Das Stigma muss weg

Zwei Drittel aller HIV-Infizierten leben in Afrika. Mancherorts sind Behandlungsfortschritte in Gefahr – durch Corona und wegen anhaltender Stigmatisierung. Aktivistinnen kämpfen mit Offenheit und Ideen dagegen an.

Hotspot: In Kapstadts Township Imizamo Yethu gehen HIV-Infizierte offen mit ihrer Ansteckung um. Foto: Getty Images

Als die Südafrikanerin ­Mandisa ­Makubalo vor acht Jahren die Diagnose HIV erhielt, war das ein Schock. Dennoch blieb die 42-Jährige aus dem Township Imizamo Yethu erstaunlich ruhig. In der Barackensiedlung in einem Vorort von Kapstadt hatten sich mehrere Infizierte dazu entschlossen, offen mit ihrer Situation umzugehen. Um das Stigma zu bekämpfen – und schlicht, weil sie keinen Grund sahen, sich zu schämen. Makubalo ist eine von ihnen.

Also sitzt sie nun auf einer Bank am Rande der ­lebhaftesten Straße des Slums und redet über die ­Infektion. So wie sie auch offen mit ihren Nachbarn und Freunden darüber spricht. „Ich fühle mich so gesund wie andere Menschen“, sagt ­Makubalo, „warum sollte ich mich ­verstecken?“ ­Täglich nimmt sie eine Tablette der antiretroviralen ­Medizin ­Acriptega, die die Vermehrung der Viren im ­Körper unterdrückt und so den Ausbruch von Aids verhindert.

Eine Selbstverständlichkeit ist ­Makubalos Haltung noch immer nicht. Auf dem afrikanischen Kontinent leben rund 26 Millionen Menschen mit HIV, das sind zwei Drittel aller Patienten weltweit. Allein in Südafrika sind mehr als sieben Millionen betroffen, jede Woche stecken sich 4.500 Menschen neu mit dem Virus an. Doch die Lage könnte noch weitaus schlimmer sein. Südafrika hat das größte staatliche HIV-Programm der Welt aufgebaut.

Die Südafrikanerin ­Mandisa ­Makubalo ängstigt ihre Diabetes-Erkrankung mehr als ihre HIV-Infektion. Foto: Christian Putsch

90 Prozent der Infizierten des Landes kennen ihren Status, 68 Prozent von ihnen werden behandelt, 87 Prozent davon gelten als viral unterdrückt. Der Kampf gegen das Virus ist wohl der einzige Bereich in Südafrika, der sich unter der korrupten Herrschaft von Ex-Präsident ­Jacob ­Zuma von 2009 bis 2018 verbessert hat.

Auf dem gesamten Kontinent hat sich das Bild deutlich gewandelt. Im Jahr 2001 erhielten gerade einmal 0,05 Prozent der HIV-Patienten antiretrovirale Medikamente. Eine ganze Generation wurde dezimiert – Millionen von Waisen wuchsen bei ihren Großeltern auf. Nun liegt die Arznei-Versorgung in den meisten Ländern bei deutlich über der Hälfte der Infizierten. Und allein von 2010 bis 2018 halbierte sich fast die Zahl der Aids-Toten in Afrika.

Ärztin ­Waheeba ­Madani arbeitet mit HIV-Patienten in einem Krankenhaus in Lesotho, Foto: Christian Putsch

Doch anders als für ­Mandisa ­Makubalo ist für viele Patienten der offene Umgang mit ihrer Infektion weiterhin ein Tabu. Das mit HIV verbundene Stigma lässt sie in ständiger Angst vor Diskriminierung leben. Noch immer wird die Erkrankung oft auch vor Familienmitgliedern verborgen – was weitere Übertragungen begünstigt. In Uganda, wie Südafrika eines der am stärksten betroffenen Länder, hat es sich die Aktivistin ­Barbara ­Kemigisa zur Aufgabe gemacht, dieses Stigma weiter zu bekämpfen. „In den Dörfern verstecken die Leute die Medikamente in Bäumen, Büschen oder Babyschuhen“, sagte die 31-Jährige dem Radiosender ­Voice of ­America.

Wenn jemand die Pillen in Plastik­tüten im Garten vergrabe und sie dann irgendwann jemand einnehme, „dann ist es keine Medizin mehr, sondern Gift“. Kemigisa, die selbst infiziert ist, bekam mit, dass viele Patienten ihre leeren Medikamentendosen heimlich verbrennen oder in die Kanalisation werfen. Sie begann, die Plastikbehälter zu sammeln und daraus Mülleimer zu basteln. Längst stehen viele davon etwa an Universitäten, sogar Kleider fertigte sie aus dem Material an. Die international bekannte Aktivistin hilft so den auf Akzeptanz hoffenden Patienten. Und zugleich auch der Umwelt. Dann kam das Corona­virus. Und plötzlich wurden Engpässe im HIV-Sektor wieder zum Thema. Im Jahr 2020 gab es in Afrika im Vergleich zum Vorjahr ein Drittel weniger HIV-Tests.

„Wir hatten weniger Patienten, die sich testen ließen, dazu kamen Probleme bei der Medikamentenversorgung“, sagt ­Waheeba ­Madani, eine Ärztin am staatlichen Krankenhaus in Mafeteng, Lesotho. Die Qualität der Behandlung habe besonders in der Frühphase der Pandemie gelitten. „Das war frustrierend“, sagt ­Madani. Inzwischen habe sich die Lage aber wieder normalisiert.
In Kapstadt erinnert sich ­Mandisa ­Makubalo an die Gerüchte, dass auch hier die Lieferketten für HIV-Medizin beeinflusst sein könnten. Doch insgesamt war das in Südafrika eher selten der Fall.

Eine Ärztin aus dem Township Khayelitsha erzählt sogar, dass einige Patienten ihre zuvor abgebrochene HIV-Behandlung wieder aufnahmen. Für ­Makubalo gab es keine Unterbrechung. Wie vor der Pandemie bekommt sie in der Klinik Medikamente, die für drei Monate ausreichen. Eigentlich, so sagt sie, habe sie vor den Folgen ihrer Diabetes-Erkrankung mehr Angst als vor HIV.

Ich fühle mich so gesund wie andere Menschen. Warum soll ich mich verstecken?

Mandisa Makubalo, HIV-Patientin