Aus Prinzip dagegen

Marlon Brando rüttelte an den Pfeilern von Hollywood und entfesselte eine Jugendkultur. Sein Rebellentum machte ihn zum Idol – aber auch zum Sinnbild eines Großschauspielers, der sich viel Kontroverses erlaubte.

Porträt von Marlon Brando
Foto: Michel Dufour / Eric Ryan / Getty Images

Wie so oft erschien Marlon Brando unvorbereitet. Als der Schauspieler, damals Anfang 50, im Jahr 1976 am Set von „Apocalypse Now“ auftauchte, schwitzten Regisseur ­Francis Ford ­Coppola und seine Crew schon monatelang im philippinischen Dschungel. Starkregen hatte die Kulissen weggeschwemmt, der Hauptdarsteller ­Martin Sheen einen Herzinfarkt erlitten. Dann das: ­Brando, der für drei Wochen Millionen von Dollar kostete, war bei seiner Ankunft kaum wiederzuerkennen. Er hatte sich eine Glatze rasiert und war viel zu dick, um in die Uniform des hageren Colonel Kurtz zu passen, den er spielen sollte. Wie sich herausstelle, konnte er auch seinen Text nicht, wollte stattdessen tagelang mit ­Coppola diskutieren. Nicht, dass ­Brandos Unbekümmertheit überraschend kam: Zu jenem Zeitpunkt hatte er seine Karriere bereits komplett zerlegt und wieder zusammengesetzt. Er hatte das Metier der Schauspielerei umgekrempelt, aber auch früh das Interesse an der Gabe verloren, die ihm so mühelos zufiel. Lieber wollte er auf sein Atoll in der Südsee. Bei ­Brando hoffte man als Regisseur immer auf ein Wunder, so drückte es sein Entdecker, der US-Regisseur ­Elia ­Kazan (1909–2003), einmal aus. Oft genug schließlich hatte er geliefert. 

Auch in der Tropenhitze am Set von ­Coppolas Antikriegsfilm sollte ihm das Kunststück gelingen. Freilich nicht allein, denn der Regisseur musste erst das Drehbuch umschreiben, um ­Brandos Aussehen und seine Improvisationswut abzufedern. Im Film ist sein Colonel Kurtz, der sich im Wirrwarr des Vietnamkriegs ein grausames Königreich im Dschungel errichtet hat, kaum zu sehen. Er ist ein Phantom, das in einer finsteren Höhle haust und dessen Blutsherrschaft dennoch lange Schatten wirft. Als Kurtz endlich auftaucht, sein kahler Schädel im Dämmerlicht schimmert und er sich mit der Pranke den Schweiß von der Stirn wischt, versteht man sofort, dass ihn kein rationaler Maßstab fasst. Er ist ein Mann, der in Rätseln spricht, der alles Menschliche und Unmenschliche durchschritten hat und längst an einem völlig anderen Ort ist. Vermutlich hätte niemand diesen Part besser verkörpern können als ­Brando, der sich immer als Außenstehender gefühlt hat: als jemand, der aneckt, weil er nicht anders kann und will.

Marlon Brando: Im Paradies

Porträt

Montag, 1.4. — 23.45 Uhr
bis 30.5. in der Mediathek

 

JAMES DEAN RIEF STÄNDIG AN

Das Konträre hatte Brando zu seiner Sache gemacht, es war seine berühmteste Pose. Am liebsten stieß er Hollywood vor den Kopf, das zeitlebens eher wenig mit ihm anzufangen wusste. Unvergessen die Aktion, mit der er seinen Oscar für „Der Pate“ (1972) ausschlug und an seiner Stelle eine vermeintliche amerikanische Ureinwohnerin aufs Podium schickte. Es war als Zeichen gegen die Unterdrückung der Native Americans gedacht, aber auch eine Brando–typische Provokation. Die Launen und die Unzuverlässigkeit, die privaten Eskapaden – all das war längst Teil des Geniekults geworden, der ihn umgab. Und doch schien es irgendwann, als wolle er sich selbst parodieren.

Brando war in vielerlei Hinsicht anders als alle, die vor ihm kamen. Sein aufrührerisches Image stammte aus den frühen Tagen seiner Karriere, als er in „Der Wilde“ (1953) mit Jeans und Lederjacke den Anführer einer Motorradgang spielte, deren Rowdyhaftigkeit die marodierenden Anarchisten aus „Clockwork Orange“ (1971) vorwegnahm. Auch wenn man den Film an sich vergessenswert finden kann, lieferte Brando als Biker Johnny den Stoff für eine aufkeimende Jugendkultur. Seine Rohheit riss Teenager aus der Spießigkeit der Nachkriegszeit, machte ihn zum Idol einer neuen Zeit. Ein Leinwand-Monopol hatte er auf diese Rolle nicht: Zu seinem Ebenbild wurde James Dean, der Brando verehrte, dessen Auftreten imitierte und ihm angeblich ständig Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterließ. „Ich rief aber nie zurück“, erzählte Brando dem Schriftsteller Truman Capote, der ihn 1957 für den New Yorker porträtierte.

