Sturm auf die Berge

Das Überwinden von Grenzen prägt die Geschichte des Skifahrens seit jeher. Was als reines Naturerlebnis begann, ist heute ein Statussymbol – und Teil des Massentourismus. Hat der Skisport eine Zukunft?

Der Mensch und die Bretter treffen auf den Berg und den Schnee – lange bevor Skifahren ein Freizeitsport für die Massen wurde, galt diese Reihung bereits. Heute ­blicken viele nostalgisch auf die Anfänge des Alpinismus. Hier zu sehen: Eine Archivaufnahme aus den 1930er Jahren. Foto: Gallica/ARTE

Frische Bergluft im Gesicht, den Blick ins Tal gerichtet. Bereit zur Abfahrt. Wer schon einmal auf Skiern stand, kennt das Gefühl der grenzenlosen Freiheit, kurz bevor es den Hang hinuntergeht. Der Mensch, der Schnee und der Berg – eigentlich ein perfektes Naturerlebnis. In den vergangenen Jahrzehnten gestaltete sich die Pistenrealität jedoch immer weniger romantisch. Erst stundenlange Staus bei der Anfahrt, dann reges Gedränge am Lift. Und oben auf dem Berg? Oktoberfeststimmung auf überfüllten Sonnenterrassen.
Mehr als 14 Millionen Deutsche fahren jedes Jahr mindestens ein Mal in den Skiurlaub. Die Nebenwirkungen sind bekannt.

Umweltschützer bezeichnen Skigebiete umstandslos als „Katastrophe“ für Pflanzen und Tiere. Angesichts dessen hoffen nun einige, dass die pandemiebedingte Drosselung des Skibetriebs ein Umdenken einleitet. Doch wie könnte ein naturverträglicher Wintersport-Tourismus aussehen? Ein nostalgischer Blick in die Vergangenheit, wie ihn Pierre-­Antoine ­Hiroz in der ARTE-Doku „Die Ski-Saga“ unternimmt, lässt es erahnen. Die Geschichte der Skier geht mindestens zehntausend Jahre zurück, wie Felsmalereien in mongolischen Bergen zeigen. Auch in mittelalterlichen Büchern werden nordische Völker auf Holzbrettern abgebildet, die bei der Jagd zum Einsatz kamen.

Ein Plakat von 1960 aus Quebec. Illustration: Buyenlarge/Getty Images

Die Ski-Saga

Geschichtsdoku

Samstag, 27.2. — 21.45 Uhr
bis 28.3. in der Mediathek

In neuerer Zeit, ehe sich das Skifahren zur globalen Freizeitaktivität entwickelt hat und eine millionenschwere Branche daraus entstanden ist, waren Pistenabfahrten nur etwas für todesmutige Bergbezwinger und Abenteurer. Der Begriff „Ski“ leitet sich aus dem altnordischen „skíð“ ab und bedeutet so viel wie „geteiltes Holzscheit“. Auf diesem durchquerte der norwegische Forscher ­Fridtjof ­Nansen 1888 Grönland und sorgte damit für Aufsehen. Durch den technischen Fortschritt entwickelten sich die schwerfälligen Holzbretter zu leichten Design-Skiern aus Werkstoffen wie vulkanisiertem Naturkautschuk. Riesige Liftsysteme sorgen heute für einen bequemen Zugang zu den abgelegensten Pisten. Selbst Nostalgie hat in der hochgerüsteten Skiwelt einen festen Platz – in Form von rustikalen Berghütten und stolz ausgestellten Retro-­Skiern in Bergrestaurants. Und entlang der Serpentinen treffen Elektro-­Taxis und Pferdekutschen ganz selbstverständlich aufeinander.

Nicht nur modisch wurde das Skifahren von den 1970ern an, als grellbunte Schneeanzüge die Piste eroberten, zur Jagd nach Extremen. Während Skisportler im Geschwindigkeitsrausch immer neue Rekorde aufstellen, prägen Freerider das moderne Skidesign. Beim Heliskiing oder „Powdern“ fahren Abenteuerlustige in einer Woche durchschnittlich 7.000 Höhenmeter bergab. Das Gleiten auf Tiefschnee in unberührten Landschaften lockt Pulverschneeliebhaber auf eine Reise um die Welt. Heute kann man in 75 Ländern auf allen sieben Kontinenten seiner Begeisterung für steile Abfahrten nachkommen – auf echtem und auf Kunstschnee in mehr als 6.000 Skigebieten. Die Vielfalt scheint grenzenlos – ob eine Skifahrt durch die heiligen Wälder in Japan, bei Mitternachtssonne in Lappland, an Steilhängen im Iran oder in Kombination von Bergen und Meer im Libanon.

Es überrascht kaum, dass sich Skiurlaube zu einem Statussymbol entwickelt und eine Luxus-Parallelwelt hervorgebracht haben. Wer es sich leisten kann, bucht ein Chalet mit eigenem Nachtclub oder entspannt nach erfolgreicher Abfahrt mit Champagner in einem Erlebnisbad. Dabei scheinen die Preise in vielen Skigebieten entsprechend den jeweiligen Höhenmetern zu steigen. Sogar im Hochsommer werden in den Alpen eine Handvoll Skipisten befahren – etwa auf dem Matterhorn.

Bei Wintersportpuristen und Naturschützern stößt die Entwicklung schon länger auf Widerstand. Einige kehren als Skibergsteiger und Telemarker zu den Wurzeln zurück. Als Reaktion auf die Umweltbelastung durch den Massenandrang rät auch Alpenforscher ­Werner ­Bätzing zu einem „Tourismus, der die winterlichen Alpen als ­Erlebnis- und Kultur­raum entdeckt. Wo man sich aus eigener Kraft körperlich bewegt und ein echtes Alpen­erlebnis hat.“ Sollte der Klimawandel – wie erwartet – zu einer weiteren Erwärmung führen, werden auch Kunstschnee und Snowfarming irgendwann nicht mehr ausreichen, um die Zukunft des Skisports zu sichern. Die Jagd nach der perfekten Linie im Schnee wird in Zukunft wohl noch kostbarer werden.

Die besondere Natur- und Kulturlandschaft muss ins Zentrum des Alpentourismus gestellt werden

Werner Bätzing, Kulturgeograf