Provokante Aktionskunst ist das Markenzeichen des Kollektivs Zentrum für politische Schönheit (ZPS). Philipp Ruch, 40, und seine Komplizinnen und Komplizen erregen immer wieder die Gemüter. Ein Gespräch an einem geheimen Ort in Berlin-Mitte.
arte magazin Wie fühlt es sich an, Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein, Herr Ruch?
Philipp Ruch Blendend. Unser Kollektiv wirbt inzwischen damit, dass der Freistaat Thüringen, der AfD-Politiker Björn Höcke und der türkische Diktator Erdoğan uns als solche bezeichneten.
arte magazin Die Staatsanwaltschaft Gera ermittelte sogar gegen Sie. Wie kam es dazu?
Philipp Ruch Anlass war unsere Aktion in der Nähe von Höckes Wohnsitz in Bornhagen. 2017 errichteten wir dort eine Miniaturkopie des Berliner Holocaust-Mahnmals, das der AfD-Mann zuvor als „Mahnmal der Schande“ bezeichnete. Womöglich hatte er einen guten Draht zum Staatsanwalt, der die Ermittlungen anstieß. Das Verfahren wurde letztlich eingestellt; die Vorwürfe waren völlig haltlos.
arte magazin Und Erdoğan?
Philipp Ruch Der ist verärgert, weil wir mitten in Istanbul aus einem Hotelzimmer Flugblätter auf die Straße hinabsegeln ließen, auf denen wir zu seinem Sturz aufriefen.
arte magazin Stehen Sie in der Türkei noch auf den Fahndungslisten?
Philipp Ruch Davon ist auszugehen. Ich kann es aber schlecht verifizieren, dazu müsste ich hinfliegen. Und das wäre viel zu riskant.
arte magazin Mit solchen Aktionen reiben Sie Salz in die Wunden derer, die Ihre Kunst unterbinden wollen. Weshalb?
Philipp Ruch Gute Kunst muss wehtun! Vor allem jenen, die sie verhindern wollen oder ihre Urheber bekämpfen. Also etwa den An-hängern des neuen deutschen Faschismus und generell allen Feinden der Demokratie. Doch gute Kunst vermag noch mehr: Sie kann verhärtete Fronten aufweichen, indem sie verkantete gesellschaftliche Wirklichkeiten aufzeigt und zum Dialog zwischen den Fraktionen auffordert. Insofern spaltet Kunst nicht nur, sondern baut auch Brücken und lässt neue Handlungsräume entstehen.
arte magazin Handlungsräume wie beim Streit um das Holocaust-Gedenken? Mit der Installation „Sucht nach uns“, bei der Sie die Asche ermordeter Juden vor dem Kanzleramt deponierten, haben Sie den Zorn vieler Menschen erregt. Was sollte das?
Philipp Ruch Ich fühlte mich davon provoziert, dass die Geschichte anscheinend nicht mächtig genug ist, um zu verhindern, dass der deutsche Rechtsextremismus trotz des Holocausts heute in neuer Gestalt wieder im Parlament sitzt. Mit der Aktion wollten wir das Motto „Nie wieder Auschwitz“ im Regierungsviertel in Erinnerung rufen. Zudem schlugen wir vor, einen angemessenen Ort für die sterblichen Überreste der Opfer zu finden und sie dort zu begraben. Das wurde leider komplett missverstanden. Vielleicht, weil man das ZPS ohnehin als Haufen von Provokateuren abstempelt – ein Pauschalurteil, mit dem auch Christoph Schlingensief zeitlebens kämpfen musste.
arte magazin Wollen Sie das ZPS jetzt als missverstandenes Opfer darstellen?
Philipp Ruch Auf keinen Fall. Ich stelle aber immer wieder fest, dass unsere Aktionen an einem der letzten Tabus der Kunst rütteln: der Rettung von Menschenleben. Dass wir dazu ermuntern, verstehen einige wohl als Provokation.
arte magazin Menschen retten ist ein Tabu?
Philipp Ruch Offenbar. Nehmen Sie die Aktion „Flüchtlinge fressen“: Darin inszenierten wir die Flüchtlingstragödie als Zirkusspiel, bei dem sich Geflüchtete – wie im antiken Rom – öffentlich von Tigern zerfleischen lassen. Wir wollten die Bürgerinnen und Bürger sensibilisieren, damit sie gegen die EU-Doktrin aufbegehren, die das Sterben der Flüchtlinge in Kauf nimmt. Das mediale Echo war erwartungsgemäß laut. Mit anderen Worten: Wenn es bloß um Provokation ginge, müssten wir nur die ganze Zeit dazu aufrufen, Schiffbrüchige aus dem Mittelmeer zu retten. Das erzürnt viele Leute nachhaltig.
arte magazin Das tun schon andere Organisationen.
Philipp Ruch Mit eher mäßigem Erfolg. Lichterketten, Petitionen und dergleichen bewirken doch nichts.
arte magazin Halten Sie den Zynismus von „Flüchtlinge fressen“ für erfolgversprechender?
Philipp Ruch Nichts ist zynischer als die Wirklichkeit. Die können unsere Aktionen gar nicht toppen. Als Stilmittel ist Zynismus dennoch probat, da er die Problematik glasklar ins Bewusstsein der Menschen bringt –
und gezielt die Schmerzgrenze überschreitet. Den Leuten bleibt nichts anderes übrig, als sich mit dem Thema zu befassen. In Zeiten von Reizüberflutung und Individualismus ist das ganz sicher ein Erfolg.