Der Film, den es nicht gibt

Dreigroschenfilm Bertolt Brecht scheiterte daran, seinen erfolgreichen Theaterstoff für das Kino umzusetzen. Die Verfilmung dieses Scheiterns gelingt hundert Jahre später dafür umso besser.

Genie und Wahnsinn: In der Rolle von Bertolt Brecht kämpft Lars Eidinger gegen die Filmindustrie – und für den Dreigroschenfilm. Foto: Wild bunch Germnany/Swr
Genie und Wahnsinn: In der Rolle von Bertolt Brecht kämpft Lars Eidinger gegen die Filmindustrie – und für den Dreigroschenfilm. Foto: Wild bunch Germnany/Swr

Die Geschichte des Films, den es gar nicht gibt, hat es am Ende doch noch auf die große Leinwand geschafft – über Umwege, aber mit Starbesetzung. Es ist die Verfilmung der Nichtverfilmung von Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“. In den Hauptrollen: Lars Eidinger, Tobias Moretti und Hannah Herzsprung. Und der Ort des Geschehens ist das Berlin der 1920er Jahre, das auch den jungen Eugen Berthold Friedrich Brecht magisch angezogen hatte, den schmächtigen Sohn des Direktors einer Augsburger Papierfabrik.

Die Sendung auf Arte

Das Drama „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ gibt es am Freitag 3.1.2020 um 20:15 Uhr bei ARTE und bis 1.2.2020 in der Mediathek.

An einem bitterkalten Winterabend Anfang 1922 auf einer Party im vornehmen Berliner Westen lernte er den drei Jahre älteren Wiener Arnold Bronner kennen, der es unter seinem leicht modifizierten Namen Arnolt Bronnen bereits zu einem erfolgreichen Bühnendramatiker gebracht hatte und der über sein erstes Zusammentreffen mit Brecht notierte: „Der war ein 24-jähriger Mensch, dürr, trocken, ein stachliges, fahles Gesicht mit stechenden Punktaugen.“ Und weiter: „Eine billige Stahlbrille hing lose von den bemerkenswert feinen Ohren über die schmal-spitze Nase herab. Seltsam zart war der Mund, der das träumte, was sonst die Augen träumen.“ Da war er also, auf einer seiner ersten Berlin-Reisen, der Augsburger, der in München studierte, bevor er zwei Jahre später ganz und gar in Berlin Quartier nahm. Der Mann, über den man einige Jahre später kurz erklärend lesen kann: „Bertolt Brecht war der einflußreichste deutsche Dramatiker, Lyriker und Librettist des 20. Jahrhunderts. Er war Mitbegründer und maßgeblicher Theoretiker des ‚epischen Theaters‘“. Brecht und Bronnen schlossen Freundschaft, wenn auch nur für kurze Zeit, aber immerhin: Kein Geringerer als der „Fackel“-Herausgeber Karl Kraus attestierte den jungen Dichter-Freunden gleichwertige poetische Potenzen. Auch Brecht änderte nun, in Freundschaft zu Bronnen, seinen Vornamen vom herkömmlichen Berthold zum etwas kantigeren Bertolt, tauchte ein in die turbulenten Berliner 1920er Jahre, in eine ekstatische Zeit, als der Expressionismus die Theater durchzog, lebte mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig, verhedderte sich darin und nahm Anlauf zu seinem größten Erfolg – der „Dreigroschenoper“.

Sein Drama „Baal“ wurde 1923 in Leipzig uraufgeführt. Sein zweites Stück „Trommeln in der Nacht“, links, kritisch und sozial engagiert, war schon ein Jahr zuvor in München auf die Bühne gekommen. Dafür erhielt er 1924 den Kleist-Preis – der, 1912 erstmals verliehen, bedeutendsten literarischen Auszeichnung in der Weimarer Republik. Für den jungen Dramatiker Brecht ein künstlerischer Meilenstein und nebenbei auch ein ordentlich dotierter Preis.

