Geschlechtsteile zu tun. Dort, wo sich beim Mann in der Regel ein Penis befindet, hat die Frau: ein Loch. Sie wird von klein auf durch das definiert, was ihr vermeintlich fehlt.

Auch deshalb wird Jungen vielfach noch immer ein freierer, unverschämterer Umgang mit den intimsten Teilen ihres Körpers anerzogen als den meisten Mädchen. In den Geschlechtsorganen und in unserem Umgang mit ihnen spiegelt sich die seit Jahrhunderten binär gedachte Einteilung der Welt in das Männliche, das wir als aktiv in der Außenwelt agierend verstehen – und das Weibliche, das als tendenziell passiv und innerlich gilt. Die Sprache ist hier wie so oft Kronzeugin: Es gibt Dutzende, wenn nicht Hunderte mehr oder weniger schöne, häufig mundartlich gefärbte Bezeichnungen für den Penis – und nur einen Bruchteil dessen für das weibliche Geschlecht.

Neue Männlichkeit
Es wird Zeit, die symbolische Bedeutung des Penis zurechtzurücken. Die Dokumentation „Penissimo“, die ARTE im Juni ausstrahlt, beleuchtet, wie sich neue Rollenbilder für Männer entwickeln. Und auch die Kunstwelt hinterfragt die gewohnte Darstellung des Glieds als Machtsymbol. Die New Yorkerin ­Alexandra ­Rubinstein etwa fertigt Reinterpretationen bekannter Werke an und ersetzt Elemente durch Penisse: ­René ­Magrittes berühmte Pfeifen-­Zeichnung von 1929 malt sie statt der Pfeife mit einem Penis: „Ceci n’est pas une pipe“. ­Rubinsteins Version von „L’Origine du monde“ (1866) zeigt einen kopflosen weißen Mann in der aus dem Originalbild von ­Gustave ­Courbet bekannten liegenden Pose. Zu sehen sind Bauch und Oberschenkel – dazu der nackt dargebotene schlaffe Penis. Der Titel: „The Origin of Anxiety“.

In dieser Interpretation sind die Weltraumraketen, Panzer und Bomben von ­Elon Musk, Jeff ­Bezos und ­Wladimir ­Putin auf einmal nicht mehr als Mittel, um die männliche Angst in Schach zu halten – vor der eigenen Verletzlichkeit und dem als bedrohlich wahrgenommenen Bedeutungsverlust. Die optimistische Sichtweise der Allgegenwart der Phallussymbole: Nur, was nicht (mehr) selbstverständlich ist, muss allenthalten betont werden. Möglicherweise – hoffentlich – erleben wir derzeit die letzten Tage des Patriarchats und treten demnächst in ein postphallisches Zeitalter ein. Dann kann der Penis vielleicht endlich er selbst sein: ein Organ, genauso wichtig und unwichtig wie jedes andere auch.

Penissimo

Gesellschaftsdoku

Mittwoch, 29.6. — 22.15 Uhr

bis 5.7. in der Mediathek