»Ich brauchte einen Panzer«

Filme wie „Männer“ und „Kirschblüten – Hanami“ machten ­Doris ­Dörrie international bekannt. Ein Gespräch über die Brutalität des Lustigen und Bluffen als Prinzip.

Porträt Doris Dörrie
Foto: Constantin Film/Mathias Botho

Mal geht es um Kulturkampf auf der Liegewiese („Freibad“, 2022), mal um Großstädter mit Willen zum perfekten Leben („Nackt“, 2002). Immer um die hindernisreiche Suche nach ein bisschen Glück: Wenn ­Doris ­Dörrie Filme dreht, steckt in gleichen Teilen Leichtigkeit und Schwere drin. Seit vier Jahrzehnten ist sie auf diese Weise erfolgreich. Als die Regisseurin 1985 „Männer“ mit ­Heiner ­Lauterbach und Uwe ­Ochsenknecht ins Kino brachte, ließ die Komödie in Deutschland sogar „Rambo“ hinter sich. ­Dörrie besaß Alleinstellungswert, und zwar als Frau im Filmgeschäft, aber auch, weil sie Autorenfilm und kommerziellen Appeal verband. Das passte nicht jedem: „Wenig wird einem in Deutschland so schwer verziehen wie Erfolg“, glaubt sie. Dörrie hat immer weitergedreht, vom Episodenfilm „Bin ich schön?“ (1998) bis zum Kinohit „Kirschblüten – Hanami“ (2009), der zwei grundverschiedene Welten verbindet: Bayern und Japan.

 

­Franka ­Potente und Steffen Wink als Spanien-Reisende in „Bin ich schön?" Foto: Constantin Film Verleih

Doris Dörrie – Die Flaneuse

Porträt

Mittwoch, 26.6.
— 22.05 Uhr
bis 23.9. in der
Mediathek

ARTE Magazin „Ich bemühe mich darum, eine optimistische Pessimistin zu sein“ – so haben Sie sich einmal beschrieben. Wie darf man das verstehen?

Doris Dörrie Nun, die Weltlage kann einen pessimistisch stimmen, und das Leben geht in der Regel auch nicht gut aus. Diese Fakten kann man nicht ausblenden. Doch es bringt weder mir noch meinem Publikum etwas, wenn ich die Dinge noch schwerer mache. Darum ist es mein ewiges Ziel, die schweren Dinge leichter zu machen.

ARTE Magazin Sehen Sie sich als Unterhalterin?

Doris Dörrie Ja. Man sollte sich streng fragen: Möchte ich mit Niveau gelangweilt werden? Oder lieber mit Niveau unterhalten werden? Ich liebe den unterhaltsamen Film, der mich zum Nachdenken, zum Lachen und Weinen bringt. Dass Unterhaltung kein Schimpfwort ist, habe ich in Amerika gelernt.

ARTE Magazin Sie sind mit 18 nach Kalifornien gezogen, wonach haben Sie gesucht?

Doris Dörrie In Deutschland waren die Strukturen 1973 noch sehr verkrustet. Ich wollte Improvisationstheater studieren. Dafür bin ich nach Kalifornien gegangen, ohne besonders viel über die Universität zu wissen. Und ohne viele Möglichkeiten, Kontakt mit der Familie zu halten, außer über Briefe auf dünnem Luftpostpapier.

ARTE Magazin Mit amerikanischer Freiheit verband man damals oft die Hippiekultur. Stimmte das noch?

Doris Dörrie In Kalifornien schon. Alle hatten sehr viele Drogen in den Taschen. Und zwar buchstäblich: Man trug Second-­Hand-Sakkos, und die Taschen steckten randvoll mit Rauschmitteln aller Art. Das fand ich erstaunlich. Dahinter verbarg sich aber oft ein schrecklicher Grund. An der Universität gab es auch Vietnamveteranen, die erst 18 oder 19 Jahre alt waren und mit amputierten Beinen in den Rollstühlen saßen. Sie waren traumatisiert durch schwerste Kriegserlebnisse, haben vor Pein geschrien. Entweder weil sie auf einem schlechten Trip waren oder weil sie gar nicht genug Drogen konsumieren konnten, um ihre Erlebnisse zu überdecken.

