Staatstreue oder Tod

Es war das wohl am besten gehütete Geheimnis der DDR: die Todesstrafe. 164 Menschen fielen ihr zum Opfer. Der letzte war Werner Teske.

DDR: ehemalige Strafvollzugseinrichtung in Leipzig
Foto: Hendrik Schmidt/picture alliance/dpa

Die zentrale Hinrichtungsstätte der DDR war früher einmal ein Kinderzimmer. Heute blättert in dem Raum, gelegen in der alten Hausmeisterwohnung einer ehemaligen Leipziger Strafvollzugseinrichtung, der Putz von den Wänden. An der Wand hängt ein modriges Holzkreuz, beleuchtet von einer Neonröhre. Auf dem Boden sind noch die Abdrücke einer Guillotine erkennbar. Sie sind ein Relikt aus der Zeit, in der die DDR knapp 100 NS-Verbrecher nach öffentlichen Gerichtsverfahren hinrichten ließ. 1968 wurde das rostige Fallbeil, das am Ende mehrere Anläufe brauchte, bis ein Kopf rollte, durch den als humaner empfundenen Genickschuss ersetzt. Etwa ein Drittel der 164 Exekutionen der DDR fanden in Leipzig statt. Doch kein Anwohner oder Häftling hat davon jemals etwas mitbekommen. Am 26. Juni 1981 ertönte in dem Hinrichtungszimmer zum letzten Mal ein schallgedämpfter Schuss. Der Verurteilte: ­Werner ­Teske, ein Funktionär der Staatssicherheit.

 

Nahschuss

Drama

Freitag, 10.3. — 20.15 Uhr
bis 8.4. in der Mediathek

Der Film „Nahschuss“ (2021), den ARTE im März zeigt, zeichnet das Leben des letzten Hinrichtungsopfers der DDR auf beklemmende Weise nach. Der Name der Hauptfigur wurde in ­Franz ­Walter geändert, Lars ­Eidinger gibt ihr ein Gesicht. Die Tragik der Geschichte jedoch bleibt. Sie beginnt im Jahr 1967: ­Werner ­Teske schreibt gerade an seiner Doktorarbeit, als das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auf ihn aufmerksam wird und dem Berliner Wirtschaftswissenschaftler eine Anstellung offeriert. Er wird zunächst Inoffizieller Mitarbeiter, nach seiner Promotion lässt sich Teske als Sachbearbeiter in der Hauptverwaltung A anstellen, dem Auslandsgeheimdienst der DDR. In dieser Funktion leitet er bis zu 15 Spione im gesamten Bundesgebiet, was mit aufwendiger Aktenarbeit verbunden ist. Aber auch mit Erpressungen und Manipulationen. Es dauert nicht lang, bis der sonst systemtreue ­Teske die Arbeit nicht mehr erträgt. Seine Sorgen ertränkt er in Alkohol, was Ermahnungen seiner Vorgesetzten nach sich zieht. Ein enormer Stress für den damals 27-Jährigen. Der einzige Ausweg, den er sieht: die Flucht in den Westen. Heimlich versteckt ­Teske Arbeitsdokumente in seiner Wohnung, um „drüben“ reinen Tisch machen zu können. Im August 1980 kommt ihm allerdings die Staatssicherheit auf die Schliche – aus einem gänzlich anderen Grund: ­Teske hat berufliche Operativgelder für private Zwecke missbraucht. Im Verhör gesteht er schließlich auch, über eine Flucht in die Bundesrepublik nachgedacht zu haben.  

 

Franz Walter (Lars Eidinger, Foto) erhält ein attraktives Angebot vom Auslandsnachrichtendienst der DDR. Im neuen Beruf wird er gezwungen, zu grausamen Mitteln zu greifen, die ihn innerlich zermürben. Franz beschließt auszusteigen und beginnt den Überlebenskampf gegen ein erbarmungsloses System. Foto: Franziska Stünkel/ARTE/ZDF

DIE RACHE DER STAATSSICHERHEIT

Nach DDR-Recht hätten Werner Teske 10 bis 15 Jahre Haft wegen versuchter Spionage erwartet, so die Einschätzung des Journalisten Gunter Lange, der sich mit diesem Fall in einem Buch beschäftigt, das wie der Film „Nahschuss“ (2021) heißt. „Das Besondere ist, dass die Anklage zur vollendeten Spionage zugespitzt wurde. Das war höchst rechtswidrig“, sagt Lange. Acht Stunden dauerte im Juni 1981 die Verhandlung, dann verkündete der Militärstrafsenat Teskes Todesurteil. Wie man heute weiß, gab es zwischen MfS und der Militärjustiz Absprachen zum Ausgang des Prozesses. Bereits zwei Wochen nach dem Schuldspruch wurde Werner Teske in Leipzig durch einen Schuss in den Hinterkopf hingerichtet und seine Leiche eingeäschert. Die Todesursache auf dem Totenschein: Herzversagen.

Der Fall Teske wirkt rückblickend umso tragischer, weil heute bekannt ist, dass es gar nicht sein eigenes Handeln war, das ihm die Exekution einbrachte. Der Grund für das harte Urteil war das Überlaufen des Agenten ­Werner ­Stiller 1979 zum Bundesnachrichtendienst (BND). Dem Oberleutnant, der ebenfalls in der Hauptverwaltung tätig war, gelang es, zahlreiche Dokumente in den Westen zu schmuggeln und mehrere Spione des MfS zu enttarnen. ­Erich ­Mielke, Minister für Staatssicherheit, soll darüber extrem verärgert gewesen sein. Auf einer Kollegiumssitzung 1982 verkündete er: „Wir sind nicht davor gefeit, dass wir einmal einen Schuft unter uns haben. Wenn ich das jetzt schon wüsste, würde er ab morgen nicht mehr leben.“ Mit diesen Worten begründete ­Mielke seine verschärfte Rechtsprechung gegen alle, die am SED-Regime zweifelten. Die vorher übliche Praxis, ein Gnadengesuch für den Angeklagten einzuholen, blieb nur noch als Formalie bestehen und wurde, im Gegensatz zu anderen Strafverfahren, nicht dokumentiert.

„Infolge des Falles Stiller sind insgesamt drei Menschen wegen versuchter Spionage hingerichtet worden“, erklärt ­Gunter ­Lange. „Die Stasi hatte Rachegelüste und wollte ein Exempel statuieren – besonders für die eigenen Reihen.“ Erst 1987 beschloss das Politbüro die Abschaffung der Todesstrafe. Die Öffentlichkeit erfuhr allerdings erst nach der Wiedervereinigung von den streng geheimen Exekutionen der DDR.

 

DDR-Behörden stellten Einlieferungsanzeige von Werner Teske
Am 11. September 1980 stellten DDR-Behörden die Einlieferungsanzeige von ­Werner ­Teske aus. Von da an saß er, angeklagt wegen Spionage, in Untersuchungshaft. Seine Exekution erfolgte ein Jahr später im Juni 1981 in einem geheimen Raum der zentralen Hinrichtungsstätte in Leipzig. ©BStU