Der Wolf im Menschen

Er war brillant, streitlustig, lebte exzessiv: Der Dichter Thomas Brasch lieferte sich immer wieder selbst ans Messer. Ein vielfach prämiertes Biopic erzählt seine Geschichte. 

Dichter Thomas Brasch am Schreibtisch mit Zigarette
In der DDR durfte er nicht publizieren, in der BRD nervte die Ost-Schublade: Thomas Brasch 1978 in seiner West-Berliner Wohnung. Zwei Jahre zuvor war er zusammen mit seiner Partnerin Katharina Thalbach ausgereist. Foto: bpk/Bundesstiftung Aufarbeitung/Klaus Mehner

Hunderttausend Dollar, diese Summe bot man Thomas Brasch für seine Lebensgeschichte. In einer New Yorker Bar schlug ein Literaturagent folgenden Deal vor: das Geld, dazu ein Apartment mit Blick auf den Central Park, Schlüsselübergabe sofort. Dafür sollte der Schriftsteller jeden Freitag 20 Seiten abliefern, über seine Erlebnisse als ostdeutscher Funktionärssohn, verbotener Dichter und Dissident wider Willen schreiben. Wie so oft aber weigerte sich Brasch. Er hatte die Verwurstung der eigenen Biografie stets abgelehnt, weil er sie irrelevant, vielleicht auch einfach zu schmerzhaft fand. Ein paar Wodka ließ er sich an der Theke trotzdem bezahlen, damals, im Manhattan der späten 1970er Jahre. So jedenfalls zeigt es der Kinofilm „­Lieber ­Thomas“ von Andreas Kleinert, den ARTE im Februar ausstrahlt. Und der das verschmähte Vorhaben nun gewissermaßen doch umsetzt: das rastlose, ausufernde Leben von ­Thomas Brasch zum Gegenstand einer Erzählung zu machen.

Es ist ja auch eine filmreife Story: die des ewigen Rebellen, in dessen Vita die Brocken deutscher Geschichte knirschen. Geboren 1945 in England als Kind jüdischer Emigranten, wuchs ­Thomas Brasch in der DDR auf. Der Vater avancierte zum stellvertretenden Kulturminister, die Familie verkehrte mit den Eliten. Der älteste Brasch-Sohn aber geriet mit dem Establishment aneinander: flog von der Filmhochschule in Babelsberg, musste ins Gefängnis, weil er Flugblätter gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings verteilt hatte. Danach ackerte er als Fräser in der Industrie. Der Legende nach hatte ihn der eigene Vater an die Stasi verpfiffen.

 

Thomas Brasch (­Albrecht Schuch, l.) will Schriftsteller werden in DDR und BRD.Andreas Kleinert verfilmt das Leben des Dichters.
Er verkörperte die deutsch-deutsche Zerrissenheit wie wenige andere: Thomas Brasch (­Albrecht Schuch, l.) will Schriftsteller werden, eckt überall an, in der DDR wie in der BRD. Andreas Kleinert verfilmt das Leben des Dichters. Sein Biopic wurde neunmal mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Foto: Zeitsprung Pictures/Wild Bunch

 

Seinen Entschluss zur Schriftstellerkarriere soll ­Thomas Brasch schon als Elfjähriger in der Kadettenschule verkündet haben, wo es im Sommer Armeelager statt Ferien gab. Der Vorsatz brachte nicht den beabsichtigten Rauswurf, das Schreiben aber erwies sich als Obsession. Immer ging es Brasch in seinen Texten ums Existenzielle, um die Unmöglichkeit, als Mensch frei zu sein, aus der eigenen Haut zu kommen. „Der Schädel ist ein keimfreies Schlachthaus“, heißt es im Gedichtband „Kargo“ (1977). Anderswo liegt jemandem ein lebendiger Wolf im Magen. Keiner weiß, wie er dort gelandet ist, aber verscheuchen lässt er sich nicht mehr.

In „Lieber Thomas“ ist Brasch entsprechend atemlos zu sehen, mit der Zigarette im Mundwinkel und manischem Schaffensdrang. Albrecht Schuch, der dafür den Deutschen Filmpreis bekam, spielt ihn als Mann mit Sinn für Exzess. Frauengeschichten gibt es viele, Schnäpse auch, und das erste Kokain wird noch durch einen Geldschein mit Marx-Konterfei gezogen. „Man darf das Publikum nicht langweilen, man muss es mit der Axt erwecken“, erklärt der Brasch im Film. Weil sein Buch „Vor den Vätern sterben die Söhne“ (1977) in der DDR nicht erscheinen darf, reisen er und seine Freundin, die Schauspielerin ­Katharina ­Thalbach (­Jella Haase), 1976 nach West-Berlin aus. Dort empfängt man den Autor mit der Lederjacke gern. Fast über Nacht wird er zur Literatursensation, mit Preisen im Regal und Auftritten in Talkshowrunden. Sein erster Kinofilm „Engel aus Eisen“ (1981) läuft beim Festival in Cannes. Es hätte der ultimative Triumph sein können.

Drama

Montag, 13.2. — 22.25 Uhr
bis 14.3. in der Mediathek

„Ich bin das Schnitzel“

Die Sache war nur, dass Brasch keine Lust auf das Ost-Etikett hatte, das man ihm nun überall aufklebte. Er wollte nicht für „die da drüben“ reden, gegen sie schon gar nicht. Widerspruch suchte er permanent. Die Medien waren ihm suspekt, zugleich drängte er ins Rampenlicht: „Ich verkaufe den Brasch.“ In einem Fernsehbeitrag drückte er es so aus: „Sie sind der Kellner. Die Fernsehzuschauer sind die Gäste. Und ich bin das Schnitzel.“ Die Frage sei nur, ob es am Ende auch schmeckt – oder wem. Es gehört zur Folkore dieses großen Dichters, dass er seinen Neuanfang „in einer offenen Gegend“ nicht finden konnte. Irgendwann, als die DDR schon aufgehört hatte zu existieren, schien auch Thomas Brasch zu verstummen. Er hatte weitere Filme gedreht, Tony Curtis für das Drama „Der Passagier“ (1988) als Holocaust-Überlebenden engagiert. Er hatte Theater geschrieben, Shakespeare und Tschechow übersetzt. Sein letztes Werk aber blieb eine Baustelle: Bis zu seinem Tod im Jahr 2001 vergrub sich Brasch in die Geschichte eines Mädchenmörders, die ihn zeitlebens beschäftigt hatte. Tausende Seiten umfasste das Manuskript. Er nannte es sein „Wörtergefängnis“.

Ich verkaufe den Brasch