Kulinarische Diplomatie

Gemeinsames Tafeln ist seit Jahrtausenden ein friedenstiftendes Ritual. So unterschiedlich Staaten heute mit der Verbindung von Politik und Essen umgehen – eine Regel gilt überall.

Illustration von Lebensmitteln
Illustration: Seb Agresti

Gleich der Auftakt war ein Hingucker: Lachs im Gurkenmantel eröffnete die Menüfolge im American Embassy Club. Der jugendlich wirkende Gastgeber, US-Präsident John F. Kennedy (1917–1963), wollte damit bei seinem Deutschland-Besuch 1963 in Bonn ein Zeichen des Neuanfangs setzen. Konnte dieser kulinarische Code vom greisenhaften Bundeskanzler ­Konrad Adenauer (1876–1967) dechiffriert werden? Überliefert ist das nicht, in jedem Fall blieb das Verhältnis der beiden Politiker ähnlich kühl wie der servierte Fisch.

Solcherlei Zusammenspiel von Speisen und Politik beleuchtet die ARTE-Dokumentation „Legendäre Dinner: Geschichte geht durch den Magen“. Der repräsentative Charakter und die Symbolik des gemeinsamen Essens seien bis heute prägend, sagt Kulturanthropologe ­Gunther ­Hirschfelder von der Universität Regensburg, einer der Experten in der Dokumentation. Schon frühe Hochkulturen hätten begonnen, dafür Normen zu setzen. „Gemeinsames Essen ist ein intimer Akt: Derjenige, mit dem ich das tue, ist nicht mein Feind“, verdeutlicht er im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Historisch-kulturelle Bezüge gibt es für den Wissenschaftler etliche. „Die frühmittelalterliche Tischgemeinschaft wird beispielsweise in der Artussage beschrieben“, so ­Hirschfelder. Bildlich finde sie sich im Teppich von Bayeux wieder, dessen kunstvolle Stickereien aus dem 11. Jahrhundert selbst die Zubereitung der Speisen darstellen. Der miteinander geleerte Trunk an der Tafel habe im Mittelalter sogar rechtsverbindlichen Charakter gehabt. Und auch das letzte Abendmahl von ­Jesus ­Christus mit Brot und Wein sowie das eng verwandte Schabbatmahl hätten im jüdisch-christlichen Europa symbolstarke Bedeutung.

Legendäre Dinner: Geschichte geht durch den Magen

Geschichtsdoku

Donnerstag, 21.9. — 20.15 Uhr
bis 30.12.26 in der Mediathek

Bundeskanzler Konrad Adenauer (vorn r.) begrüßt US-Präsident John F. Kennedy 1963 zum Staatsbankett im Bonner Palais Schaumburg.
Bundeskanzler Konrad Adenauer (vorn r.) begrüßt US-Präsident John F. Kennedy 1963 zum Staatsbankett im Bonner Palais Schaumburg. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

FRANKREICHS HAUTE CUISINE ALS VORBILD

Mit der Renaissance begann der französische Hof zu bestimmen, was auf den Tisch kommt – und wie. Das Land habe Maßstäbe gesetzt, sagt ­Gunther ­Hirschfelder. Der gut vernetzte Adel kündete etwa in Briefen von Etikette und Raffinesse höfischer Gelage. Die Franzosen lieferten das Vorbild, ein „globaler Standard“ habe sich dann mit der Durchsetzung der internationalen Diplomatie im 19. Jahrhundert herausgebildet, so der Forscher, dessen Arbeiten zu dem Thema unter anderen in den Band „Europäische Esskultur“ (2001) eingeflossen sind. Die Kolonialgeschichte habe ein Übriges getan, den europäischen Einfluss in der Küche und an der Tafel in die Welt zu tragen. Im 20. Jahrhundert seien dann die USA maßgeblich dazugekommen. Wobei auch das US-Protokoll der 1960er Jahre dem Mutterland von Lebensart und Haute Cuisine huldigte: Auf der Menükarte des ­Kennedy-­Dinners im Botschaftsclub findet sich die bemäntelte Lachs -Vorspeise als „Saumon de Norvège en Bellevue“, gefolgt von „Tournedos grillé ­Henri IV“, einem Rinderfilet-Klassiker aus der Schule des Meisterkochs ­Auguste ­Escoffier (1846–1935). Genauso französisch ging es bis zum Dessert weiter. Wohlgemerkt bei einer US-amerikanischen Einladung auf deutschem Boden.

Wenig überraschend gilt in der Zentrale des guten Geschmacks die Küchenfertigkeit als Teil der Staatskunst. ­Guillaume ­Gomez, langjähriger Chefkoch im Elysée-Palast, dem Sitz des französischen Präsidenten, gab 2020 kurz vor seinem Ausscheiden in einem Kochbuch seltene Einblicke in diese kulinarische Diplomatie höchster Güte. Ein Vorwort stammt vom inzwischen wegen Bestechung verurteilten Ex-Präsidenten ­Nicolas ­Sarkozy. Die Elysée-­Küche sei nicht weniger als „das Schaufenster Frankreichs, das Markenzeichen seiner Exzellenz“, jubelt es im Text. Selbstverständlich ist auch ­Gomez’ Nachfolger ­Fabrice ­Desvignes ein hoch dekorierter französischer Spitzengastronom.

Im Einwandererland USA hingegen schwingt mit ­Cristeta ­Comerford eine erst im Erwachsenenalter von den Philippinen immigrierte Frau das Zepter am Herd des Weißen Hauses. Seit fast 20 Jahren ist sie Chefköchin der Präsidenten. Kontinuität herrscht auch in Deutschlands erster Küche im Berliner Schloss Bellevue. Im Jahr 2000 übernahm dort Jan-­Göran Barth die Regentschaft über Töpfe und Pfannen. Für fünf Bundespräsidenten hat er seither gekocht, wobei anfangs noch Caterer bei Empfängen ins Schloss kamen. Längst vorbei, inzwischen wird im Bellevue diniert, was die eigene Küche zuvor kreiert hat. Und das aus Überzeugung grundsätzlich mit heimischen Produkten, wie Barth einmal in einem Stern-Interview hervorhob. Die ebenso eherne wie universelle Regel für Bankette verriet der Küchenchef bei der Gelegenheit auch gleich: „Ich muss Speisen so servieren, dass unsere Gäste keine Chance haben, sich zu bekleckern.“ Beim verbindenden Ritual gilt: Bloß keine Flecken bitte!