ARTE Magazin In welchem Ausmaß hat diese Zeit Ihr filmisches Erzählen geprägt?

Doris Dörrie Sehr stark, weil ich in der Zeit das New American Cinema kennengelernt habe. Das amerikanische Kino versteht Erzählen als Handwerk. Diese Sicht hat mich nicht nur im Film, sondern auch in der Literatur begeistert.

 

Jürgen Vogel und Nina Hoss in Film von Doris Dörrie
Glückssucher: Seelen-Striptease in „Nackt“, unter anderem mit Jürgen ­Vogel (h. l.) und Nina Hoss (M.). Foto: picture alliance/United Archives

Bin ich schön?

Episodenfilm

Mittwoch, 26.6. — 20.15 Uhr
bis 29.6. in der Mediathek

ARTE Magazin In Ihrem Buch „Lesen, schreiben, atmen“ erzählen Sie, wie ein Professor die griechische Tragödie „Antigone“ besprach – und Sie mit der Frage schockierte, ob es sich dabei überhaupt um eine gute Geschichte handele.

Doris Dörrie Es ist lustig, wenn ich das erzähle und deutsche und amerikanischen Freunde dabei sind: Die Deutschen lachen sofort, weil sie das Tabu verstehen. „­Antigone“ ist Weltliteratur, das darf man nicht anzweifeln! Die Amerikaner lachen nie, weil es für sie eine normale Frage ist. In meinen Augen war das ein kompletter Tabubruch – und sehr befreiend. Plötzlich durfte man solche Dinge. Dadurch war mehr Luft in den Köpfen, es gab eine völlige Freiheit.

ARTE Magazin Als Sie nach Ihrer Rückkehr in München an der Filmhochschule vorsprachen, erfanden Sie Arthouse-Filme, um die Jury zu beeindrucken.

Doris Dörrie Weil ich vor Aufregung einen kompletten Blackout hatte. Was man mir nicht ansah, denn ich gab mich sehr cool. Außerdem hatte ich die kürzesten Hotpants von ganz München an. Die Frage war: „Welche Filme nehmen Sie sich zum Vorbild?“ Mir fiel in der Panik kein einziger ein. Also habe ich Titel und Regisseure erfunden. Ich habe behauptet, das wären in den USA ganz bekannte Undergroundfilme. Da haben alle genickt und gesagt: Stimmt, genau.

ARTE Magazin Mussten Sie später oft bluffen?

Doris Dörrie Das Filmgeschäft ist ein Bluff-Geschäft. Man muss dauernd so tun, als wüsste man, wovon man redet. Und als wäre man sicher, dass ein Film ein großer Erfolg wird. Das Bluffen gehört zum Handwerk.

 

Kirschblüten Hamami Hannelore Elsner und Elmar Wepper
In „Kirschblüten – Hanami“ versucht Gewohnheitsmensch Rudi ­Angermeier (­Elmar Wepper), die Träume seiner verstorbenen Frau (­Hannelore ­Elsner) nachzufühlen. Foto: Strand Releasing/Everett Collection/picture alliance

ARTE Magazin Ist man deswegen als Regisseurin oder Regisseur oft die einsamste Person am Set?

Doris DörrieMan muss sich schon selbst immer wieder Zuversicht einflüstern. Ich habe aber auch sehr schnell verstanden, dass ich keine männliche Art des Regieführens imitieren wollte, die damals stark von Kriegsmetaphern durchsetzt war. Sondern dass es stattdessen viel mehr Spaß und weniger einsam macht, wenn man die kreative Energie um sich herum einbindet und die Menschen am Set einlädt, sich einzubringen.

ARTE Magazin Für viele Regisseure gehörte es früher zum guten Stil, als Despot aufzutreten.

Doris Dörrie Das war die Jobbeschreibung. Man hatte so zu sein. Auch wenn man innerlich geschlottert hat vor Angst, sollte man den General geben. In die Schlacht ziehen, koste es, was es wolle. Der Regisseur, der auf dem Feldherrnhügel steht und die Massen dirigiert.