Vor allem aber war es sein regelrecht lapidaresSpiel, das ihn von anderen unterschied. Brando, der aus Omaha in Nebraska stammte und mit alkoholkranken Eltern aufgewachsen war, landete durch Zufall bei der Schauspielerei. Wie so vieles schien sie ihm zuzustoßen. Nachdem man ihn von der Militärakademie geworfen hatte, folgte er seinen Schwestern nach New York. Glaubt man der Legende, arbeitete er dort in einem Hotel gegenüber der New School als Liftboy und landete irgendwann selbst in dem Gebäude, in dem man neue Arten der Schauspielerei ausprobierte. Er lernte bei Lee Strasberg und vor allem bei Stella Adler, den Begründern unterschiedlicher Versionen des Method Acting. Auch darum erklärte man ihn später zum Aushängeschild der Technik, nach der ein Schauspieler völlig eins werden soll mit seiner Rolle.

Sicher ist, dass Brando seinen Auftritten einen ungewohnten Realismus einhauchte. Statt, wie damals üblich, theatralisch zu überzeichnen, wirkte er natürlich, sogar nachlässig. Er nuschelte, wütete, stammelte sich durchs Repertoire. Selten wurde das offensichtlicher als in „Endstation Sehnsucht“ (1951) nach Tennessee Williams. Während Vivien Leigh, der Weltstar aus „Vom Winde verweht“ (1939), als frühere Südstaatenschönheit jede Geste dramatisch spannte, zog Brando seinen Part hinab in die Niederungen des Alltags. Sein brutaler Stanley Kowalski lungerte herum, schwitzte, spuckte Gemeinheiten aus wie Kautabak. Mit dieser Unmittelbarkeit verunsicherte und euphorisierte er das Publikum. „Selbst als Anfänger ließ Brando andere Schauspieler aussehen, als würden sie mit Farbrollern malen“, beschrieb die New York Times seine Intensität.

Schauspielern ist wenig geheimnisvoll. Die meisten tun es den ganzen Tag lang

Marlon Brando (1924–2004), Schauspieler
Spielszene: Marlon Brando in
Spätes Werk: Nachdem er sich in Hollywood ins Abseits manövriert hatte, gelang ­Marlon ­Brando mit „Der Pate“ ein überraschendes Comeback. Foto: Silver Screen Collection / Hulton Archive / Getty Images

Vielleicht lag es daran, dass in Brando so viel Ambivalenz steckte. Er war der ultramaskuline Typ, das Muskelpaket mit Hang zum Überkochen und dem weichen Engelsgesicht. Das erste Hollywood-Idol, das in speckigen T-Shirts die Insignien der Arbeiterklasse zur Schau stellte, aber auch ­Sigmund ­Freuds Psychoanalyse umarmte. Der sich verletzlich gab, weinte, manchmal wirkte wie ein mauliges Kind: halb „Bad Boy“, halb „sensible Sphinx“, beides Formulierungen von ­Truman ­Capote. Unzählige ahmten diesen Stil nach. Eine ganze Generation jüngerer Schauspieler nahm sich ihn zum Vorbild: ­Robert ­DeNiro, Al ­Pacino, Jack ­Nicholson. Sie alle wollten sein wie ­Brando, das instinktive Genie.

