Briefkolumne

Er feierte Geburtstage stolz mit Krone auf dem Haupt, sie spontan mit Taube auf dem Kopf. Von durchorganisiertem Spaß und grenzenloser Freiheit.

Briefkolumne Illustration_Elisabeth Moch
Illustration: Elisabeth Moch

Liebe Colombe,

ich habe im August Geburtstag. Das sage ich Dir, damit Du mir gratulieren kannst – und weil ich Dir schildern möchte, wie wir Deutschen dieses Fest begehen. Es wird Dich kaum überraschen, dass wir es wie einen Staatsakt planen – vor allem wenn es um die Kinder geht. Blättere ich alte Fotoalben durch, sehe ich mich selbst an meinen Geburtstagen am Gartentisch thronen wie ein junger Monarch. Meine Eltern haben das Auto aus der Garage geschoben und sie in eine Krönungshalle verwandelt. Meine Freunde flankieren mich, als wären auch sie Hoheiten. Damals wie heute gilt bei Kindergeburtstagen das eherne Gesetz: pro Lebensjahr ein Gast. Diese Gäste wurden per Einladungskarte benachrichtigt, die beim Aufklappen eine Melodie erklingen ließ und durch die man in den erlauchten Kreis aufgenommen wurde. Darauf waren penibel Beginn und Ende des Festes notiert. Ohnehin war das Protokoll von höchster Wichtigkeit: Zu einer bestimmten Zeit wurde der Kuchen (meistens Kalter Hund) kredenzt, ein Spiel gespielt (sehr beliebt war die Schnitzeljagd), schließlich zu Abend gespeist (meistens Berge von Pommes Frites). Ich werde diese Tage nicht vergessen, an denen ich mich wie der Mittelpunkt der Welt gefühlt habe. Leider obliegt es inzwischen mir, meine Geburtstage zu planen, und darin bin ich nicht sehr gut. Vielleicht bin ich in dieser Beziehung gar kein Deutscher, sondern Finne: Wenn es nach mir ginge, würde ich bloß dasitzen, Schnaps trinken, eine traurige Schallplatte hören und mich der Erinnerung an längst vergangene Feste hingeben. Anderseits hätte ich schon Lust, mal wieder auf die Pauke zu hauen. Kannst Du mir helfen, liebe Colombe? Ich vermute, dass Ihr in der Lage seid, rauschende Geburtstage zu feiern, indem Ihr sie einfach geschehen lasst. Und würdest Du meine Einladung annehmen, einer meiner 43 Geburtstagsgäste zu sein?

Bis bald,
Dein Dirk

Cher Dirk,

gleich zwei wichtige Männer in meinem Leben – ein Franzose und ein Deutscher – sind ebenfalls im August geboren worden, im Sternzeichen des Löwen. Laut dem Buch „Astrologie für Dummys“ symbolisiert dieser Macht, Ruhm, Noblesse, Idealismus und Großzügigkeit. Der Beweis für Letzteres: Du hast mich zu Deinem Geburtstag eingeladen. Nur, dessen Zeremoniell mutet in meinen Augen recht exotisch an, ebenso wie mich eure Angst vor Reibung irritiert. An meinen Kindergeburtstagen ging es disziplinlos zu. Zunächst waren Versteckspiele im Haus angesagt, inklusive Stürzen und Tränen. Es gab Bonbons nach Belieben und schließlich das Fischspiel. In einem Wasserbecken trieben kleine Geschenke umher, die Maman liebevoll und geduldig in Silberpapier eingewickelt hatte und die wir mit einer Bambusangel herausfischten. Eine besondere Überraschung bekam ich zu meinem siebten Geburtstag. Ein Zauberkünstler erschien, der plötzlich eine Taube, auf Französisch colombe, aus seinem Hut zog. Begleitet von unserem Geschrei und Gelächter, flog diese los und ließ sich auf meinem Kopf nieder. Mit 15 feierte ich dann meine erste Fete – inklusiver wilder Twist-Einlagen und gefühlvoller Tänze im Dunkeln zu ­Camillos „Sag warum“. Jahre später gab es an den Geburtstagen meiner vier Kinder dieselben Rituale. Heutzutage, lieber Dirk, würde ich meine eigenen Geburts­tage lieber überspringen. Besonders fürchte ich mich davor, dass meine Kinder ihrerseits irgendwann eine Party für mich schmeißen – und zwar eine Überraschungsparty mit all meinen hinter der Tür freudig auf mich wartenden Freunden. Für Deine Einladung bedanke ich mich jedenfalls sehr. Nur weiß ich leider noch nicht, wo ich am 13. August sein werde. Und es steht außer Frage, dass ich durch spontanes Aufkreuzen die Party verderbe, indem ich vielleicht die Nummer 44 bin oder – noch schlimmer – eventuell durch Abwesenheit glänze und Dich mit nur 42 Gästen hängen lasse.

In diesem Sinne: Alles Gute!
Colombe