ARTE Magazin Sie legten sich eine Uniform aus Lederjacke und Sonnenbrille zu. Hat es geholfen?

Doris Dörrie Die Fassbinder-Lederjacke – oder die Erdmann-­Lederjacke, so heißt sie auf Bayrisch. Das war meine Rüstung. Diese Jacke war furchtbar schwer, aber ich habe sie selbst bei Hitze anbehalten. Ich brauchte einen Panzer. Nicht am Drehort mit dem Team, aber in Gesprächen mit Produzenten.

 

Doris Dörrie schreibt
Foto: Isolde Ohlbaum/laif

ARTE Magazin 1985 wurde Ihr Film „Männer“ zum internationalen Überraschungshit: eine Komödie um zwei eitle Typen, die um eine Frau konkurrieren. Ein Statement zum Männerbild der Zeit?

Doris Dörrie Ja, aber der Film war auch politisch gemeint. Er handelt davon, wie Menschen alte Ideale aufgeben. Es ging um die Verwandlung der Hippies in die Neocons. Ein neuer Typus tauchte auf: der glatte Businessman, der eine Rolex trägt und eine Kreditkarte hat. Und die meisten Hippies fühlten sich plötzlich angezogen von Porsche und Anzug, von einem anderen Leben. Die Aufteilung der Welt in Kapitalisten und Nichtkapitalisten funktionierte auf einmal nicht mehr. Das habe ich sehr direkt mitbekommen durch Männer, mit denen ich in Wohngemeinschaften gelebt habe. Wie sie sich verrenkt haben, ihre alten Überzeugungen nicht so offensichtlich über Bord zu werfen, hat mich amüsiert.

ARTE Magazin Ist es so schwierig, eine Komödie zu drehen, wie immer alle sagen?

Doris Dörrie Schon. Von den Kulturkritikern bekommt man dafür nicht viele Blumen. Die Komödie wird traditionell unterschätzt. Und in der Komödie kann man sich nicht mit pseudointellektuellem Gerede retten: Entweder ist sie komisch oder nicht. Das Publikum ist hart: Wenn es nicht lacht, war es nicht lustig. Das ist die Brutalität im Herstellen von Komödie, und davor fürchten sich die meisten. Denn die Rache folgt auf dem Fuß: Ich habe es mir komisch gedacht, doch der Kinosaal schweigt. Das kann sehr bitter sein.

 

Schauspieler Ochsenknecht und Lauterbach in Dörries
„Männer“ mit Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht sahen 1985 mehr als sechs Millionen Zuschauer. Foto: picture alliance

ARTE Magazin Und wie viel Traurigkeit passt in die Komödie?

Doris Dörrie Für meinen Geschmack sehr viel. Das ist die alte Definition: Komödie ist Tragödie plus Zeit. Andersherum glaube ich auch, dass die Tragödie viel Komik verträgt. „Kirschblüten – Hanami“ etwa ist ein Film, der mit schweren Dingen umgeht, mit Tod und Verlust. Derartiges so leicht wie möglich zu erzählen, darum geht es mir. Damit man darin nicht untergeht, sondern ein wenig Trost findet. Ein Stück Leichtigkeit.

ARTE Magazin Der Film führt einen grantigen bayerischen Witwer, gespielt von Elmar Wepper, nach Japan. Weil seine Frau den Tanz Butoh liebte, tanzt er ihn im Park, schließlich vor dem Berg Fuji. Wie haben die Menschen dort auf Sie reagiert?

Doris Dörrie In dem Park in Tokio waren irrsinnig viele Menschen unterwegs. Die Reaktion war sehr japanisch: Alle nahmen genau wahr, was passierte, aber niemand ließ es sich anmerken. Beim Dreh vor dem Fuji hat das gesamte japanische Team geweint. Es ging allen ans Herz. Da gibt es keine kulturellen Unterschiede: Das Leiden ist das Leiden, der Schmerz ist der Schmerz.

Die Hippies fühlten sich plötzlich angezogen von Porsche und Anzug

Doris Dörrie, Regisseurin