Die Bestien von nebenan

Serienmörder gab es in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen – auch wenn die DDR- Staatsführung ungern über ihre Fälle sprach. Die ARTE-Serie „Lauchhammer“ sowie eine Begleitdokumentation werfen ein Schlaglicht auf das Phänomen Serienmord im Sozialismus.

Die Krimiserie „Lauchhammer“ taucht tief ein in die Vergangenheit der Lausitz – hier eine Spielszene mit ­Mišel ­Matičević als Mordermittler. Foto: MDR/RBB/ARD Degeto/ARTE/Moovie GmbH/Anke Neugebauer

Kindsmörder“ war noch die sachlichste Bezeichnung für Erwin Hagedorn. Viele Zeitungen nannten ihn „Bestie“ oder „Schlächter“. Innerhalb weniger Jahre hatte er im brandenburgischen Eberswalde drei Grundschüler missbraucht und getötet. Sein Motiv: Sadismus und Pädophilie. Der Fall sticht heraus unter den Serienmorden zu DDR-Zeiten. Nicht nur wegen der besonderen Brutalität, sondern weil die Ermittler ungewöhnliche Methoden anwandten: Volkspolizei und Staatssicherheit fahndeten öffentlich nach dem Mörder, mit Plakaten und Zeitungsaufrufen. Außerdem wurde erstmals in der ostdeutschen Kriminalgeschichte ein Täterprofil erstellt, ein sogenanntes Profiling. Mit Erfolg: ­Der 19-jährige Hagedorn wurde gefasst – und nach DDR-Recht, das keine Sonderbehandlung von Heranwachsenden vorsah, zum Tode verurteilt. 1972 erschoss ihn ein Henker in der zentralen Hinrichtungsstätte in Leipzig mit einem Genickschuss.

Lauchhammer – Tod in der Lausitz

Krimiserie

Donnerstag, 8.9. — 20.15 Uhr

bis 13.12. in der Mediathek

Mit der sechsteiligen Krimiserie „Lauchhammer – Tod in der Lausitz“ sowie einer Begleitdokumentation widmet sich ARTE im September auf verschiedenen Ebenen in der DDR verübten Serienmorden. Deutlich wird dabei, dass die Fahndungen in dem sozialistischen Staat meist grundlegend anders verliefen als im Fall ­Hagedorn. Denn im marxistisch-leninistischen Weltbild war eigentlich kein Platz für abnormes menschliches Verhalten. Anders als im Kapitalismus, der ganz auf das Individuum baut, galt der Mensch im Sozialismus als ein Produkt des Staates. Ergo hat der Staat versagt, wenn der Mensch auf Abwege gerät.

Einen Eindruck, wozu diese Denkweise teils führte, vermittelt „Lauchhammer“. Das Schauspielduo ­Mišel ­Matičević und ­Odine ­Johne untersucht darin einen mysteriösen Mädchenmord im ehemaligen Braunkohlerevier der Lausitz – und stößt auf weitere ungeklärte Verbrechen. „Die Krimihandlung ist erfunden. Aber die Umstände sind es nicht“, betont ­Frauke ­Hunfeld, die das Drehbuch zusammen mit ­Silke Zertz verfasst hat. „Bestimmte Arten von Kriminalfällen wurden in der DDR aus ideologischen Gründen nicht öffentlich thematisiert und auch nicht von gewöhnlichen Mordkommissionen ermittelt. Nach der Wende sind viele Akten verloren gegangen. Viele Verurteilte wurden rehabilitiert, nicht immer zu Recht.“

Auch die Begleitdokumentation „Mord, Mord, Sozialismus“ zeigt, wie schwer sich die sozialistischen Behörden mit dem Phänomen Serienmord taten. Als Beispiele dienen der „Würger von Plauen“ und der „Vampir“, der im polnischen Oberschlesien mordete. „Der Staatsapparat im Osten hat solche Fälle so gut und so lange es ging unter der Decke gehalten, um keine Unruhe zu stiften. Erst wenn es gar nicht mehr anders möglich war, gab man Auskunft“, sagt ­Magdalena Gwóźdź-­Pallokat im Gespräch mit dem ­ARTE Magazin. Die deutsch-polnische Journalistin und Filmautorin, die durch die ARTE-­Dokumentation führt, stieß im Zuge der Recherchen auf einen gruseligen Zusammenhang: So galt ihr Großvater im Fall der „Vampir“-Serienmorde kurzzeitig als Verdächtiger – zum Glück zu Unrecht.

 

Ganz real tötete ­Erwin Hagedorn: Er ermordete drei Kinder in der DDR und stellte die Taten nach ­seiner Verhaftung nach. Foto: MDR

Mord, Mord, Sozialismus: Auf der Spur der Serientäter des Ostens

Geschichtsdoku

Donnerstag, 8.9. — 22.35 Uhr

bis 6.12. in der Mediathek

HANNIBAL LECTER – NUR EIN ZERRBILD? 

Einen Überblick, wie die ostdeutsche Ermittlungspraxis im Detail verlief, verschafft Hans Thiers im Sachbuch „Serien-mörder der DDR“ (2018), wobei der ehemalige Beamte die hohe Aufklärungsquote und andere Erfolge hervorhebt. „Die sozialistische Kriminalistik der DDR sprach nicht von Massenmördern oder Serienmördern, sondern bezeichnete diese Art der Kriminalität als Brennpunkte“, schreibt Thiers. „Sensationsheischende Presseveröffentlichungen oder gar die Erwähnung von Täterwissen durch Polizisten oder Staatsanwälte waren den Behörden fremd.“ Der Kriminalist ermittelte in den Jahren 1973 bis 1990 in rund 180 Tötungsdelikten. In seinem Buch beschreibt er ein Dutzend in Ostdeutschland verübte Serienmordfälle, darunter auch den von Erwin Hagedorn. 

„Serienmörder leben jenseits der sozialen Ordnung mitten unter uns. Sie sind unsere Nachbarn“, so Thiers. Dabei kritisiert er das „Zerrbild“, das Medien und Filme wie „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) von Serienkillern etabliert hätten. Tatsächlich: Nicht jeder Täter ist hochintelligent wie der von Anthony Hopkins verkörperte Kannibale Hannibal Lecter. Am realen Schrecken, den Mehrfach-Mörder wie Erwin Hagedorn auslösen, ändert das jedoch nichts.

Serienmörder leben jenseits der sozialen Ordnung mitten unter uns. Sie sind unsere Nachbarn.

Hans Thiers, Kriminalist und Autor