Er muss ein charismatischer Mann gewesen sein. „In seinen dunklen Augen wohnte eine hypnotische Kraft, und ich hörte ihm besser und kritischer zu, wenn ich nicht auf ihn blickte“, schrieb der Schriftsteller Stefan Zweig in seinen Erinnerungen über den Anthroposophie-Begründer Rudolf Steiner. „Sein asketisch-hageres, von geistiger Leidenschaft gezeichnetes Antlitz war wohl angetan, nicht nur auf Frauen überzeugend zu wirken.“
Es sind Augen, die heute zumindest jeder Waldorfschüler noch immer sehr gut kennt: Steiner gründete diese Schulen, bis heute wird in ihnen nach seinen Prinzipien unterrichtet und in fast jedem ihrer meist organisch geformten Gebäude – Stichwort: anthroposophische Architektur – hängt sein Porträt im Eingangsbereich. „Doktor Steiner“ nennen ihn seine Anhänger: der Seher, der einen tieferen Einblick ins wirkliche Wesen des Universums hatte als die Normalsterblichen und der daraus eine lebensverändernde Philosophie entwickelte. Aber eben auch der „Jesus Christus des kleinen Mannes“, wie Kritiker Kurt Tucholsky (1890–1935) spottete, der ihn für einen Scharlatan hielt: „Der glaubt sich ja kein Wort von dem, was er da spricht! (Und da tut er gut daran.)“
Vor 100 Jahren, am 30. März 1925, starb Steiner – wahrscheinlich an einer Krebserkrankung, offiziell bestätigt wurde das allerdings nie. Dass ein Mann ganz normal krank werden könnte, der behauptete, mit den höheren Welten in Kontakt zu stehen und dessen Schaffen zu großen Teilen um die Herrschaft des Geistes über alles Materielle und Körperliche kreiste, war für sein Umfeld offenbar nur schwer zu akzeptieren.
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