Mit dem Herzen ausgelöst

HUMANIST Seine Fotos zeigen Alltägliches im schönsten Licht. In Willy Ronis’ Werk spiegeln sich politische Haltung und Empathie gleichermaßen.

Foto: La Monnaie de Paris/HO/DPA

Drei Männer sitzen erschöpft im Halbschatten, den ein Lagerfeuer entlang des Bauzauns wirft. Sie lächeln den Mann hinter der Kamera an, als wäre er ihr Freund. Und das war Willy Ronis: ein Freund der einfachen Leute. Einer, der ihre Kämpfe für Gleichberechtigung und ihre Suche nach dem guten Leben unterstützte. Mit seiner Kamera hielt er Situationen fest, wie sie im Alltag entstehen, aber nur in der Kunst wirken. Die ARTE-Dokumentation „­Willy ­Ronis – Der Fotograf von Paris“ zeigt, wie er in der Nachkriegszeit zu einem der wichtigsten Vertreter der humanistischen Fotografie aufstieg.
Gelernt hatte ­Ronis das Handwerk im Fotostudio seines Vaters, das Auge schulte er abseits der Grands Boulevards. „Er fotografierte das Paris der armen Menschen. Das terrain vague schmaler Gassen und Hinterhöfe, rauchende Schlote, im Vordergrund verloren wirkende Jungen beim Spiel“, erklärt ­Markus ­Müller, Leiter des Picasso-­Museums Münster, das 2013 eine Willy-­Ronis-­Ausstellung präsentierte. ­Ronis war selbst einer dieser Jungen: aufgewachsen am Fuß des Montmartre in bescheidenen Verhältnissen als Sohn jüdischer Emigranten.

Willy Ronis – Der Fotograf von Paris

Porträt
Sonntag, 5.7. • 17.00 Uhr
bis 2.9. in der Mediathek.

Foto: REMY DE LA MAUVINIERE/dpa Picture-Alliance

Fotograf wider Willen
Eigentlich wollte Ronis Komponist werden. Doch die Krebserkrankung des Vaters machte aus ihm einen Fotografen: Er übernahm dessen Studio am Boulevard Voltaire. Seine kommunistische Einstellung aber machte ihn zum Reporter – bei Versammlungen, Streiks und Demonstrationen. 1938 schoss er sein erstes ikonisches Foto: Eine Gewerkschaftsvertreterin der Citroën-­Werke hält, auf einem Tisch stehend, eine Ansprache an ihre streikenden Kolleginnen. ­Ronis zeigt sie, ohne dabei die Masse der Zuhörerinnen aus dem Blick zu verlieren. Der empathische Blick auf die Menschen, ohne zu romantisieren, verbindet ihn mit anderen Vertretern der humanistischen Fotografie. „Häufig Melancholie, nie Pessimismus: Morgen wird es besser“, beschrieb ­Ronis seine Philosophie.
Das bessere Morgen schien nach dem Zweiten Weltkrieg gekommen. Die illustrierte Presse boomte. Allein in Paris erschienen 24 Tageszeitungen. Und alle brauchten Fotoreporter. „Der Beruf war zu diesem Zeitpunkt noch nicht institutionalisiert, sondern Learning by Doing“, sagt ­Müller im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Sein Wissen gab ­Ronis erst in den 1970er und 1980er Jahren als Lehrer weiter. Ebenso lange dauerte es, bis die Arbeit der humanistischen Fotografen, vor allem die von ­Ronis, anerkannt wurde.
Zwar zeigte das New Yorker Museum of Modern Art bereits 1951 eine Ausstellung humanistischer Fotografien, doch mit dem Aufkommen des Fernsehens schwand schnell die Bedeutung der Fotoreportage. ­Ronis suchte neue Wege – aus der Not heraus, aber auch aus Trotz. Seine Überzeugungen waren ihm wichtiger als Geld und Ruhm. „Ich werde mit dem Herzen links sterben, ganz wie ich gelebt habe“, sagte er einmal. Mit dem Magazin Life überwarf er sich, weil sie sich nicht an die Absprache hielten, ­Ronis’ Bilder nach seinem Wunsch zu untertiteln. Von der renommierten Agentur ­Rapho trennte er sich, weil sie seine Bilder retouchierte. „Er hat sich nicht für billige Kompromisse hergegeben“, sagt ­Müller, „er war sehr konsequent.“ Konsequent – und sensibel. Stets fragte er sich, was eine Veröffentlichung für die abgebildeten Personen bedeuten würde. So fotografierte ­Ronis 1945 den Abschied einer Krankenschwester von einem Soldaten. Ein intimer Moment, in dem beide selbstvergessen die Trennung wirken lassen. ­Ronis veröffentlichte das Foto erst viel später. Zu groß war seine Angst, die Frau könne ihrer Familie gegenüber in Verlegenheit geraten.

Foto: Ministère de la Culture – Médiathèque de l'architecture et du patrimoine/Willy Ronis/Arte F (2)

Immer mehr Zeit verbrachte er deshalb außerhalb von Paris, abseits vom effekthascherischen Fotojournalismus, vor allem im ­Vaucluse. Dort fand er zu einer privateren Bildsprache. Fotos von seiner Frau bei der Toilette und von Sohn ­Vincent beim Spielen mit einem Modellflugzeug sind Sinnbilder für die Zurückgezogenheit, die ­Ronis schätzte.
Die Atmosphäre seiner Fotos entstand stets im Moment, aber selten spontan. Hatte ­Ronis eine Bildkomposition gefunden, die ihm gefiel, wartete er auf den passenden Menschen, um sie zu beleben. Er wusste, wie dieser sich durch das Bild bewegen würde. „Vorauseilendes Sehen“ nennt ­Müller diese Vorgehensweise. ­Ronis’ Fotos sind Zeitzeugen des Alltags. „Der dokumentarische und historische Wert dieser Bilder hat sich erst mit den Jahrzehnten gezeigt“, so ­Müller. Bis ins hohe Alter fotografierte Ronis, kehrte dafür in den 1980ern sogar nach Paris zurück. Stetig vergrößerte er sein Archiv des proletarischen Frankreichs. Über 95.000 Negative hinterließ er, als er 2009 schließlich im Alter von 99 Jahren starb.