VERSTREUT IN ALLE WINDE

SUCHDIENSTE Rotes Kreuz und UN klärten nach 1945 die Schicksale von Millionen Vermissten.

Foto: Andreas Schmid/DRK

Fast eine halbe Million Kinder irrten am Ende des Zweiten Weltkriegs von ihren Familien getrennt durch das zerstörte Land. Einige waren Waisen; viele kamen in Lager, Kinderheime oder Pflegefamilien. Am schlimmsten traf es jene, die so jung waren, dass sie nicht wussten, wie sie hießen.
Nicht nur die Kinder waren entwurzelt: Ein Viertel der Bewohner des Deutschen Reichs suchte bei Kriegsende nach Angehörigen. Gemeinsam mit dem Caritas­-Verband und dem Hilfswerk der Evangelischen Kirche gründete das Deutsche Rote Kreuz (DRK) daher im Oktober 1945 einen Suchdienst, um auseinandergerissene Familien zusammenzuführen oder zumindest den Verbleib der Verschollenen aufzuklären. Die Kartei umfasste Anfang der 1950er Jahre insgesamt rund 20 Millionen Vermisste.

19 Millionen Fälle geklärt

Ehrenamtliche Helfer sammelten Daten und befragten Hunderttausende Kriegsheimkehrer. Das DRK druckte Plakate und schaltete Anzeigen; in Kinos und im Radio liefen Suchmeldungen bis in die frühen 1980er Jahre. 1947 eröffnete der Dienst in Berlin eine Verbindungsstelle. Deren Mitarbeiter koordinierten die Suche in der besetzten Stadt, in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR. „Deutschlandweit konnten bis heute fast 19 Millionen Fälle geklärt werden“, teilte das DRK vergangenes Jahr mit. Bei den gesuchten Kindern seien nur noch rund 400 Fälle offen.

Alte Nazi-Seilschaften

Trotz aller unbestrittenen Erfolge musste der Suchdienst später um sein Image bangen: 1968 fand Der Spiegel heraus, dass Kurt ­Wagner, einer der Initiatoren des Dienstes, untergetauchte NS-­Täter vor dem Zugriff der Justiz gewarnt hatte. Zu denen, die auf diese Weise ihrer Strafe entgingen, gehörte dem Spiegel-Bericht zufolge auch ­Alois ­Brunner. Der enge Mitarbeiter von Holocaust-Planer ­Adolf ­Eichmann war verantwortlich für die Deportation von mehr als 100.000 Juden in die Vernichtungslager.
Unabhängig vom DRK richteten die Vereinten Nationen 1945 einen Internationalen Suchdienst (ITS) für Holocaust-­Opfer, ehemalige Zwangsarbeiter und von den Nazis verschleppte Kinder ein. Die im hessischen Arolsen ansässige Organisation unterhält heute mit 30 Millionen Dokumenten eines der umfangreichsten Archive über Opfer und Täter des Nazi-­Regimes. Inzwischen sind 14 Millionen Datensätze online recherchierbar. Im vergangenen Jahr erhielt der Dienst auf der Website digitalcollections.its-arolsen.org
rund 350.000 Suchanfragen.

Berlin 1945

2-tlg. Dokumentarfilm
Dienstag, 5.5. • ab 20.15 Uhr
bis 2.8. in der Mediathek.