Das Kreuz mit dem Zölibat

Zwang zu Enthaltsamkeit und ­Ehelosigkeit führt zu Doppelmoral und fehlendem Nachwuchs fürs Priesteramt. Vor allem in Deutschland begehren Katholiken gegen den Pflichtzölibat auf.

Priesterhände
Foto: Corbis / VCG / Getty Images

Papst ­Franziskus hieß noch Jorge Mario ­Bergoglio und war Kardinal und Erzbischof, als er zwei argentinischen Journalisten eine Reihe von Interviews gab, die als Buch veröffentlicht wurden. Er erzählte darin einen Witz, in dem sich zwei Priester unterhalten. „Einer fragt: ,Wird ein neues Konzil den Pflichtzölibat aufheben?‘ Der andere gibt zur Antwort: ,Ich meine ja.‘ Der erste: ,In jedem Fall werden das nicht mehr wir erleben, sondern unsere Kinder.‘“ Über Scherze zu dem Thema kann nicht jeder lachen. Kinder von Priestern dürfen nicht sein, sind sie doch lebende Beweise für verbotene sexuelle Handlungen. Wie quälend solche Schicksale sein können, zeigt der ARTE-Dokumentarfilm „Zölibat – Der katholische Leidensweg“. Im Fall der Französin ­Isabelle trat ein Bischof auf den Plan, um das Schweigen ihrer Mutter zu erkaufen. Und der Deutschpole Tomek kämpft darum, dass sein priesterlicher Erzeuger die Vaterschaft anerkennt. Der verleugnet den Sohn und wehrt sich mit juristischen Mitteln.

Die Wurzeln des Zölibats reichen zurück bis ins spätantike 4. Jahrhundert. Festgeschrieben im kirchenrechtlichen Kanon als Voraussetzung für die Weihe zum Priester wurde der Verzicht auf Sex und Ehe dann vor rund 1.000 Jahren. Mindestens ebenso lange dauert die Diskussion an. Überhöhen Zölibats-Verteidiger keusche Priester schon mal als engelsgleiche Wesen, verweisen Kritiker wie der Münsteraner Theologe und Historiker ­Hubert Wolf darauf, dass der Zölibat kein biblisch herleitbares Dogma ist. Im Buch der Bücher ist von der Schwiegermutter des Apostels ­Petrus die Rede – und der gilt immerhin als erster Papst. Tatsächlich standen nicht zuletzt handfeste wirtschaftliche Interessen hinter dem Verdikt. So fiel der Besitz eines Geistlichen nach dessen Tod der Kirche zu statt etwaigen Nachkommen. Und irgendwann ging es auch um die Abgrenzung von den Protestanten. Nun wird ausgerechnet in Deutschland, der Geburtsstätte der Reformation, an den Grundfesten des Zölibats gerüttelt. Das bringt Rom in Rage. Eine evangelische Kirche genüge doch, rüffelte der Papst vor geraumer Zeit.

Gründe, sich mit dem Pflichtzölibat zu beschäftigen, gibt es viele. Geistliche in heimlichen Partnerschaften flüchten aus dem Doppelleben – und dem Beruf. Die Zahl der Priesterweihen geht fortlaufend zurück, auch weil junge Theologen den Zölibat scheuen. Am schwersten aber wiegt, dass die Auswirkungen auf „regressiv-unreife“ Persönlichkeiten den Missbrauch an Schutzbefohlenen in der Kirche begünstigt haben. Das jedenfalls legen Täterprofile in einer Studie der Deutschen Bischofskonferenz nahe, deren Veröffentlichung 2018 Schockwellen auslöste. Im Folgejahr begründeten Kleriker und Laien die gemeinsame Reform- initiative Synodaler Weg.

„Überall da, wo Menschen sich ihrer sexuellen Identität nicht bewusst werden, schlummern Gefahren, weil sie als unreife Persönlichkeiten agieren“, sagt ­Stephan ­Buttgereit, Co-Vorsitzender des Synodalforums „­Priesterliche Existenz heute“, im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Als Generalsekretär des SKM (Sozialdienst Katholischer Männer) Bundesverbands und Mitglied in der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ist er Laien-vertreter. „Mit dem Zölibat als freiwilliger Lebensform habe ich kein Problem“, stellt er klar. Das mehrheitlich mit ­Klerikern besetzte Synodalforum hat ein Papier erarbeitet, das in Sachen Pflichtzölibat nun Öffnungssignale sendet. „Aufheben können wir den Zölibat in Deutschland nicht, das ist eine Angelegenheit der Weltkirche.“

Zölibat – Der katholische Leidensweg

Dokumentarfilm

Dienstag, 13.9. — 20.15 Uhr

bis 11.11. in der Mediathek

Foto von Tomek Kucharsk
Heimliche Beziehungen, Gewissensnöte und verleugnete Kinder gehören zu den Begleiterscheinungen des katholischen Pflichtzölibats. Der Dokumentarfilm "Zölibat – Der katholische Leidensweg" beleuchtet Schicksale wie das von ­Tomek Kucharski (Foto). Seit Jahren kämpft er darum, dass sich sein Vater, ein deutscher Priester, zu ihm bekennt. Reformbestrebungen stoßen bis heute auf Widerstände, aus Angst vor Macht- und Kontrollverlust der Kirche. Foto: Dream Way Productions / ARTE F

Warnung aus dem Vatikan

Widerstand gegen Reformen leite sich nicht nur aus der Theologie ab. Persönliche Aspekte spielen aus ­Buttgereits Sicht eine wichtige Rolle. Wer mit seinem Zölibat gut klarkomme, für den sei die Lockerungsperspektive nicht bedrohlich. Probleme hätten jene, die sich schwertun, vielleicht mit einer Lüge leben, in einer heimlichen hetero- oder homosexuellen Partnerschaft. Sie dächten nicht selten: „Ich musste mich quälen und andere sollen das nun nicht mehr?“ Gespannt blickt der Forumsvorsitzende auf die Abstimmung über das Papier bei der nächsten Synodalversammlung im September. Kommt es durch, muss sich die Weltkirche mit dem Vorstoß befassen. Unlängst veröffentlichte der Vatikan eine Erklärung, die sich wie eine Warnung an den Synodalen Weg der deutschen Katholiken liest. „Die Angst der Bewahrer, die mehr zerstören als erhalten“, spürt ­Stephan ­Buttgereit darin und fragt sich, warum der Papst wiederholte Gesprächsangebote nicht annimmt. „Diese Ignoranz finde ich schwer auszuhalten.“

Gottes missbrauchte Dienerinnen

Dokumentarfilm

bis 7.3.2024 in der Mediathek