TRÜGERISCHE HOFFNUNG

HINDUKUSCH Vier Jahrzehnte Krieg haben Afghanistan gezeichnet. Hat der zwischen den USA und den Taliban verhandelte Frieden eine reelle Chance?

Foto: David Stewart-Smith/Getty Images

Endlich schweigen am Hindukusch die Waffen. Mehr als 18 Jahre nach dem Einmarsch der US-Truppen in Afghanistan haben die radikal-islamischen Taliban und die USA am 29. Februar in Doha ein Abkommen unterzeichnet, das den endgültigen Abzug von ­NATO- und US-­Einheiten aus dem Land regeln soll. Doch zum Jubeln ist es zu früh, denn nun streben die Taliban erneut nach der Macht in Kabul.
„40 Jahre Krieg – da wäre es langsam an der Zeit, dass die Menschen endlich wieder ohne Terror, Unterdrückung und Gewalt leben können“, sagt der US-afghanische Schriftsteller ­Khaled ­Hosseini im Gespräch mit dem ARTE Magazin. „Sollten die Taliban erneut die Oberhand gewinnen, droht Afghanistan der Rückfall in die Steinzeit.“
­Hosseini, der mit seinem autobiografischen Roman „Drachenläufer“ 2003 einen Welterfolg landete, wuchs in Kabul auf, zog 1976 mit der ­Familie nach Paris, wo sein Vater als Diplomat tätig war. Seit 1980 lebt er im Exil in den USA. Für die Doku­reihe „Afghanistan. Das verwundete Land“, die ARTE im April ausstrahlt, war er als Berater und Kommentator tätig.
Als der Schriftsteller 2003 erstmals aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehrte, lag seine Heimat in Trümmern. „Die Menschen, mit denen ich seinerzeit sprach, hatten die stille Hoffnung, dass der Sieg über die Taliban und die mit ihnen verbündeten al-Qaida-Terroristen den Weg für die Demokratisierung des Landes ebnen würde“, sagt ­Hosseini. „Doch dann wandten sich die USA von Afghanistan ab und widmeten sich dem Irak, um ­Saddam ­Hussein zu stürzen.“ Das Land wurde zum Nebenschauplatz auf der geopolitischen Karte des Westens; die Demokratisierung verlief schleppend; Korruption, Kriminalität und Bombenanschläge dominierten den Alltag.
2007 und 2010 bereiste ­Hosseini als UN-Sonderbotschafter erneut das Land. „Die Menschen hatten sich mit dem Terror, der trotz westlicher Militärpräsenz allgegenwärtig war, inzwischen arrangiert – so absurd es klingen mag“, sagt er. „Damals traf ich viele Familien, die in provisorischen Bunkern hausten, um der Gewalt auf den Straßen zu entkommen. Ihr Leben war alles andere als sicher. Solche Bilder gab es in den westlichen Medien freilich selten zu sehen –der NATO-Einsatz sollte ja als Erfolgsgeschichte dargestellt werden.“
Mit Abstrichen war er es sogar: „Vor zehn oder 15 Jahren wäre es unmöglich gewesen, dass die Menschen auf die Straße gehen und für den Frieden und ihre Grundrechte protestieren, wie sie es in jüngster Zeit tun. Insofern hat sich die Lage wohl gebessert“, konzediert ­Hosseini. Und dennoch: Auf dringende Fragen etwa zur Sicherheit auf den Straßen, zur Situation der heimkehrenden Flüchtlinge, zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Bildungspolitik habe die amtierende Regierung „bislang keine zufriedenstellenden Antworten gegeben“.

Afghanistan. Das verwundete Land

4-tlg. Dokureihe
Dienstag, 7.4. • ab 20.15 Uhr
bis 5.7. in der Mediathek.

Foto: ADEK BERRY/AFP/Getty Images

Regierung hat wenig Rückhalt
Die Mehrheit der Bevölkerung will daher von der derzeitigen Politik in Kabul nichts wissen. Das hat die jüngste Präsidentenwahl gezeigt, deren Endergebnis am 18. Februar verkündet wurde – fast fünf Monate nach dem Wahltag am 28. September 2019: Der amtierende Präsident ­Aschraf ­Ghani gewann den Urnengang mit gerade einmal 923.592 Stimmen; das entspricht weniger als zehn Prozent der Wahlberechtigten.
­Thomas ­Ruttig, Co-Direktor des Berliner Afghanistan Analysts Network (AAN), ist zwar erfreut darüber, dass „die Wahlen von 2019 im Vergleich zu vorangegangenen Jahren transparenter waren“. Sollten sich Ghani und das politische Establishment in Kabul aber nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen und die Probleme in Regionen abseits der Hauptstadt angehen, spiele das den Taliban, die mittlerweile etliche Provinzen kon­trollieren, zwangsläufig in die Hände.
Die radikalen Islamisten, die von 1996 bis 2001 Afghanistan beherrschten und sich wegen ihrer blutrünstigen, frauenverachtenden und terroristenfreundlichen Politik den Zorn der Weltgemeinschaft zuzogen, erhoffen sich von dem Friedensprozess einen erneuten und dieses Mal anhaltenden Machtgewinn. Manche Beobachter sind daher skeptisch, ob die Gespräche zwischen der Regierung und den Taliban überhaupt Chancen auf Erfolg haben.

Frauen fürchten Rückkehr der Taliban
„Die innerafghanischen Verhandlungen könnten sich endlos hinziehen, weil die Differenzen nahezu unüberwindbar sind“, sagt etwa ­Vanda Felbab-­Brown von der Brookings Institution in Washington, einem außenpolitischen Thinktank. Zudem liefen hinter verschlossenen Türen bereits Konsultationen zwischen Taliban und afghanischen Oppositionspolitikern, darunter Ex-Präsident ­Hamid ­Karzai. Ziel sei eine gemeinsame Übergangsregierung. Sogar ehemalige Mudjahedin-Warlords wie der einflussreiche ­Gulbuddin ­Hekmatyar wollen bei dem Machtpoker in Kabul mitmischen.
Neue Konflikte sind absehbar: „In weiten Teilen der Bevölkerung sind die Taliban nicht willkommen“, sagt ­Khaled ­Hosseini. „Viele Afghaninnen und Afghanen lehnen deren rückwärtsgewandte Auslegung des Islam kategorisch ab.“ Vor allem Frauen betrachten die jüngste Entwicklung mit Sorge. „Während des Taliban-­Regimes mussten sie extrem leiden“, so ­Hosseini. „Die mit der Demokratisierung allmählich errungenen Freiheiten werden sie daher wohl nicht mehr kampflos hergeben.“