Das derzeit angeblich gefährlichste Buch der Vereinigten Staaten ist 239 Seiten stark. Es dreht sich um ein Kind, das alle, außer es selbst, für ein Mädchen halten, und um sein Erwachsenwerden mit einer nichtbinären Identität. Es geht um Menstruationsblut, Umschnall-Dildos und explizit gezeichneten Sex. Vor allem aber geht es um die, für Teenager typische, Suche nach Zugehörigkeit. Im April 2024 veröffentlichte die American Library Association (ALA) eine Liste der zehn „Most Challenged Books“ in den USA – Bücher also, für die 2023 am häufigsten eine Entfernung aus Bibliotheken und Lehrplänen beantragt wurde. Eine Praxis, die so in Deutschland undenkbar wäre. Seit drei Jahren führt Maia Kobabes Debüt „Gender Queer“ (2019) diese Liste an. 2023 wurde der Comicroman 106 Mal angefochten – viel Aufmerksamkeit für ein Buch, das ursprünglich den Charakter privater Aufzeichnungen hatte und nur 5.000 Mal gedruckt werden sollte.
Seit Jahrzehnten werden Bücher, die sich mit dem Thema Sexualität auseinandersetzen, in den USA vielfach kritisiert und zum Teil zensiert. Kurz vor der Präsidentschaftswahl erhalten die sogenannten Book Bans nun besonders viel mediale Aufmerksamkeit. Dies liegt auch an den Zahlen, die 2022 und 2023 durch die ALA sowie den Autorenverband PEN America erhoben wurden und die politische Relevanz besitzen. Das Ergebnis der Analysen: Die Versuche, Bücher mit dem Argument des Jugendschutzes verbannen zu lassen, nehmen signifikant zu. Wurde in den drei Jahren vor der Coronapandemie im Schnitt für knapp 490 Bücher ein Verbot gefordert, waren es 2021 rund 1.800. Im letzten Jahr wurde nun mit mehr als 4.000 Büchern ein bisheriger Höchstwert erreicht. Zudem zeigen die Auswertungen: Book Bans, die einst oftmals von Elternverbänden angestoßen wurden, werden in den USA mittlerweile durch religiöse Gruppen und konservative Politiker vorangetrieben.
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