Ohne Netz und doppelten Boden

Dressierte Wildtiere und erstklassige Akrobatik machten Circus Krone weltbekannt. Heute gehört er zu den größten, aber auch zu den letzten seiner Art – und muss um sein Image kämpfen.

Drei Clowns nebeneinander, schwarz-weiß Foto
Zirkusleben: Der Weißclown (M.) und seine Gehilfen bilden ein klassisches Clown- Trio. Foto: Siegfried Pilz / United Archives / Getty Images

Ein Braunbär dreht Runden auf einem Motorrad, ein Schimpanse schlägt Rückwärtssalti auf einem Trampolin. Eine Frau im Glitzerbody klettert in eine Kiste, die kurz darauf in Flammen aufgeht. Der Geruch des Feuers vermischt sich mit Nuancen von Popcorn und Sägespänen – und als die Frau wieder aus der Kiste heraussteigt, ist sie völlig unversehrt. Bei näherem Hinsehen entpuppt sie sich als Uschi Glas; doch dazu später mehr.

Circus Krone – Manege mit Geschichte

Geschichtsdoku

Dienstag, 26.12. — 23.15 Uhr
bis 24.3.24 in der Mediathek

Ein Mann stützt sich auf einen anderen Mann und hebt dabei die Beine in die Luft, während beide Zeitung lesen
Das Akrobaten-Duo ­Gene ­Mendez (oben) und Joe Seitz bei der Lektüre einer Zeitung 1963. Foto: picture alliance / Harry Flesch

Es sind surreal anmutende Szenen, aber sie haben exakt so stattgefunden – im ältesten Zirkus Deutschlands. Die Dokumentation „­Circus ­Krone – Manege mit Geschichte“ zeichnet anhand von Archivaufnahmen die Entwicklung des Familienbetriebs nach, der 1870 unter Carl ­Krone als wandernde Tierschau mit zwei Bären und zwei Wölfen seinen Anfang nahm. Heute besteht Circus ­Krone aus einem festen Zeltgebäude in München, einem eigenen Gestüt und einem Wanderzirkus inklusive Zeltstadt, Restaurant, Zirkusschule und mitreisender Feuerwehr. Das Unternehmen wird in fünfter Generation betrieben und steht wie kein anderes für klassische Zirkuskunst: Artisten, Clowns und Trommelwirbel gehören genauso zum Programm wie Pferde, Tiger und Löwen.

„Tiere waren einst die Attraktion, insbesondere die dressierten Wildtiere“, sagt die Münchner Historikerin ­und Autorin Ina ­Kuegler im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Auf der Website des Unternehmens sind Höhepunkte aus 150 Jahren Tierdressur nachzulesen. Etwa wie es Carl ­Krone 1892 gelang, einen Löwen auf einem Pferd reiten zu lassen. Oder wie dessen Sohn und Erbe Carl ­Krone jun. 1928 eine „Mammutshow“ mit über 650 Tieren auf die Beine stellte, darunter 27 Elefanten. „Man nennt Carl Krone 1924 zu Recht ‚König des deutschen Circus‘“, heißt es auf der Website. Nicht erwähnt wird, dass er NSDAP-Mitglied war und den Zeltbau in den 1920er Jahren mehrfach an ­Adolf ­Hitler vermietete, der darin Propagandareden hielt. Ein dunkles Kapitel, das ­Kuegler in ihrem Buch „Manege frei: Die Geschichte des Circus Krone 1870 bis heute“ aufgearbeitet hat.

Ich sehe Potenzial für weitere 100 Jahre klassischen Zirkus

Jana Mandana Lacey-Krone, Zirkusdirektorin
Elefanten laufen durch eine Manege
Die Elefanten galten 1954 als ein Höhepunkt der Krone-­Gastspiele in Rom. Foto: Walter Attenni / picture alliance / ASSOCIATED PRESS

WENIGER TIERE, MEHR SHOW

Nachdem der Zirkus im Zweiten Weltkrieg ausgebombt wurde, übernahmen die Frauen den Wiederaufbau. „Sie orientierten sich am Fernsehen und integrierten mehr Show-Elemente“, sagt ­Kuegler. Ab 1962 fand in dem neu eröffneten Circus-­Krone-­Gebäude jedes Jahr die Benefizgala „Stars in der Manege“ statt, bei der prominente Gäste als Clowns, Dompteure oder Artistinnen auftraten. Mit dabei: ­Romy ­Schneider, ­Udo ­Lindenberg und – gleich vier Mal – ­Uschi Glas. „Für die Stadt München ist der Zirkus damals eine Institution geworden“, sagt ­Kuegler. Doch obwohl sogar Weltstars wie Pink Floyd oder die Beatles Konzerte unter der Krone-­Kuppel gaben, verlor der klassische Zirkus zum Ende des 20. Jahrhunderts an Popularität. „Viele blieben lieber vor dem Fernseher sitzen“, sagt ­Kuegler. Anders als in Frankreich, Italien oder Spanien, wo Zirkus als Kulturgut anerkannt ist und seit den 1970er Jahren staatlich gefördert wird, muss sich die Branche in Deutschland eigenständig über Wasser halten.

Die zurückliegenden Jahre waren besonders hart für den Circus ­Krone: Erst musste die aktuelle Direktorin ­Jana ­Mandana Lacey-­Krone die mehr als 150 Festangestellten und 100 Tiere durch die Corona-­Pandemie manövrieren. Dann belastete der russische Angriffskrieg das Ensemble, zu dem zahlreiche ukrainische Artisten und Artistinnen gehören. Deren Angehörige aus dem Kriegsland wurden kurzerhand nach München geholt. Der Zirkus wolle sich nicht positionieren, sondern „unpolitisch sein und alle Nationen unter einem Dach vereinen“, hieß es in einem Statement.

Kinder schwingen vor einem Zirkuswaggon ein Lasso
Ein Nachwuchs-Cowboy schwingt 1958 sein Lasso. Foto: Gamma Keystone / Getty Images

Unpolitisch sein ist keine leichte Aufgabe, auch nicht für einen Zirkus. Denn auch die Haltung von Wildtieren ist ein Politikum: In der EU haben bereits 27 Länder ein Verbot eingeführt. Deutschland könnte folgen. Der Kölner Zirkus ­Roncalli verzichtet deshalb seit 2018 auf Tiere und spart sich neben dem Image-schaden, den Kampagnen von Tierschutzvereinen bringen können, auch horrende Gerichtskosten. 300.000 Euro musste Krone nach eigenen Angaben in den vergangenen 15 Jahren berappen. Und dennoch: Lacey-­Krone glaubt an die Zukunft ihres Zirkus: „Dadurch, dass diese Kultur schon 250 Jahre besteht, sehe ich Potenzial für die nächsten 100 Jahre.“