Eine junge Kampfpilotin kniet auf der Bühne, schreit und fleht. Um sie herum flimmernde Bildschirme und metallene Kontrollpulte. Es ist ein Bühnenbild, wie man es von klassischen Opern kaum kennt: schrill, dystopisch, schräg. Gezeigt wird ein Kriegsgebiet aus Neonlicht und Stahl, Hitze und technischer Kälte – in der entmenschlichten Ästhetik eines Computerspiels. Und doch begleitet von der musikalischen Dichte und emotionalen Tiefe, für die Opern stehen. Die vierte Oper der US-amerikanischen Komponistin Jeanine Tesori behandelt ein Thema, das an psychischer Schwere und politischer Brisanz kaum zu übertreffen ist. Es geht um Krieg, Moral, Schuld. Im Zentrum: Jess, eine Air-Force-Pilotin, gesungen von Emily D’Angelo. Sie liebt Geschwindigkeit, den Reiz der Höhe, das Adrenalin bei ihren F-16-Missionen. Doch nach einer ungeplanten Schwangerschaft wird sie vom Flugdienst abgezogen – „grounded“, wie man beim US-Militär sagt. Statt durch die Luft zu jagen, sitzt sie fortan in einem fensterlosen Container in der Wüste Nevadas – als Drohnenpilotin. Töten per Joystick. Präzise, effizient.
Tesori, die mit dem queeren Coming-of-Age-Musical „Fun Home“ und dem tragikomischen Highschool-Musical „Kimberly Akimbo“ gleich zwei Mal mit dem US-Theater- und Musicalpreis Tony Award ausgezeichnet wurde, bringt in „Grounded“ ihre gesamte kompositorische Bandbreite zum Ausdruck. Ihre Oper ist emotional zugänglich, formal radikal, thematisch hochaktuell. Über ihr Werk sagte sie selbst, es behandle „ein unsichtbares Trauma“: „Die Psyche von jemandem, der keine Befehle gibt, sondern sie ausführt und am Ende den Knopf drücken muss. Zentral ist die Frage, was wir diesen Menschen abverlangen.“
Zwischen Mensch und Maschine
Inszeniert wurde die Oper von Theater-, Musical- und Filmregisseur Michael Mayer an der New Yorker Metropolitan Opera (Met). Mit visuell äußerst einprägsamen Stücken hatte der US-Amerikaner bereits am Broadway Erfolge gefeiert, wobei seine Shows zeitgenössische Musik mit klassischem Bühnendrama kombinierten. Seine Opernprotagonistin Jess ist stets präsent und wirkt dabei doch vollkommen isoliert. So ergibt sich ein Bild des modernen Krieges, das zugleich erschreckend nah und fremd wirkt. Der Krieg hat kein Schlachtfeld mehr. Nur noch Koordinaten. Und doch bleibt alles real.
Tagsüber führt Jess Luftschläge aus, abends liest sie ihrer Tochter Geschichten vor. Die Oper basiert auf dem gleichnamigen Theatermonolog von George Brant – eine Auftragsarbeit der Washington National Opera in Zusammenarbeit mit der Met. Nach der Uraufführung im Oktober 2023 im Kennedy Center in Washington eröffnete „Grounded“ im Herbst 2024 die neue Spielzeit des weltbekannten Opernhauses – ein historischer Moment: Nie zuvor hatte eine Frau mit eigenem Werk die Saison des Hauses eröffnet. Jeanine Tesoris Musik lebt von Kontrasten, die Jess’ emotionale Zustände spiegeln: das donnernde Grollen, wenn ein Angriff bevorsteht, das nervöse Ticken des Unbehagens, wenn ein Schatten im Kamerabild auftaucht, das Schweigen, wenn das Schuldgefühl zur Routine wird. Met-Chefdirigent Yannick Nézet-Séguin ist begeistert: „Jeanine Tesori ist eine dieser wirklich vielseitigen Persönlichkeiten, die für Theater und Film arbeiten. Das ist ein wunderbarer Hintergrund für die Komposition einer Oper, besonders heutzutage, wo wir kleinliches Schubladen-denken endlich überwunden haben.“
In der Oper führt Tesori diese Vielseitigkeit zu einem dichten psychologischen Klangdrama zusammen. Oder, anders gesagt, zu einem One-Woman-Drama, das für die Mezzo-Sopranistin Emily D’Angelo geradezu maßgeschneidert scheint. Mit voller darstellerischer Intensität verkörpert sie die junge Air-Force-Pilotin, die zwischen Muttersein und Mordbefehl, zwischen Kampfeinsatz und Kinderspielplatz innerlich zerrieben wird. Tesori komponiert diese Zerrissenheit als musikalische Erosion: Wenn Jess zu Beginn ihre neue Position als Drohnenpilotin besingt, klingt das wie ein mechanischer Lobgesang. Im Verlauf der Oper bricht dieser auseinander – Harmonien lösen sich auf, die Stimme verliert an Kontur, wird brüchig und grell. Im orchestralen Unterbau mischen sich Orchester- und Chorklänge mit digitalen Effekten und perkussiven Störungen. Geräusche erinnern mal an Triebwerkslärm, mal an Pulsmessgeräte oder technische Alarme.
„Grounded“ ist ein Gegenentwurf zum Heldenmythos. Es geht nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um ein Ich, das sich auflöst – in einer Gegenwart, in der der Mensch nur noch den Befehl gibt und die Technik tötet. Und Jess? Am Ende bricht sie zusammen – nicht wegen eines konkreten Befehls oder einer Struktur, sondern wegen allem, was sie gesehen hat und verdrängen musste. Sie navigiert Waffen, die brutal töten – nicht nur die sogenannten „Zielobjekte“, sondern auch Zivilisten und Kinder. Kinder wie ihr eigenes.






