Auf der Suche nach Wahrhaftigkeit

FURCHTLOS Michelle Williams gilt als Spezialistin für komplexe Frauenfiguren. Doch worin besteht ihre besondere Wirkung, die sie zu einer der interessantesten Schauspielerinnen ihrer Generation macht? Eine Annäherung.

FOTO: SHAYAN ASGHARNIA/AUGUST

Zwischendrin-Dinge“ könne sie nicht ertragen, sagt ­Michelle ­Williams als Margot in „Take this Waltz“ (2011). In der zweiten Regiearbeit der kanadischen Schauspielerin ­Sarah ­Polley geht es aber um ein ganz großes „Zwischendrin-­Ding“, nämlich um den Übergang von einer glücklichen Ehe in eine neue aufregende Liebesbeziehung. ­Michelle ­Williams spielt ­Margot, die überlegt, ihren Mann zu verlassen, fragil und verletzlich, oszillierend zwischen un-
schuldig verspieltem Wesen und nachdenklich tiefgründiger Frau.
Im Grunde hat die Schauspielerin ihre Karriere aus solchen feinen, aber bedeutsamen Zwischendrin-Momenten komponiert. „Manchester by the Sea“ (2016) von ­Kenneth ­Lonergan ist geprägt von Szenen, in denen nichts ausgesprochen und doch alles über Schmerz, Schuld und Vergebung gesagt wird, mit ausweichenden Blicken, bebenden Stimmen und ungeweinten Tränen. Oder wenn sie als junge Ehefrau in „Brokeback Mountain“ (2005) an einer flüchtigen Geste erkennt, dass sie die Liebe ihres Ehemannes verloren hat. In wenigen Sekunden, die zu den intensivsten des Films gehören, schimmern Abgründe auf: Verwundbarkeit, Verlorenheit, Wut, aber auch innere Stärke.

Verletzlichkeit und Stärke
Zwar spielte sie nur eine Nebenrolle, diese war für Williams privat und professionell aber von großer Bedeutung. Unter der Regie von Ang Lee erhielt sie hier ihre erste von vier Oscarnominierungen, und bei den Dreharbeiten lernte sie den Vater ihres ersten Kindes, Heath ­Ledger, kennen. Als dieser wenige Jahre später starb, brachte sie das ungewollt in die Klatsch-Magazine. Doch das große Spektakel liegt ­Williams nicht, stattdessen sucht sie eher die Wahrhaftigkeit des Lebens.
Ihre Rollen wählt sie intuitiv: „Wenn ich ein Drehbuch lese, dann ist das so, wie wenn ich im Museum vor einem Rothko-­Bild stehe: Es passiert etwas in mir, ohne dass ich sagen kann, was genau das ist. Oder eben auch nicht.“ Schon die Art, wie sie in Interviews nach präzisen Formulierungen sucht, verrät viel über ihre Art zu spielen, über die stille Intensität, mit der sie Unsicherheit und Entschlossenheit, Verletzlichkeit und Stärke ausbalanciert, ohne Furcht vor emotionaler Entblößung.
Geboren und aufgewachsen ist die heute 40-Jährige im ländlichen Montana. Dass sie Schauspielerin werden wollte, wusste sie, seit sie mit acht Jahren ihre erste, elektrisierende Theateraufführung erlebte. Um ihren Traum zu verwirklichen, erstritt sie mit nur 15 Jahren vor Gericht ihre vorzeitige Mündigkeit von den Eltern: „Ich war immer eigensinnig und ein bisschen rebellisch. Ich lasse mir nicht gern sagen, was ich tun soll.“ So kam sie dann über San Diego nach Los Angeles, wo sie zunächst kleine Rollen in Fernsehfilmen und Serien übernahm. In der Serie „Dawson Creek“ spielte sie über sechs Jahre ein rebellisches Bad Girl. Von großen Mainstream-Produktionen hielt sie sich lange Zeit fern. Williams­ etablierte sich als die Muse des amerikanischen Independent-Kinos: „Mich haben glücklicherweise immer die kleineren Projekte angezogen. Wenn es um meine Rollen ging, war ich immer eher scheu und ziemlich zurückgezogen, das ging lange Zeit Hand in Hand: Man macht kleine Filme für ein kleines Publikum und genießt moderaten Ruhm.“

Take this Waltz

Komödie
Freitag, 16.10. • 20.15 Uhr

Doch auch große Regisseure wurden auf sie aufmerksam, Wim Wenders zum Beispiel besetzte sie für „Land of Plenty“ (2004) und Martin Scorsese für „Shutter Island“ (2010). Eine besondere Herausforderung nahm sie für „My Week with ­Marilyn“ (2011) an, in dem sie die ­Monroe nicht als Mythos und Sexsymbol, sondern als Schauspielerin verkörperte, die mit ihren Fähigkeiten hadert.
Für das Interview zum Film kam sie damals ins Berliner Hotel Adlon. Sie trug einen blonden Bubikopf und sah ganz und gar nicht mehr wie ­Marilyn ­Monroe aus, und dennoch schien sie ihr nah. „Ich habe vieles von ihr gelernt, über mich als Mensch, als Schauspielerin, vor allem über diese Art von Weiblichkeit, die ich brauchte, um sie spielen zu können, von der ich aber selbst nicht sehr viel habe. Normalerweise vermittle ich den Menschen um mich, dass ich stark und widerstandsfähig bin und selbst für mich sorgen kann. Das sind Eigenschaften, die ­Marilyn nicht ausstrahlt, die ich also unterdrücken musste.“
Immer wieder sucht Williams das Risiko des Unbekannten. „Ich erlaube mir nicht, mich zu behaglich zu fühlen, weil ich das Gefühl habe, dass es träge macht.“ So hat sie sich mit der Comicverfilmung „Venom“ (2018) oder dem Musical-Film „Greatest­ Showman“ (2017) auf unbekanntes Terrain gewagt.
Auch eine Komödie wie „Take this Waltz“ war für Michelle ­Williams etwas Neues. „Was ich nach so vielen Jahren in diesem Beruf liebe, ist, dass es da so vieles gibt, das ich noch nicht kann, so vieles, das ich lernen möchte, das mich neugierig macht. Wenn der kritische Verstand abgestellt ist, dann ist das so, als würde ich träumen.“ Auch so ein Zwischendrin-Ding.

Ich lasse mir nicht gern sagen, was ich tun soll

Michelle Williams, Schauspielerin