»Neue Energie und Kraft«

Die Wechseljahre haben ein schlechtes Image. Zu Unrecht, findet die Gynäkologin und Autorin Sheila de Liz. Ein Gespräch über eine sehr besondere Lebensphase der Frauen.

Menopause Illustration
Illustration: NICK VEASEY/SCIENCE PHOTO LIBRARY/Getty Images

Ab Anfang 40 bemerken viele Frauen die ersten hormonellen Veränderungen. Viele Syptome der beginnenden Wechseljahre treffen sie unvorbereitet und sorgen für Verunsicherung. Das muss nicht so sein, sagt die Gynäkologin Dr. ­Sheila de Liz, die an sich selbst und ihren Patientinnen auch ein neues, positives Lebensgefühl beobachtete. Mit ihrem Buch „Woman on ­Fire – Alles über die fabelhaften Wechseljahre“ landete sie mit fast 500.000 verkauften Exemplaren einen Best­seller. Beim Gespräch in ihrer Praxis in Wiesbaden betont die 54-Jährige, wie wichtig Aufklärung ist. Nur wer alle Fakten und Zusammenhänge kenne, könne selbstbestimmt darüber entscheiden, ob eine Behandlung nötig und welche die individuell richtige ist.

Menopause: Frauen berichten

Dokumentarfilm

Dienstag, 25.6.
— 21.45 Uhr
bis 28.9. in der
Mediathek

ARTE Magazin Frau de Liz, es heißt immer, die Wechseljahre seien keine Krankheit. Was sind sie dann?

Sheila de Liz Ich finde diesen Satz problematisch, denn im Subtext schwingt ein „Stellen Sie sich nicht so an, Sie sind ja nicht krank“ mit. Es ist so, dass die Eierstöcke in dieser Phase langsam ihren Dienst einstellen. Frauen verlieren dabei ungefähr 70 Prozent ihrer hormonellen Versorgung. Das ist massiv und kann zu Symptomen führen, die Krankheitswert haben. Viele Betroffene – und auch Ärzte – fokussieren sich jedoch auf die Symptome, die man spürt, also zum Beispiel auf Hitze­wallungen. Die sind jedoch vor allem ein Alarmsignal des Körpers. Die schlimmen und langfristigen Schäden, die ein Hormonmangel verursachen kann, merkt man nicht sofort: Nierenprobleme durch ständige Harnwegsinfekte, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose, Schlaganfälle, Demenz.

ARTE Magazin Sie betonen in Ihrem Buch die positiven ­Seiten der Wechseljahre. Welche sind das?

Sheila de Liz Frauen bekommen auch heute noch viel zu oft zu hören: Sie sind eben alt, da müssen Sie durch. Auch ich dachte früher, man gehört dann zum alten Eisen, die guten Dinge im Leben sollte man vorher erlebt haben. Als ich selbst in die Wechseljahre gekommen bin, habe ich gemerkt: Moment mal, trotz Beschwerden ist vieles so viel besser! Ich fühlte mich freier, hatte plötzlich eine für mich neue Energie und Kraft, um Störendes abzuwerfen. Ich habe die Frauen um mich herum beobachtet und gemerkt: Das geht allen so!

ARTE Magazin Warum gibt es generell so wenig Beratung?

Sheila de Liz Die Wechseljahre werden aus diversen Gründen bis heute stiefmütterlich behandelt. Angehende Medizinerinnen und Mediziner lernen im Studium und in der Facharzt­ausbildung kaum etwas darüber. Das Thema hat nicht so einen hohen Stellenwert wie beispielsweise die Geburtshilfe, weil man an Hitzewallungen oder Haarausfall eben nicht stirbt. Überdies hat man als Kassenarzt wenig Zeit, die Frauen umfassend aufzuklären. Pro Patientin hat man sechs, sieben Minuten. Die Krankenkasse bezahlt zwar die Medikamente, aber nicht die Aufklärung.

ARTE Magazin Was sagt die geringe Bedeutung, die den Wechseljahren zugeschrieben wird, über die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft aus?

Sheila de Liz Generell hatten Frauen die längste Zeit eine untergeordnete Rolle inne. Sie sollten zu Hause funktionieren und sich nicht in den Vordergrund drängen. Diese Einstellung hat auch die Medizin, die von Männern dominiert wurde und wird, durchaus gespiegelt. Wir Frauen sind zudem relativ schmerztolerant und wurden dazu erzogen, nicht zu jammern. Zudem haben wir tendenziell die Angewohnheit, die Schuld bei uns selbst zu suchen, und schämen uns, den Arzt bei vermeintlich harmlosen Zipperlein um Rat zu fragen.

ARTE Magazin Wie könnte man Betroffene unterstützen?

Sheila de Liz Eine einfache Maßnahme wäre, allen Frauen ab dem 40. Lebensjahr eine Infobroschüre zum Thema Wechseljahre zukommen zu lassen. Man signalisiert den Frauen damit, dass ihre Symptome ernst genommen werden und dass man sie behandeln kann. Bei Männern ist es selbstverständlich, dass sie hormonell bedingte Erektionsstörungen nicht hinnehmen müssen. Sie bekommen Viagra verschrieben und brauchen sich nicht zu rechtfertigen. Darüber hinaus bin ich für die Einführung einer separaten Qualifikation für Gynäkologie – für Reproduktionsmedizin gibt es das schon. Es ist sehr viel Wissen nötig, um alle Feinheiten zu erkennen.

ARTE Magazin Sie haben mit der Journalistin Miriam Stein die Bewegung „Wir sind neun Millionen!“ gegründet. Was ist deren Anliegen?

Sheila de Liz Wir wollen die Menopause in der Öffentlichkeit sichtbarer machen. Es sollte etwa am Arbeitsplatz nicht peinlich sein, darüber zu sprechen. Unternehmen können Betroffenen Gleitzeit und Ruheräume anbieten. Mit dem Fachkräftemangel können wir es uns wirklich nicht länger erlauben, dass erfahrene, hoch qualifizierte Frauen wegen menopausaler Beschwerden ihre Stunden zurückschrauben.

ARTE Magazin Beobachten Sie bereits ein Umdenken?

Sheila de Liz Bei den Frauen auf jeden Fall. Sie haben heute ganz andere Möglichkeiten als frühere Generationen. Unsere Großmütter fühlten sich mit 50 oft alt – heute stehen Frauen in diesem Alter mitten im Leben.

Zur Person
Dr. med. Sheila de Liz, Gynäkologin

Die deutsch-amerikanische Medizinerin betreibt eine Praxis in Wiesbaden und schreibt Bücher über Frauengesundheit. Zuletzt Endometriose – Alles, was du wirklich wissen musst.