Gegen alle Regeln

Donald Trumps Außenpolitik war geprägt von Tabubrüchen im Stile von Autokraten. Sein Kalkül? Machthunger. Die Diplomatie muss die Welt vor solchen Hasardeuren schützen.

Foto: Klawe Rzeczy

Es war eine verblüffende Liebeserklärung: „I fell in love“, sagte US-Präsident Donald Trump im September 2018 über Nordkoreas Diktator Kim ­Jong-un. Besser als in diesen vier Worten lässt sich kaum fassen, was es mit der Versuchung mancher Staatenlenker auf sich hat, etablierte Regelwerke mit Nonchalance und Kalkül beiseitezuschieben. Schließlich ist Kim ein Außenseiter in der internationalen Gemeinschaft. Er verfolgt ein verbotenes Atomwaffenprogramm, lässt sein Volk dafür hungern und verletzt selbst internationale Regeln auf brandgefährliche Weise. Offenbar war er damit der ideale Partner für Trump, um im Juni 2018 jene sensationelle Show-Begegnung in Singapur zu veranstalten, die weltweit Erstaunen und Entsetzen erregte, wie die ARTE-­Dokureihe „America First – Bilanz einer Amtszeit“ aufzeigt.

Drei Jahre danach sind Nordkoreas Elend und sein Atomwaffenprogramm unverändert. Und statt die USA wirklich nach vorn zu führen, hat Trump sein Land allseitig geschwächt. Was zeigt, dass Probleme nicht wirklich durch den massiven Missbrauch ihnen zugrunde liegender Regeln zu lösen sind. Feldherren, (Möchtegern-)Eroberer und egomanische Spielernaturen erlagen im Laufe der Geschichte diesem Irrtum immer wieder. Diplomaten vereinbarten genau deshalb Grenzen, erstellten Regelwerke und trafen Verabredungen, um das Zusammenleben von Staaten und Menschen friedlich vonstattengehen zu lassen. Unsere heutigen internationalen Regeln sind von den Vereinten Nationen seit 1945 entwickelt worden; es sind komplizierte Systeme dafür, dass 193 Nationen einigermaßen miteinander auskommen. Denn eine Weltregierung, die das sicherstellen könnte, gibt es nicht. In unserer interdependenten Welt kommunizieren Menschen, wie sie konsumieren: global. Das spiegelt sich auf staatlicher Ebene. Entsprechend vervielfältigen sich Reibungen und können zu dramatischen Konflikten führen. Deshalb sind die Regeln unserer liberalen Weltordnung für uns überlebenswichtig.

Aber überall auf der Welt gibt es Abenteurer und Hasardeure. Sie sind immer wieder versucht, die Regeln beiseitezuschieben, die sie verachten, und Vorteile auf Kosten anderer zu erringen. So ­Saddam ­Hussein, der 1990 meinte, Kuwait dem Irak eingliedern zu können – und den Ersten Golfkrieg 1991 verlor. So – ein sehr viel harmloseres Beispiel! – der italienische Innenminister ­Matteo ­Salvini, der mit Härte gegen die Flüchtlinge im Mittelmeer und mit schrankenloser EU-Kritik einen „Superwahlsieg“ anstrebte. Und Posten wie Ansehen verlor.

Solche Beispiele weisen auf den Kern des Problems, das denen zu schaffen macht, die von der Staatengemeinschaft gesetzte Grenzen verletzen: Unberechenbarkeit rechnet sich eben nur sehr selten. Die Fähigkeit, sich über widrige Umstände hinwegzusetzen, braucht immer noch etwas anderes, um erfolgreich zu sein: Macht. Schiere Macht ist es nicht nur, die die Trumps, ­Erdogans oder ­Orbáns am Ende immer anstreben. Sie ist vielmehr zugleich Voraussetzung für den Erfolg. Auf den Punkt brachte das schon vor 150 Jahren Otto von ­Bismarck: Wenn ein „großes Reich“ sich völkerrechtlich im Nachteil finde, so der ­Reichskanzler in einem Gespräch, „dann will es vom Völkerrecht nichts wissen und vertritt seine Ansprüche mit Gewalt“.

Lügen darf nur der Chef
Diplomaten dürfen nicht lügen. Das können sich nur ihre Chefs erlauben. Unverfroren wie Chinas Präsident Xi ­Jinping, der 2013 US-Präsident ­Barack ­Obama sagte, China habe nicht die Absicht, in der Südchinesischen See Militäranlagen zu errichten. Und dann nach Hause flog und genau das tat. Oder wie ­Wladimir ­Putin, der am 4. März 2014 erklärte, Russland habe nicht vor, die Krim zu annektieren – nur um sie am 18. März gewaltsam in die Russische Föderation aufzunehmen. Das heißt: Regeln im internationalen Miteinander lassen sich erfolgreich nur von Menschen verletzen, die so viel Macht besitzen, ein fait accompli zu schaffen – ohne dass ihnen jemand in den Arm fällt.

Donald Trump ist letztlich mit seinem außenpolitisch abenteuerlichen Versuch gescheitert, Kim durch Liebeserklärungen über den Tisch zu ziehen. Aber unterm Strich ging es Trump wohl auch weniger um wirkliche Erfolge in der internationalen Arena. Es ging ihm in erster Linie um den Zugewinn persönlicher Macht. Wie weit er bereit war, dafür zu gehen, zeigte sich am 6. Januar 2021. Da stand Trump fasziniert vor dem Fernseher im Weißen Haus und beobachtete, wie seine Anhänger ins Kapitol von Washington D. C. eindrangen, die Senatoren bedrohten, um ihm über alle Regeln und Grenzen eines demokratischen Staatswesens und das zertifizierte Wahlergebnis hinweg den Präsidentenstuhl zu retten. Es war fast ein Staatsstreich – im Kampf um die Macht. Die Macht eines Einzelnen, der die Regeln politischer Ordnung verachtet und dadurch die Demokratie massiv gefährdet.

America First – Bilanz einer Amtszeit

Dokureihe

Dienstag, 6.4. — ab 20.15 Uhr
bis 2.10. in der Mediathek