Wie weit sollte man im Kampf gegen Terror gehen? Die sechsteilige Serie „Informant – Angst über der Stadt“ von Berlinale-Gewinner Matthias Glasner, die ARTE im Oktober ausstrahlt, handelt von einem geplanten Anschlag in Hamburg. Im Mittelpunkt stehen BKA-Beamtin Holly Valentin (Elisa Schlott), Informant Raza Shaheen (Ivar Wafaei), der eigentlich afghanischer Aushilfslehrer ist, und LKA-Mann Gabriel Bach, verkörpert von Jürgen Vogel. Er zählt zu den erfolgreichsten deutschen Schauspielern seiner Generation und hat sich für ein Gespräch aus seiner Wohnung in Berlin zugeschaltet.
ARTE Magazin Herr Vogel, Sie haben auf dem Arm das Wort „Halunke“ tätowiert. Identifizieren Sie sich damit?
Jürgen Vogel Ja! Das hat man uns als Kind hinterhergerufen, wenn man Mist gebaut hat. Halunken waren ein fahrendes Volk, das die Leute unterhalten hat, oft haben sie dabei was mitgehen lassen. So ein herumtourendes Volk sind wir Schauspieler ja auch ein bisschen. Es ist ein aussterbendes Wort. Ich finde, wenn man es sagt, muss man immer leicht grinsen.
ARTE Magazin Wie bekommen Sie nach der Arbeit den Kopf wieder frei?
Jürgen Vogel Als jemand, der sieben Kinder und fünf Enkel hat, braucht es da nicht viel. Sobald ich zu Hause bin, heißt es: „Papa, hast du eingekauft?“ Es wird geschleppt oder gewischt. Da fällt es leicht, runterzukommen und zu wissen, wer ich eigentlich bin.
ARTE Magazin Was hat Sie am Drehbuch zu „Informant – Angst über der Stadt“ gereizt?
Jürgen Vogel Ich finde die Serie wahnsinnig gut geschrieben von Matthias, der ja das Buch verfasst und auch Regie geführt hat. Mir gefallen die Charaktere und ich finde spannend, wie das beim Landes- und Bundeskriminalamt abläuft, einen Informanten mit migrantischem Background ohne Vorerfahrungen in ein Terrornetzwerk einzuschleusen. Die Serie erzählt ganz gut, wie weit man da gehen kann – und wie die Verantwortlichen mit ihrem Ehrgeiz, etwas zu verhindern, vielleicht auch einen Schritt zu weit gehen.
ARTE Magazin Sie haben schon oft mit Matthias Glasner gedreht und mit ihm eine Filmproduktionsgesellschaft gegründet. Was macht Ihre Zusammenarbeit aus?
Jürgen Vogel Wir haben seit 30 Jahren eine Produktionsfirma und sind uns mit dem, was wir über Menschen erzählen wollen, sehr ähnlich. Wir wollen Zuschauer in Welten eintauchen lassen, und sie dazu bringen, mal darüber nachzudenken, wie schwierig es ist, über jemanden zu urteilen. Weil jedes Schicksal so anders verläuft. Meiner Meinung nach ist das überhaupt das Wesentliche an Filmen: Nicht umsonst wurden so viele Geschichten mit Antihelden entworfen – ob James Dean und das New-Hollywood-Kino, Elia Kazan oder später Martin Scorsese –, über Menschen, die ganz viel falsch machen und uns nahebringen, wie das Leben, wie die Realität wirklich ist. Ich möchte Figuren spielen, die am Abgrund stehen. Weil ich glaube, dass wir gerne von oben herab urteilen und uns nie vorstellen können, selbst abzustürzen. Aus Filmen oder Serien kann man lernen, seine Vorurteile zurückzunehmen und zu akzeptieren, dass das Leben manchmal merkwürdige Wege geht. Wir Menschen sind zu allem fähig – das ist wohl die Grundaussage von Projekten, die Matthias und mich verbinden.
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