Kotelett auf Knopfdruck

Lebensmittel aus der Retorte sollen helfen, die Klimakatastrophe zu verhindern – und könnten die Welt­ernährung sichern.

Illustration: Giulia Neri

Steaks aus dem 3­D-Drucker, Currywurst aus der Tube, Eierpfannkuchen aus Proteingranu­lat – was für viele wie Zukunftsmusik klingt, ist für Biotech-Pioniere wie den finnischen Ingenieur Pasi ­Vainikka bereits zum Greifen nah. Sein 2018 gegründetes Unternehmen Solar Foods hat ein Verfahren entwickelt, um Nahrungsmittel aus CO₂ und Mikroben herzustellen: klimaneutral, günstig, überall – und ohne tierische Zutaten. 

Der Wandel geschieht zur rechten Zeit: Laut Weltklima­bericht 2021 ist die Agrarwirtschaft einer der schlimmsten Klimakiller und für ein Drittel aller Treib­hausgase verantwortlich. „Falls die Landwirtschaft weitermacht wie bisher, werden wir das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens verfehlen, selbst wenn alle anderen Bereiche der Wirtschaft bis 2050 klimaneutral sind“, sagt Cynthia ­Rosenzweig in der ARTE-Doku­reihe „Wen dürfen wir essen?“. Der Umbau des Ernährungssektors sei daher dringend erforderlich, so die Klimaforscherin.

Derweil wächst die Fleischnachfrage rasant. Laut dem Bericht der Welternährungsorganisation FAO von 2021 beansprucht die Viehwirtschaft inzwischen rund 3,2 Milliarden ­Hektar Agrarfläche. Das entspricht 50 Prozent der nutzbaren Landfläche des Planeten. Und wenn die Weltbevölkerung wie prognostiziert bis 2050 auf zehn Milliarden wächst, werde die landwirtschaftlich nutzbare Fläche nicht mehr ausreichen, um alle Menschen zu ernähren.

„Im vergangenen Jahr hat die Landwirtschaft 18 Gigatonnen Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen“, sagt ­Pasi ­Vainikka im Gespräch mit dem ARTE Magazin. „Rund 70 Prozent davon werden von Rindern verursacht. Wenn wir überleben wollen, müssen wir künftig auf Nahrungsmittel tierischen Ursprungs verzichten.“ Deshalb hat er sein Unternehmen im Eiltempo marktreif gemacht. Betrieben wird Solar Foods erste Produktionsstätte – Factory 01 – mit Solarstrom, aus der Atmosphäre extrahiertem CO₂, Ammoniak, Wasser und einer Bakterienart, die überall auf der Welt im Boden lebt: Cupriavidus necator. Sie vermehrt sich in atemberaubendem Tempo.

Anfang 2023 startet die ­Produktion im industriellen Maßstab. Dann wachsen in riesigen Edelstahl­behältern Abermilliarden Mikroorganismen, die automatisch geerntet und zu einem nahrhaften Pulver verarbeitet werden, dem sogenannten Solein. Rückstände aus dem Prozess werden recycelt und anschließend dem Kreislauf wieder zugeführt. Solein besteht aus rund 70 Prozent Protein, fünf bis acht Prozent Fett, bis zu 15 Prozent Kohlenhydraten und fünf Prozent Mineralien. Die Kraftnahrung der Zukunft enthalte neun essenzielle Aminosäuren sowie die Vitamine A und B. In welchen Produktvarianten sie ab 2023 in den Handel kommen soll, steht derzeit noch nicht fest.

 

Foto: Impossible Foods

 

SCHNELLE MIKROBENBRÜTER

Für Entwicklung, Bau und Betrieb der Bakterienfabrik hat Vainikka 40 Millionen Euro Risikokapital eingesammelt. Anfangs sollen seine schnellen Mikrobenbrüter pro Jahr zwei Millionen Portionen Solein herstellen. Bis 2050 plant der Biotech-Gründer einen schrittweisen Ausbau der Kapazität auf neun Milliarden Portionen pro Jahr an Standorten auf allen Kontinenten. 

Der britische Umweltexperte George Monbiot nennt den Solein-Ansatz den „bislang sinnvollsten Weg zur Rettung des Klimas und der Welternährung“. In seinem jüngsten Buch „Regenesis“ skizziert er diverse Möglichkeiten, wie die Menschheit in Zukunft satt werden kann, ohne die Erde zu zerstören. Vainikkas Idee sei „wirtschaftlich und technisch am chancenreichsten, zumal mit dem Verfahren hochwertige Nahrung bei minimalem Flächenbedarf hergestellt wird“, so Monbiot im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Gleichwohl werde sich Solein am Markt nicht über Nacht durchsetzen können: „Die Industrie wird auf das Geschäft mit Lebensmitteln tierischen Ursprungs nicht gern verzichten wollen.“ Sie werde vermutlich das Verfahren modifizieren und patentieren, um den entstehenden Markt für klimaneutrale, nachhaltige Nahrungsmittel selbst kontrollieren zu können, meint Monbiot.

Vainikka gibt sich kämpferisch: „Wenn die ersten Produkte die Factory 01 verlassen, wird die Lebensmittelbranche ihren Pearl-Harbor-Moment erleben.“ Er hofft zudem, dass die Ernährungsrevolution Auswirkungen auf die Subventionspolitik haben wird: „Es wäre sinnlos, die defizitäre Viehwirtschaft länger als nötig am Leben zu erhalten“, so der Solar-Foods-Gründer. Subventionen für Klimasünder seien „einfach nicht mehr zeitgemäß“.

Wen dürfen wir essen?

Dokureihe

ab Montag, 1.8. — 19.40 Uhr

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