Ein verborgenes Leben

Regisseur Terrence Malick gewann mit seinen Filmen früh Preise, tauchte dann 20 Jahre ab – und schaffte ein fulminantes Comeback. Halb Hollywood will mit ihm drehen.

Filmszene: August Diehl und Valerie ­Pachner liegen umschlungen auf einer Wiese
Auf das NS-Regime, das seit dem Anschluss Österreichs im März 1938 regiert, antwortet der österreichische Bauer Franz ­Jägerstätter (­August Diehl) mit „Pfui Hitler“. Der tiefgläubige Katholik und Vater dreier Töchter weigert sich, für die Wehrmacht zu kämpfen – mit schwerwiegenden Folgen für sich und seine Frau Fani (Valerie Pachner). Das knapp dreistündige Epos feierte 2019 Weltpremiere im Wettbewerb von Cannes. Foto: Reiner Bajo / 20th Century Fox Film Corporation / ARD

Die Klingen zweier Sensen gleiten durch hohes Gras, ein Huhn hüpft aus dem Stall ins Freie. Die Kamera fängt Bilder vom durch die Landschaft taumelnden Bauernpaar Franz (­August Diehl) und ­Fani (­Valerie ­Pachner) ein, die ihr Glück kaum fassen können. Die Idylle auf dem Hof an den Hängen von St. Radegund in Oberösterreich wirkt zu schön, um wahr zu sein. „Ich dachte, wir könnten uns ein Nest bauen“, klingt Franz’ Stimme aus dem Off.

Der bislang letzte Film von US-Regisseur ­­Terrence Malick, „Ein verborgenes Leben“ (2019), den ARTE im Mai ausstrahlt, erzählt die wahren Begebenheiten des österreichischen Kriegsdienstverweigerers Franz ­Jägerstätter, der 1943 von den Nationalsozialisten in Brandenburg hingerichtet wurde. ­Malick, der mit zehn Filmen und zwischenzeitlich 20 Jahren Schaffenspause ein diskontinuierliches Werk kreiert hat, polarisierte im Laufe seiner Karriere immer wieder. Trotzdem oder gerade deswegen zieht er die Hollywoodgrößen an: Ob ­Ryan ­Gosling, ­Natalie ­Portman, Brad Pitt oder ­Cate ­Blanchett – sie alle wollten mit ihm drehen. Seine Filme wurden vielfach für den Oscar nominiert, 2011 gewann er für „The Tree of Life“ die Goldene Palme in Cannes. Worin besteht die Anziehungskraft des Regisseurs?

Ein verborgenes Leben

Kriegsdrama

Montag, 20.5.
— 20.15 Uhr
bis 26.5. in der
Mediathek

Suchte man für Malicks Leben einen Filmtitel, böte sich der Name seines jüngsten Werks an: Auch er lebt verborgen, meidet die Öffentlichkeit; über sein Privatleben ist wenig bekannt. Nur so viel: ­Terrence ­Malick, der heute mit seiner dritten Ehefrau in Texas lebt, wuchs gutbürgerlich in Oklahoma auf; er hatte mit einem strengen Vater und dem Tod eines Bruders zu kämpfen. In seiner Jugend half er auf einer Farm in Texas aus, bevor er an den Eliteuniversitäten Harvard und Oxford Philosophie studierte. Zeitweise jobbte er als Journalist in New York, bevor er sich 1969 als Filmstudent in Los Angeles einschrieb. Das Studium finanzierte er sich, indem er Drehbücher überarbeitete und Schriften des Philosophen ­Martin ­Heidegger übersetzte.

1973 erfuhr Malick für seinen Debütfilm „Badlands“ erste Anerkennung: Er erzählt von einem Liebespaar, das in den 1950ern eine Mordserie beging. Der Film, der die Landschaft den Gewalttaten der Protagonisten gegenüberstellt, übte großen Einfluss auf Regisseure wie ­Quentin ­Tarantino aus. Was folgte, war eine bemerkenswerte Karriere im Filmgeschäft: Für „In der Glut des Südens“ (1978), der in den Feldern von Texas spielt, wurde Malick in Cannes als bester Regisseur ausgezeichnet. Die Außenszenen drehte er nur in der Magic Hour, der kurzen Zeitspanne zu ­Sonnenauf- und -untergang mit besonders weichem Licht. Nach dem Erfolg zog sich der Cineast überraschend und ohne Erklärung in Paris zurück – für eine Schaffenspause von 20 Jahren.

 

Sein schlagzeilenträchtiges Comeback feierte der inzwischen zur Legende gekürte Regisseur 1998 mit dem Antikriegsfilm „Der schmale Grat“. Einige seiner darauffolgenden Filme in nun ungewohnt kurzer, teilweise jährlicher Taktung ernteten auch viel Kritik. Laut US-Filmwissenschaftler ­Lloyd ­Michaels haben nur wenige amerikanische Regisseure gleichzeitig „eine solche Bewunderung und Ablehnung hervorgerufen wie ­Malick. Doch der Mythos wirkt weiter: Während „The New World“ (2005) vom Einbruch englischer Kolonialisten handelt, sind „Knight of Cups“ (2015) und „Song to Song“ (2017) im Milieu des Showgeschäftes angesiedelt. Für letzteren Film, der die Musikszene der texanischen Hauptstadt Austin beleuchtet, brachte ­Malick sogar die Musikikonen ­Iggy Pop und ­Patti ­Smith vor die Kamera. Sein neues Projekt „The Way of the Wind“ ist noch im Schnitt – es soll nicht weniger als das Leben von ­Jesus ­Christus erzählen.

Terrence Malick am Set von „In der Glut des Südens“ (1978)
Kamerascheu: Terrence Malick am Set von „In der Glut des Südens“ (1978) – eines der wenigen Bilder, die es vom 1943 in Ottawa, Illinois, geborenen Regisseur und Drehbuchautor gibt. Foto: picture alliance/Everett Collection

BLICK AUF DAS ALLTÄGLICHE

Malick ist ein Jäger der spontanen Ästhetik. Für vorbeiziehende Vogelschwärme oder flimmerndes Licht lässt er Szenen begehrter Schauspieler schon mal weg. „Die Suche nach dem Augenblick ist sehr wichtig für ihn. Dialoge gab es wenige in dem Film, es ging um die Arbeit an Stimmungen“, erzählt August Diehl im dpa-Interview über den Dreh von „Ein verborgenes Leben“. Malick kokettiert nicht mit Effekten oder Ausgedachtem, ihn interessieren die Natur, Transzendenz und die Grenzen zwischen Instinkt und Vernunft. Voice-over, Gegenlicht und Weitwinkel sind typisch für seinen unkonventionellen Regiestil. Er fängt das Alltägliche ein und nimmt sich dabei viele Freiheiten. Während sein Fokus oft weniger auf dem Plot liegt, schwingen dafür viel Emotion und Intensität mit. Malick lässt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschwimmen. So auch in „Ein verborgenes Leben“: Immer wieder behaupten Nazischergen, von -Jägerstätters Widerstand werde keine Wirkung ausgehen. Malicks Film stellt sicher, dass davon bis heute nichts im Verborgenen bleibt.