EIN TRAUMHAFTES PAAR

Seelenverwandt Regisseurin Ildikó Enyedi drehte mit „Körper und Seele“ nach fast zwei Jahrzehnten wieder einen Film – und gewann bei der Berlinale 2017 prompt den Goldenen Bären. Im ARTE Magazin erzählt sie von der Entstehung des Liebesdramas.

Foto: Alamode Film/ZDF

Als ich das Drehbuch zu „Körper und Seele“ schrieb, war ich an einem Tiefpunkt in meinem Leben angekommen. Beruflich kam ich nicht weiter, ich hatte jahrelang keine Filme mehr gedreht. Oft erkennst du erst, wenn du am Boden bist, die elementare Schönheit des Lebens. Es war Frühling und in der Luft lag ein neuer Anfang und ich spürte in mir einen wundervollen Sturm des Glücks. Über dieses Gefühl wollte ich einen Film machen.

Es war 2005, aber damals war die ungarische Filmindustrie zusammengebrochen, der Film ließ sich erst zehn Jahre später finanzieren. Die Protagonisten des Films hatte ich sofort im Kopf. Ich wollte zwei Menschen zeigen, die aus verschiedenen Gründen eingeschränkt sind, sich aber als Seelen­verwandte treffen.

DIE SENDUNG AUF ARTE

Die Liebesdrama „Körper und Seele“ gibt es am Mittwoch, 19.2. ab 22.00 Uhr auf ARTE zu sehen.

Endre ist Finanz­direktor in einem Budapester Schlachthof. Sein linker Arm ist ebenso gelähmt wie sein Liebesleben. Auch Qualitätskontrolleurin Mária arbeitet im Betrieb. Die Asperger-Autistin hat viel Sinn für Genauigkeit, aber keinen für zwischenmenschliche Beziehungen. Sie sind beide auf unterschiedliche Weise verschlossen und meiden soziale Kontakte. Er hat viele Beziehungen gehabt und genauso viele Enttäuschungen. Sie meidet Nähe, weil sie sie nie kennengelernt hat. Im realen Leben könnten beide folglich nie zusammenfinden.

Meine Idee war es also, sie durch äußere Umstände zu verbinden: Sie träumen beide jede Nacht exakt denselben Traum. Endre ist darin ein Hirsch und Mária eine Hirschkuh, die sich in einem schneebedeckten Wald einander zaghaft nähern. Erst als Mária und Endre durch Zufall von ihrer seltsamen Gemeinsamkeit erfahren, beginnen sie, mit dieser Information zu arbeiten – und somit an ihrer Beziehung. Sie wagen eine unbeholfene wie zärtliche Annäherung. Das Ganze spielt aus gutem Grund in einem Schlachthof. Ich wollte zeigen, wie sehr unser furchtbarer Umgang mit Tieren in der industriellen Fleischproduktion oft dem mit grundlegenden Momenten der menschlichen Existenz gleicht, nämlich Leben und Tod. Wir feiern sie nicht mehr als das, was sie sind: etwas Besonderes.

Mit dem Ergebnis des Films war ich glücklich. Ich hatte das Gefühl, dass er etwas Wahrhaftiges ausdrückte. Nie aber hätte ich gedacht, dass wir den Goldenen Bären gewinnen würden. Viel wichtiger als der Preis war für mich die Begründung der Jury unter Präsident Paul Verhoeven. Er erklärte, dass es im Film um Mitgefühl gehe. Und so ist es. Wenn du etwas in die Welt hineinrufst und es genauso aufgenommen wird, fühlst du dich auf sehr wunderbare Art verstanden. Es ist ein einzigartiges Gefühl und Geschenk. Dieses Jahr wurde ich für das Berlinale-Sonderprogramm „On Transmission“ eingeladen, bei dem ich neben anderen sechs Regisseuren und Regisseurinnen als Patin einen Gast mitbringen darf; in meinem Fall ist dies ­Zsófia ­Szilágyi, eine sehr talentierte, ungarische Regisseurin. Für mich ist die Berlinale ein großartiges Ereignis. Sie ist ein Festival für Berlin und das Publikum und gleichzeitig politisch. Auch wenn ich selbst keine explizit politischen Filme mache, halte ich an gewissen Werten fest: frei und leidenschaftlich zu zeigen, was mir wichtig ist.