Geraubte Schätze

Mehr als 100 Jahre raubten europäische Staaten Kunstwerke aus ihren Kolonien. Die Herkunftsländer kämpften lange um ihre Restitution – nun kehrt das Kulturerbe allmählich zurück. Wie bereiten sich die Staaten und Museen vor?

Benin Bronzen
Majestätisch: Kopf und Körperteil einer Schlangenskulptur des Königreichs Benin (l.), Hüftornament für Riten zu Ehren des Benin-­Königs (M.), Messingkopf der Königinmutter Idia (r.). Foto: Brigitte Saal_MARKK, picture alliance / Liszt Collection, Adjaye

Ein bedrohlich anmutender Schlangenkopf hängt im ersten Stock des Hamburger Museums am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) an der Wand. Es wirkt fast, als würde er die hell erleuchteten Werke bewachen, die in der Ausstellung „Benin. Geraubte Geschichte“ zu sehen sind. Schon auf den Palastdächern des afrikanischen Königreichs, dessen Kerngebiet im heutigen Südwesten Nigerias liegt, wurden die Bronzeschlangen zum Schutz und als Symbol für den Oba, den König, befestigt. Bald könnten der Python-­Gelbguss und viele weitere afrikanische Werke erstmals an ihren Ursprungsort zurückkehren – dank der neu vereinbarten Restitution von Kunstobjekten, die während der kolonialen Besetzung in europäische Bestände gelangten. Wie sehen die nächsten Schritte der geplanten Rückgaben aus und was genau passiert mit den Artefakten?

Als die imperialistischen Großmächte 1884–85 auf der sogenannten Kongokonferenz in Berlin die Regeln für den europäischen Handel in Afrika diktierten, legten sie den Grundstein für die systematische Ausbeutung des Kontinents. Man sprach zu dieser Zeit vom „Wettlauf um Afrika“, wobei auch westliche Museen begannen, sich zu bereichern. Viele afrikanische Städte und Stämme wurden Opfer der rücksichtslosen Plünderungen. Die Armeen der Franzosen, Briten, Italiener und Deutschen verübten zahlreiche Massaker. Als sich das Königreich Benin 1897 weigerte, sich dem britischen Empire anzuschließen, erfolgte ihre Unterwerfung mit einer Strafexpedition. Die Briten brachten die sogenannten Benin-­Bronzen – darunter Tafeln und Figuren aus Metall und Elfenbein – in der Folge außer Landes und verkauften sie auf dem Kunstmarkt.

Schätzungen zufolge lagern heute bis zu 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes außerhalb des Kontinents. Hunderttausende Objekte befinden sich in den Museen der westlichen Welt: Masken, Schmuck, Manuskripte – sogar menschliche Überreste landeten als Trophäen des Kolonialismus in den Sammlungen. Die Beutekunst erzählt auch die Geschichte des Widerstands: Seit der Dekolonisierung in den 1950ern fordern afrikanische Politiker und Kunstschaffende die Rückgabe der Kulturgüter. Doch die europäischen Institutionen stellten sich zunächst taub. Kunsthändler und Museumsdirektoren warnten vor einer Sogwirkung und erhielten den Mythos aufrecht, es gäbe in Afrika keine Museen, kein enges Verhältnis zu Kunst.

Restituieren? Afrika fordert seine Kunstschätze zurück

Dokumentarfilm

Dienstag, 5.4. — 21.50 Uhr

bis 3.7. in der Mediathek

Entwurf des Edo Museum of West African Art, Benin City 
Entwurf des Edo Museum of West African Art, Benin City. Foto: edo-museum / Adjaye Associates / EMOWAA

Eine Geschichte des Widerstands

2017 verkündete erstmals ein französischer Staatspräsident, den afrikanischen Staaten ihr Kulturerbe zurückzugeben: ­Emmanuel ­Macron versprach die Restitution. Die Ankündigung löste in Europa vielfach Bestürzung aus – aus Sorge, die Museen würden nun leergeräumt. „Restituieren bedeutet, anzuerkennen, dass etwas passiert ist, das nicht hätte passieren dürfen“, entgegnet die Kunsthistorikerin ­Bénédicte ­Savoy im ARTE-Dokumentarfilm „Restituieren? Afrika fordert seine Kunstschätze zurück“. Was hat sich seit ­Macrons Ankündigung getan? In einem ersten Schritt wurden nach langen Diskussionen 27 von Frankreich ausgewählte Kunstwerke an Benin und Senegal retourniert. Allerdings handelte es sich um eine Ausnahmeregelung – bislang erfolgte keine Änderung des Kulturerbegesetzes zugunsten einer umfassenden Restitution.

Das MARKK, Mitglied der sogenannten Benin-Dialog-Gruppe, möchte mehr erzielen: „Die Rückkehr signifikanter Bestände, Zugang und Transparenz, gemeinschaftliches Agieren, die Verwirklichung eines Museums und die Präsenz der Benin-­Werke vor Ort – das sind die großen Ziele“, sagt ­Barbara ­Plankensteiner, Direktorin des MARKK, im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Das Museum verpflichtete sich zusammen mit Einrichtungen weiterer deutscher Städte, seine Benin-Sammlung bis voraussichtlich Ende 2022 zurückzuführen; geplant ist eine Eigentumsübertragung. In Afrika entsteht derweil eine neue Generation von Museen, darunter das Edo Museum of West African Art in Benin City, für das der bekannte Architekt ­David ­Adjaye beauftragt wurde. Ob die Sorge leerer Museen berechtigt ist? „Die restituierten Objekte sollen nach Benin City gehen. Es ist aber im Interesse beider Seiten, weiterhin Werke in Deutschland auszustellen“, so ­Plankensteiner. Bis zur Fertigstellung des Museums werden die Bronzen in einem neuen Forschungszentrum untergebracht. Darüber hinaus sollen die Werke digitalisiert und damit der ganzen Welt zur Verfügung gestellt werden: „In Kürze wird Digital Benin die Kunstobjekte digital zugänglich machen und mit mündlichen Überlieferungen zusammenführen.“

 

»Museen im Wandel«

Milena Bürki, Redakteurin

Fasziniert stand sie vor den Benin-Bronzen im MARKK, dem ehemaligen Hamburger Völkerkundemuseum, das sie als Kind oft besucht hatte. An damals erinnerte kaum etwas. Ausnahme: die dauerhafte Südsee-Ausstellung.