Botschafterin des Pariser Designs

Als erfolgreichste französische Designerin ihrer Generation brach Andrée Putman mit etlichen Konventionen. Über eine Karriere, die der Innenarchitektur neue Standards verlieh.

Kaufhaustreppe
French Touch: Andrée Putman brach mit Konventionen, wie im Pariser Kaufhaus Le Bon Marché. Foto: Eclectic / ARTE F

Sie gilt als Grande Dame des französischen Interieurs: ­Andrée ­Putman (1925–2013) designte das Morgans, New Yorks erstes Boutique-Hotel, mit ikonischem Schachbrettboden. Sie entwarf die Innenausstattung für den Überschalljet Concorde und gestaltete Mode-filialen für Karl ­Lagerfeld. Dabei begann ihre Karriere als Designerin erst, als sie 53 Jahre alt war. Wodurch zeichnet sich die exzentrische Französin aus, der ARTE im Januar ein Porträt widmet?

Die Grande Dame des Designs: Andrée Putman

Kulturdoku

Sonntag, 15.1. — 16.40 Uhr

bis 13.2. in der Mediathek

Porträt Andrée Putman
Foto: Xavier Bejot / TRIPODAGENCY

Andrée Putman wuchs in Paris als Nachfahrin der Gebrüder ­Montgolfiers auf, die im 18. Jahrhundert den Heißluftballon erfunden hatten. Exzentriker gab es in ihrer Familie zuhauf: Ihre Großmutter etwa stellte bei sich zu Hause ägyptische Mumien aus. Die Sommer verbrachte Putman als Kind im Burgund – in der Abtei von Fontenay, die sich im Besitz der Familie befand. Der Minimalismus und die Kargheit der Gewölbe dienten ­Putman später als Inspiration für ihren schlichten Stil, der dem verspielten Neon-Trend der 1980er Jahre widersprechen sollte. Ihr Vater, ein Intellektueller, der sieben Sprachen fließend beherrschte, lebte im Gegensatz zur restlichen Familie eher bescheiden. ­Putmans Mutter, eine Konzertpianistin, sah schon früh eine Musikkarriere für ihre Kinder vor. So erhielt ­Andrée ­Putman täglich Klavierunterricht und studierte später Komposition am Konservatorium. Eine unmittelbare Folge dieser Erziehung: ihre Vorliebe für die Künste und die Ablehnung bürgerlicher Konventionen. Als Heranwachsende schmiss ­Putman einmal alle Möbel aus ihrem Zimmer, um es mit einem Stahlbett, chinesischen und afrikanischen Löffeln, Stühlen von Mies van der Rohe, einem Noguchi-­Kronleuchter und expressionistischer Kunst einzurichten. Mit 20 erlitt ­Putman einen Unfall, den sie nur knapp überlebte und der ihr die charakteristische Haltung bescherte: aufrecht, mit einem Gang wie eine Seiltänzerin.

Interieur eines Flugzeugs
Andrée Putman prägte die Kreativszene und gestaltete außergewöhnliche Orte: Sie entwarf Geschirr und Sitze für die Concorde. Foto: Eclectic / ARTE F

Nachdem man ihr von einer Musikkarriere abriet, schrieb sie für Magazine, darunter L’Œil und Elle. 1958 heiratete sie den bekannten Kunstsammler ­Jacques ­Putman, über den sie viele Künstler kennenlernte. Ohne Vorerfahrung fing ­Andrée ­Putman mit 43 Jahren als Einkaufsleiterin bei Prisunic an – und revolutionierte die Standards der französischen Einzelhandelskette. Der Slogan „Schöne Dinge für wenig Geld“ beflügelte sie: ­Putman entwarf Möbel und Deko­artikel zu erschwinglichen Preisen. „Ich frage mich: Was kann ich tun, um das Leben ein bisschen leichter zu machen, und was werde ich mit ein paar verrückten Ideen erreichen?“, reflektierte ­Putman mit ihrer rauchigen Gauloise-­Stimme einmal ihre Kreationen. In einem sogenannten Concept Store in Paris, den sie Anfang der 1970er Jahre eröffnet hatte, kuratierte sie die Arbeiten bisher unentdeckter Kreativer wie ­Issey ­Miyake oder ­Thierry ­Mugler. In der Folge ließen die Modedesigner ­Yves ­Saint ­Laurent und Karl ­Lagerfeld ihre Läden von ­Putman einrichten. „Sie backte sonntags keinen Schokokuchen, dafür gingen wir zu Pink Floyd, als ich sechs war“, erzählt ­Olivia, ­Putmans Tochter, die heute die 1997 gegründete Designagentur Studio ­Putman führt.

Schachbrettmuster
Das Schachbrett wurde ihr Markenzeichen. Foto: Eclectic / ARTE F

Das ästhetische Gewissen der Moderne

Nach der Trennung von ihrem Ehemann zog ­Putman 1978 in ein Loft, aus dessen Fenster sie in das Wohnzimmer ihres Ex sah. „Mehrmals in meinem Leben gab es leere Seiten, und es musste alles überdacht und neu begonnen werden“, so die Designerin. Im selben Jahr gründete sie das Unternehmen ­Écart und legte die Entwürfe vergessener Talente der 1930er Jahre, etwa ­Eileen Gray und ­Robert Mallet-­Stevens, neu auf. Sie selbst entwarf den Drei-Karat-Tisch, das erste einer langen Reihe von Möbelstücken mit puristischen Linien.

Treppe in Diamantenform
Eine Treppe soll an die Diamantenkette einer Auftraggeberin erinnern. Foto: Eclectic / ARTE F

New York bescherte ­Putman dann ihren größten Coup: Während sie 1984 mit ihren Freunden Jean-­Michel ­Basquiat, Keith ­Haring und ­Andy ­Warhol im Club 54, der angesagtesten Adresse der Stadt, unterwegs war, boten die Clubbesitzer ihr an, ein heruntergekommenes Hotel in der Madison Avenue preiswert umzubauen: So entstand das Morgans, dessen schwarz-weiße Muster fortan ihr Markenzeichen werden sollten. Es folgten beispielsweise das Setdesign für Peter Greenaways Film „Die Bettlektüre“ (1996), Möbel für Poltrona Frau, die Einrichtung des New Yorker Clubs Palladium und Schmuckkollektionen für Christofle.

Skizze einer Inneneinrichtung
Die Pariser Designerin Andrée Putman, die in der Avantgarde der Künstlerszene der 1980er Jahre verkehrte, revolutionierte die Inneneinrichtung mit schlichten Entwürfen. Foto: Eclectic / ARTE F

Unter Staatschef ­François ­Mitterrand wurde sie als Gestalterin der letzten Concorde-Flotte zur „Botschafterin des französischen Geschmacks“ erkoren und gestaltete das CAPC-Museum in Bordeaux. Außerdem verlieh sie dem Pershing Hall Hotel den ersten vertikalen Garten und verwandelte den Kölner Wasserturm in ein Luxushotel. „Gutes Design ist schlicht und einfach, und ich interessiere mich für die Dinge, die niemals altern“, so ­Putman. Für diesen zeitlosen Ansatz wird sie heute zu Recht als „ästhetisches Gewissen der Moderne“ (Vogue) und „Ikone des Stils“ (Die Welt) gefeiert.