Ziemlich schnell aber wurde klar, dass er selbst den Erfolg kaum mehr wollte, sobald er ihn hatte – was wiederum dazu führte, dass er den Zenit seiner Karriere bereits früh erreichte. Nachdem er einen gelähmten Veteranen in „Die Männer“ (1950) gespielt hatte und für „Endstation Sehnsucht“ erst am Theater und dann im Kino als Sensation gefeiert wurde, folgte mit der Shakespeare-­Adaption „­Julius ­Caesar“ (1953) das klassische Fach mit Stirnlocke. Die Kritik hatte ihn da schon lange zum bedeutendsten Schauspieler seiner Zeit ernannt. Für die Rolle des Hafenarbeiters und gescheiterten Boxers ­Terry ­Malloy, der sich in „Die Faust im Nacken“ (1954) aus den Fängen korrupter Gewerkschaftsbosse zu befreien sucht, erhielt ­Brando seinen ersten ­Oscar. Eine Auszeichnung, die üblicherweise noch größeren Ruhm, noch höhere Podeste bedeutet hätte. Doch ­Brando hatte selten verhehlt, dass ihn die Schauspielerei eher am Rande interessierte. „Sie ist das am wenigsten geheimnisvolle Gewerbe“, sagte er einmal. „Wann immer wir etwas von jemandem wollen, wenn wir etwas verbergen oder vortäuschen, schauspielern wir. Die meisten Leute tun das den ganzen Tag lang.“ Geflügelt auch der Ausspruch, er würde liebend gerne irgendwo den Boden fegen, wenn man ihn dafür so gut bezahlen würde wie für die Arbeit vor der Kamera.

Spielszene: Marlon Brando in „Der letzte Tango in Paris“
1972 erschien „Der letzte Tango in Paris“, der heute kritisch gesehen wird. Foto: picture alliance / akg-images

MANIPULATION IM NAMEN DER KUNST

Wie um seinen Widerwillen zu demonstrieren, machte Brando sich daran, das eigene Heldenbild zu demontieren. Er drehte zahlreiche Flops, verhielt sich erratisch, nahm zu und forderte riesige Gagen. Wie ein Kaugummi zogen sich in Tahiti die Dreharbeiten zu „Die Meuterei auf der Bounty“ (1962), weil Brando mehrere Regisseure verschliss – ein finanzielles Desaster. Danach galt er in Hollywood als abgeschrieben. Brando verlegte sich auf Dinge, die ihm wichtiger waren: Er engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung, machte Schlagzeilen mit Frauengeschichten, setzte sich ab in die Südsee, wo er auf seinem Inselbesitz nachhaltigen Tourismus betreiben wollte. Aus dem Vorsatz, nicht zum Objekt der Maschinerie zu werden, schien irgendwann Selbstzweck geworden zu sein. Auf -Brando hätte niemand mehr gewettet – oder nur wenige. Denn während die Studios und das Publikum sich abwendeten, schien er bei einer Handvoll junger Filmemacher weiterhin ein Standing zu genießen. So jedenfalls ließe sich erklären, dass er genau zehn Jahre nach dem „Bounty“-Desaster noch einmal groß auftauchte.

Zum einen mit einem Instant-Klassiker: „Der Pate“ (1972), dem Brando als Don Vito Corleone das Patriarchen-Nuscheln verlieh. Und mit „Der letzte Tango in Paris“ (1972), einem Film mit eingebautem Skandal. Damals, weil er so freizügig war. Heute, weil er das Ausnutzen eines Machtgefälles einschließt. Inhaltlich passiert darin nicht viel: Ein alternder Amerikaner trifft sich in einer leer stehenden Wohnung zum anonymen Sex mit einer jungen Pariserin. Seinen Ruf erlangte der Film für die „Sache mit der Butter“: Brandos Figur Paul benutzt sie in einer Szene als Gleitmittel, um Jeanne, gespielt von Maria Schneider, anal zu vergewaltigen. Diese Wendung war zunächst nicht geplant, Regisseur Bernardo Bertolucci und Brando hatten sich das fettige Detail, wie passend, beim gemeinsamen Frühstück überlegt und Schneider damit vor laufender Kamera überrumpelt. Er habe „ihre Reaktion als Mädchen, nicht als Schauspielerin“ gewollt, rechtfertigte Bertolucci den Schritt: „Sie sollte die Wut und die Demütigung fühlen, nicht spielen.“ Was damals offenbar als legitim galt, ist aus heutiger Perspektive undenkbar: Ein Autorenfilmer und ein Großschauspieler, vermeintliche Künstlergenies, manipulieren eine 19-jährige Newcomerin im Namen der Wahrhaftigkeit. Schneider hat später oft darüber gesprochen, wie ausgenutzt sie sich fühlte und wie sehr sie den Film verabscheute. Doch für ihre Sicht interessierte man sich erst Jahrzehnte später, als die Schauspielerin bereits tot war, im Zuge der #MeToo-Bewegung.

Für Brando bedeutete der Film eine Rückkehr in die Gunst der Kritiker – zumindest für kurze Zeit. Denn auch er hasste das Ergebnis, fühlte sich von Bertolucci emotional ausgebeutet. Er begrub den Method Actor Brando und übernahm fortan nur noch kleinere Rollen für maximales Geld. Mehr Kopfzerbrechen, beschloss er, sei kein Film wert.