»Frauen, vereint euch!«

In Teona Strugar Mitevskas preisgekröntem Drama „Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“ kämpft eine Außenseiterin gegen überholte Traditionen. Ein Interview über Frauen auf dem Balkan und deren Wunsch nach Freiheit.

Gott existiert
Entschlossen: Petrunya (Zorica Nusheva) lässt sich auf ihrem Weg zu Gerechtigkeit weder von der Polizei einschüchtern noch vom eisigen Wasser aufhalten. Foto: Pyramide International/ARD

Petrunya (Zorica Nusheva) ist weder auf Skandale noch auf Rebellion aus. Nur: Ihr bleibt keine andere Wahl. Die arbeitslose Akademikerin lebt mit Anfang 30 noch bei ihren Eltern im nordmazedonischen Štip. Als sie frustriert von einem Vorstellungsgespräch zurückkehrt – aus einer Textilfabrik, in der auf die Historikerin kein Job, dafür aber ein übergriffiger Chef wartete –, trifft sie am Fluss auf eine Prozession. Es ist Dreikönigstag. Der Priester wirft traditionell an diesem Tag ein gesegnetes Kreuz ins eisige Wasser, das demjenigen, der es herausfischt, Glück bescheren soll. ­Petrunya taucht ab und wird fündig. Die Männergesellschaft ist empört, denn Frauen sind nicht zugelassen. Doch weder Kirche noch Polizei können Petrunya zur Herausgabe des Kreuzes bewegen.

Im Drama „Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“ thematisiert die Regisseurin Teona Strugar Mitevska zahlreiche gesellschaftliche Konflikte ihrer Heimat. Ein Gespräch über Solidarität unter Frauen und Zukunftsperspektiven.

arte magazin Frau Mitevska, die Geschichte des Films ist so skurril, dass sie ausgedacht klingt. Dabei basiert sie auf Begebenheiten, die sich 2014 abspielten.
Teona Strugar Mitevska Das Ganze ist tatsächlich so absurd, dass wir bei den Dreharbeiten viel gelacht haben. Aber ja, dieser Vorfall hat sich wirklich ereignet. Als ich davon hörte, sah ich es als großartige Gelegenheit, die damit verbundenen Konflikte anzusprechen.

arte magazin Im Film steht ein ganzer Ort Kopf, auch Journalisten kritisieren Petrunya. Hat das reale Ereignis ebenso viel Aufsehen und Feindseligkeit erregt?
Teona Strugar Mitevska Ja, die betroffene Frau wurde als verrückt abgestempelt und musste sich tagelang rechtfertigen. In einem Interview sagte sie, sie verstehe nicht, warum eine Frau kein Glück haben dürfe, und hoffe, dass mehr Frauen nach dem Kreuz tauchen würden. Mich hat besonders die Reaktion der Medien verärgert, denn der Vorfall wurde von der Boulevardpresse nur mit Hohn aufgegriffen. Eine ernsthafte Reflexion darüber fand nicht statt. Daraufhin dachte ich mir: Frauen, vereint euch!

arte magazin In der Protagonistin Petrunya spiegeln sich auffällig viele Probleme, darunter Arbeitslosigkeit, Chauvinismus, Misogynie, religiöse Heuchelei.
Teona Strugar Mitevska Es ist ein sehr persönlicher Film. Vieles von dem, was Petrunya erlebt hat, ist mir auch widerfahren. Ich weiß, was es bedeutet, eine Frau auf dem Balkan zu sein – umgeben von Ungerechtigkeit.

arte magazin Es klingt so, als mussten Sie selbst oft ins kalte Wasser springen.
Teona Strugar Mitevska Ständig. Als ich vor 20 Jahren begann, Filme zu machen, gab es kaum Frauen in dem Geschäft. Das war verunsichernd. Oft verbrachte ich mehr Zeit damit, mich zu beweisen, als Regie zu führen.

arte magazin Was haben Sie konkret erlebt?
Teona Strugar Mitevska Ein Sounddesigner hat etwa eine Sounddesignerin, die sich bei uns vorstellte, mit dem Argument abgewiesen, dass Frauen zu „hysterisch“ und „emotional“ seien. Ein anderes Mal sagte mir der Busfahrer, der die Crew ans Set brachte, dass meine Regie schlecht sei. Er hätte mehr Erfahrung. Doch die Zeiten ändern sich zum Glück. Heutzutage sind Frauen in allen Positionen der Branche vertreten.

Gott existiert, ihr Name ist Petrunya

Drama

Mittwoch, 4.8. — 20.15 Uhr
bis 2.9. in der Mediathek

Gott existiert
Foto: Pyramide International/ARD

arte magazin Zeigen Sie sich mit Frauen in diesem Business solidarisch und fördern ihre Karriere?
Teona Strugar Mitevska Frauen im Team sind für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich setze sie intuitiv ein.

arte magazin Am Ende des Films wirkt Petrunya be-freit. Sie steht über den Dingen.
Teona Strugar Mitevska Sie erlangt ihre Unabhängigkeit, indem sie sich selbst neu definiert. Wir alle werden durch Erziehung und Traditionen von außen geprägt. Dennoch sollten wir auch lernen, uns davon zu befreien.

arte magazin Eine Form von patriarchaler Unterdrückung stellt im Film die Religion dar. Wie wichtig ist sie in einem einst kommunistischen Land tatsächlich?
Teona Strugar Mitevska In Ex-Jugoslawien spielte Religion kaum eine Rolle. Seit dem Krieg und dem Aufkommen des Nationalismus erstarkte sie aber, teilweise auf hysterische Weise. Ebenso nahm der Machismo zu.

arte magazin Viele Ihrer Landsleute wandern wegen Perspektivlosigkeit aus. Die Korruption im Land steht in der Kritik. Was wünschen Sie sich für Ihre Heimat?
Teona Strugar Mitevska Ich wünsche mir für mein Land nichts sehnlicher als die EU-Mitgliedschaft. Europa ist nicht perfekt, aber ich sehe es als Garant für Demokratie und Meinungsfreiheit. Für mich als Künstlerin und Nordmazedonierin gibt es nichts Wichtigeres.