Das vierstündige Theaterstück „Die Ermittlung“ von Peter Weiss verhandelt den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) mit dokumentarischen Mitteln. Als es 1965 auf 15 Bühnen gleichzeitig aufgeführt wurde, löste es eine hitzige Debatte aus. Es ging um die Schuldfrage, aber auch um ästhetische Vorbehalte. Der Kritiker Joachim Kaiser etwa warf dem Stück vor, es beraube den Zuschauer seiner grundsätzlichen Deutungsfreiheit. Inzwischen gilt das Werk als wichtiger Beitrag der Erinnerungskultur. Es wurde vielfach aufgeführt sowie 2023 von RP Kahl verfilmt. Der für seine unkonventionellen Filme (u. a. „Als Susan Sontag im Publikum saß“, 2022) bekannte Regisseur wählte eine ungewöhnliche Form: Er lässt 39 Zeuginnen und Zeugen in einem kargen, einen Gerichtssaal andeutenden Bühnenbild zu Wort kommen. Jede Szene wurde von acht Kameras gedreht und nachträglich im Schnitt zu einer eindringlichen vielstimmigen Komposition zusammengefügt. Ein Gespräch über die Annäherung an einen komplexen Stoff.
ARTE Magazin Spielte das Diktum von Theodor W. Adorno „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“ von 1951 für Ihre Arbeit noch eine Rolle?
RP Kahl Ich habe in der Tat viel darüber nachgedacht, welche Darstellungsform wir wählen dürfen. Als ich das Konzept für den Film geschrieben habe, habe ich in Bezug auf den Holocaust noch oft von dem „Unbeschreibbaren“ gesprochen. Das würde ich heute so nicht mehr machen, weil es die Vorgänge von uns fernhält, statt zumindest zu versuchen, sie begreifbar zu machen.
ARTE Magazin Adornos Frage war, ob ausgerechnet die Kunst die richtigen Mittel dafür hat.
RP Kahl Wenn es etwas gibt, dem beizukommen, dann ist es die Kunst. Mir hat geholfen, was der französische Philosoph Georges Didi-Huberman ausgehend von den wenigen KZ-Bildern, die Häftlinge selbst gemacht hatten, geschrieben hat. Seine These: Weil es stattgefunden hat, gibt es ein Bild davon. Und deshalb gibt es auch eine Verpflichtung, es zu zeigen. Als Künstler muss ich einen Weg finden, das, was stattgefunden hat, in einem künstlerischen Prozess zu transformieren.
ARTE Magazin Wie ging das vor sich?
RP Kahl Ein Geschenk für uns war, dass das Stück wahnsinnig gut gebaut ist – und auch als Drehbuch fast perfekt funktioniert. Alles, von dem ich dachte, dass es schwierig werden würde, machte keine Probleme.
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