Die Filmindustrie ist zu doof. Sie muss erst bankrott gehen!

Lars Eidinger in der Rolle als Bertolt Brecht
1920er-Flair: Hannah Herzsprung im Glitzerdress (o.) und als Polly Peachum, die in Brechts „Dreigroschenoper“ den Gangster Mackie Messer heiratet (l.). Foto: Wild Bunch Germany
1920er-Flair: Hannah Herzsprung im Glitzerdress (o.) und als Polly Peachum, die in Brechts „Dreigroschenoper“ den Gangster Mackie Messer heiratet (l.). Foto: Wild Bunch Germany

1924 hatte Brecht auch die junge Schriftstellerin und Übersetzerin Elisabeth Hauptmann kennengelernt, die eine seiner wichtigsten Mitarbeiterinnen werden sollte und die Mitte der 1920er Jahre an einer Übersetzung der „Beggar’s Opera“ von John Gay und Johann Christoph Pepusch aus dem Jahre 1728 arbeitete – einer Oper über Gangster, Bettler und Huren. In einem ihrer wenigen Interviews erzählte Hauptmann Ende der 1960er, sie habe Brecht den Stoff vorgelegt und wärmstens empfohlen. Der aber habe sich wenig interessiert gezeigt, sie habe ihn regelrecht überreden müssen, sich diese „Beggar’s Opera“ richtig anzusehen. Schließlich sei er begeistert gewesen und habe begonnen, an einer neuen Version gemeinsam mit ihr und dann auch mit dem Komponisten Kurt Weill zu arbeiten. So erschuf er eine völlig neue Art, Oper zu verstehen, zu schreiben und zu spielen. „Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen, und weil sie doch so billig sein sollte, dass Bettler sie bezahlen können, heißt sie die Dreigroschenoper!“, notierte Brecht selbstbewusst.

Dreigroschenfieber in Berlin

Ein Titel, der letztlich für einen der größten Bühnenerfolge in der Geschichte der Oper stehen sollte. Der Sensationserfolg und die Schallplattenaufnahmen, die sofort nach der Uraufführung erschienen, sorgten für ein Dreigroschenfieber: Dreigroschenkneipen eröffneten, die Frauen verkleideten sich als Prostituierte, die Männer als Zuhälter und Ganoven. Die „Dreigroschenoper“ lief in Berlin monatelang vor ausverkauftem Haus und innerhalb von fünf Jahren mehr als 10.000 Mal in Europa. Kein Stück erreichte ein größeres Publikum. Und Brecht und Elisabeth Hauptmann wollten das Stück, mit der Musik von Kurt Weill, auf die Leinwand bringen – den Dreigroschenfilm. Ein entsprechender Vertrag über die Verwertungsrechte war im Mai 1929 mit der Nero-Film AG geschlossen worden. Aber es kam nie zu diesem Film, vielmehr zu einem Gerichtsprozess. Nach Beginn der Dreharbeiten klagten Brecht und Weill gegen die Filmproduktionsfirma, sie sahen ihr im Vertrag festgeschriebenes Mitbestimmungsrecht verletzt. Die Nero-Film AG wollte einen Film „frei nach Brecht“ produzieren, Brecht dagegen bestand auf seinem geistigen Eigentum. Letztlich kam es zu einem außergerichtlichen Vergleich. Die Filmrechte gingen zwar zurück an Brecht und Weill, Nero-Film durfte aber ihre Interpretation „Die Dreigroschenoper“ (1931) mit Georg Wilhelm Pabst als Regisseur drehen.

Mit „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ ist es nun Regisseur Joachim A. Lang, der Brechts Wunsch nach einer kompromisslosen und radikalen Filmversion der „Dreigroschenoper“ gewissermaßen doch noch realisiert – indem er verschiedene Handlungsstränge und Erzählebenen exzellent zusammenführt. Ob Brecht wohl zufrieden im Fernsehsessel säße?