Die Show des Lebens

Aus der deutschen Nachkriegsprovinz in den Olymp des Entertainments, Las Vegas. Die Geschichte der Illusionisten Siegfried und Roy ist fast so magisch wie ihre Tricks.

Siegfried und Roy
Foto: picture-alliance, dpa

Wir schreiben das Jahr 1967. In Deutschland startet das Farbfernsehen mit Vico Torriani in der ­Spielesendung „Der goldene Schuss“. Die Jahres­hitparade beherrscht Roy Black mit zwei Titeln unter den Top fünf. Und ein anderer Roy schickt sich an, als Magier das US-amerikanische Show-Mekka Las Vegas zu erobern. Er heißt im wahren Leben so wenig Roy wie der Schlagersänger. Doch als er mit seinem Partner ­Siegfried den ersten Vertrag für einen Auftritt im Revuetheater des Hotels ­„Tropicana“ unterschreibt, hat dieser Roy seinen Geburts- namen Uwe ­Ludwig Horn mindestens so weit hinter sich gelassen wie seine Heimatstadt Nordenham.

Roy, der Junge von der Weser, und Siegfried, der tatsächlich mit diesem Vor- und dem Nachnamen ­Fischbacher im oberbayrischen Rosenheim auf die Welt gekommen war, kannten sich bei ihrem Las-Vegas-Debüt bereits zehn Jahre. Dass zwei Unterhaltungskünstler aus der deutschen Provinz zu einem der erfolgreichsten Bühnen-Acts in der neongrellen Wüstenstadt aufsteigen würden, war Ende der 1960er Jahre ungefähr so wahrscheinlich wie eine Apollo-­Mondmission mit deutschen Astronauten. Die ARTE-Dokumentation ­„­Siegfried und Roy – Der amerikanische Traum“ zeichnet den scheinbar unmöglichen Aufstieg nach. Und wirft dabei mehr als einen Blick hinter die Glamour-­Fassade des Showbusiness.

Siegfried und Roy – Der amerikanische Traum

Kulturdoku

Freitag, 14.5. — 22.05 Uhr
bis 12.6. in der Mediathek

Siegfried und Roy
Die perfekte Illusion war ihre Passion. Das Magier-­Duo Siegfried und Roy begeisterte über ­Jahrzehnte ein Millionenpublikum in Las Vegas mit seinen aufwendigen Bühnenshows. Foto: picture-alliance, dpa

In ihr gemeinsames Leben starteten Siegfried und Roy als Crewmitglieder auf dem Kreuzfahrtschiff „TS Bremen“ des Norddeutschen Lloyds, doch auf dem Weg dahin teilten sie bereits manche Gemeinsamkeiten. Beide hatten als Kinder trinkende Väter erlebt – Heimkehrer aus Krieg und Gefangenschaft, die in der jungen Bundesrepublik keinen Halt fanden. Der junge ­Siegfried entfloh dieser tristen Realität, indem er kleine Zauberkunststücke vor wachsendem Publikum aufführte. Roy hingegen entdeckte früh seine Fähigkeiten im Umgang mit Tieren. Der Teenager und Schulabbrecher gelangte durch einen Onkel an einen Geparden aus dem Zoo. ­Chico wurde sein ständiger Begleiter und auf wundersame Weise sogar an Bord der ­„Bremen“ geschmuggelt.

In einer Zeit, in der die ersten Deutschen zaghaft mit dem VW-Käfer über die Alpen nach Italien krabbelten, kamen Kreuzfahrten einem luxuriösen Paralleluniversum gleich. Für Menschen aus einfachen Verhältnissen wie ­Siegfried und Roy, die der provinziellen Nachkriegsenge entkommen wollten, war es ein Fluchtpunkt. Mit Roy als Assistenten und der Raubkatze ­Chico als exotischer Attraktion wurden die Auftritte des zaubernden Stewarts ­Siegfried zum durchschlagenden Erfolg. Im Licht der Bühnenscheinwerfer waren sie fortan Teil des schönen Scheins. Wieder an Land, arbeitete sich das Duo ab 1964 mit Disziplin, Perfektionismus und unbändiger Energie im Showgeschäft nach oben – bis in den Olymp. Auf Varietés in Deutschland folgten Engagements quer durch Europa und schließlich im Pariser Lido, das ihr Sprungbrett in Richtung Vereinigte Staaten wurde. Der Rest ist Legende.

Siegfried (r.) und Roy. Foto: Getty Images, ZDF

Exzentriker im Fantasiereich
„Siegfried hat mir eine bessere Welt gezeigt“, schwärmt Roy in der ARTE-Dokumentation, „in der Magie ist alles möglich.“ Mehr als sechs Jahrzehnte vermischten sich Tatsachen und Träume, Wünsche und Wirklichkeit, Fakten und Fantasien im Reich der Illusionisten. Mit Löwen und Tigern teilten sie riesige Anwesen in Las Vegas, in ihrer Exzentrik würdige Nachfolger des schrillen ­Liberace. Wie der Entertainer lebten auch ­Siegfried und Roy ihre Homosexualität nicht offen. Dass sie lange ein Paar waren, bis 1998, wusste jeder – und schwieg.

Die gemeinsame Karriere mit Tausenden Shows der Superlative im eigens für sie gebauten Theater des „Mirage“-­Hotels ging nach der privaten Trennung weiter. Das Ende auf der Bühne kam 2003. Ein Horrorunfall, ausgerechnet mit einem der weißen Tiger, die Roy selbst aufgezogen hatte. Was genau geschah, ist ungeklärt. Den Biss des Tieres überlebte Roy nur knapp, für den Rest seines Lebens halbseitig gelähmt. 2020 starb er an Corona, nur ein Jahr später erlag ­Siegfried einem Krebsleiden. Der „­Siegfried & Roy Drive“ am „Mirage“ erinnert an sie. Ihr eigentliches Vermächtnis gehört ebenfalls zu dem ­Hotel- und Casino-­Komplex: das ­„Siegfried & Roy’s ­Secret ­Garden and Dolphin Habitat“, in dem auch der weiße Tigernachwuchs lebt. Die Aufzucht der weißen Großkatzen wird als Artenschutz deklariert. Weil die Fellfarbe lediglich Folge einer Genmutation ist, kritisieren Tierschützer das seit Langem. Wir schreiben das Jahr 2021. Las Vegas wahrt den Schein.