Wie wollen wir wohnen?

Im 20. Jahrhundert träumte ganz Deutschland vom Einfamilienhaus. Heute steht der Traum aus ökologischen und ökonomischen Gründen auf dem Prüfstand. Über die Zukunft des Eigenheims.

Kindlich gemaltes Bild von einem Haus
Etwa drei Viertel der Deutschen und Franzosen träumen vom eigenen Haus. Doch das Konzept des Familienhäuschens gerät immer mehr in die Kritik, denn es steht für hohen Ressourcenverbrauch und überholte Rollenklischees.

Ein Haus ist nie einfach nur ein Haus. Im 20. Jahrhundert war das Einfamilienhaus der kollektive Traum einer Gesellschaft, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg buchstäblich neu aufbauen musste. Es mangelte an Wohnraum, an Geld und Essen, an Arbeitskraft sowieso. Nur Land war günstig zu haben. Kommunen wiesen in Deutschland großzügig Flächen zum Hausbau aus, und Bausparkassen halfen bei der Finanzierung. Wer es sich trotzdem nicht leisten konnte, nahm eine sogenannte Muskelhypothek auf und verpflichtete sich, den Hausbau in einem Wohngebiet für eine gewisse Stundenzahl mit der eigenen Arbeitskraft zu unterstützen. Hatte man die Stunden abgegolten, erhielt man ein Haus.

Auch im 21. Jahrhundert ist der Traum vom Eigenheim präsent. Das zeigt die ARTE-Dokumentation „Trautes Heim, Glück allein“, die nicht nur die Geschichte des Eigenheims in Deutschland nachzeichnet, sondern auch eine junge Familie bei der Erfüllung ihres Traums in Süddeutschland begleitet. Eben erst hat die Pandemie den Deutschen deutlich vor Augen gehalten, welche Vorzüge ein eigenes Grundstück samt Bebauung bietet: die Idylle am Stadtrand oder im Dorf, die Ruhe, der eigene Garten. 65 Prozent der Deutschen träumen noch heute davon, in einem Einfamilienhaus zu leben. Nur ist der Wunsch für viele in unerfüllbare Ferne gerückt. „Die aktuelle Weltlage macht das Bauen teuer und schwer kalkulierbar“, sagt Professor ­Marcus ­Menzl, Experte für die Soziologie der gebauten Umwelt an der Technischen Hochschule Lübeck. „Die Bodenpreise und Zinsen sind gestiegen, Lieferketten sind kompromittiert und es mangelt an Fachkräften.“

Doch auch der Mythos Eigenheim hat Risse bekommen: Stand er im 20. Jahrhundert noch für den ökonomischen Aufstieg , entwickelt sich das Einfamilienhaus heute mehr und mehr zum Symbol für einen klimaschädlichen Lebensstil. Denn die Wohnform ist nicht nachhaltig: Böden werden versiegelt, die Fläche durch die niedrige Bauweise nur ineffizient genutzt. Außerdem: „Im Einfamilienhaus ist der Wohnflächenverbrauch pro Kopf besonders hoch“, sagt Menzl. Vor allem, wenn die Kinder einmal das Haus verlassen haben, wohnten zwei Erwachsene auf meist rund 120 bis 200 Quadratmetern. Ein verschwenderischer Umgang mit dem raren Gut Wohnraum, der Mitte des 20. Jahrhunderts unvorstellbar schien.

Trautes Heim, Glück allein: Das Einfamilienhaus

Gesellschaftsdoku

Donnerstag, 30.3. — 21.05 Uhr
bis 28.9.26 in der Mediathek

Kindlich gemaltes Bild einer Familie mit Eigenheim und Auto

In den 1950er Jahren standen jedem Deutschen durchschnittlich 15 Quadratmeter zur Verfügung – heute sind es 47. Und auf dem Land sogar 51,4 Quadratmeter. Dass Eigenheime oft in Siedlungen gebaut werden, birgt ein weiteres Problem. Häufig gibt es dort keine Geschäfte, Schulen oder Arztpraxen, und die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist eher schlecht. Wer ein Eigenheim hat, braucht also ein Auto. Noch so ein Traum des 20. Jahrhunderts, der zum Alptraum geworden ist.

Was tun? Die Politik, früher Förderin des Eigenheimbaus, versucht jetzt, ihn einzuschränken. Die Bundesregierung hat angekündigt, bis 2030 den Flächenverbrauch auf unter 30 Hektar pro Tag zu reduzieren. Aktuell werden täglich noch 54 Hektar ­Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Das entspricht etwa 76 Fußballfeldern. Bis 2050 soll der Flächenverbrauch insgesamt bei null liegen.

„Ein schlichtes Verbot kann nie die Lösung sein“, sagt Menzl und fordert: „Man muss auch Alternativen schaffen.“ Und die müssen nicht einmal gebaut werden. Die Eigenheime, die während des Booms in den 1950er und 1960er Jahren gebaut worden sind, können dafür genutzt werden. „Wir müssen kreativ werden und diese Häuser für die heutige Nachfrage wieder attraktiv machen“, betont der Soziologe. Er ist überzeugt, dass in den kommenden Jahren viele dieser Häuser auf den Markt kommen werden, da die Generation der Erbauer langsam weicht und Kinder oder Enkel oft nicht selbst einziehen wollen.

Bei der Umgestaltung könne man sich an städtischen Wohnformen orientieren: Baugemeinschaften und Co-Living-Konstellationen seien gute Vorbilder, so Menzl. Ein Modell seien sogenannte Clusterwohnungen. Für diese Wohnungen werden die Grundrisse bestehender Häuser verändert, Wände entfernt oder versetzt. Es entstehen Mikroapartments mit eigenem Bad und einer Kochnische, vor allem aber große Gemeinschaftsbereiche. Man teilt sich Küche, Ess- und Wohnzimmer. Denkbar ist auch, so ein ganzes Haus in eine Art Haus-WG umzubauen. Dann kann man sogar einen Garten teilen. „Gerade für junge Familien kann das reizvoll sein“, sagt Menzl, „die Kinder können in einem Spielzimmer toben, die Erwachsenen die ­Hausarbeit untereinander aufteilen.“ Aber auch für Alleinstehende hat das Modell Vorteile: Man ist sozial eingebunden.

In den vergangenen Jahren sind zudem Tiny Houses in Mode gekommen, Kleinsthäuser von etwa 30 bis 50 Quadratmetern. „Viele Menschen wollen nachhaltiger wohnen und sind bereit, mit viel weniger Wohnraum klarzukommen“, konstatiert Menzl. Die deutsche Bürokratie macht es diesen Leuten allerdings schwer. Denn für Tiny Houses gelten die gleichen Standards wie für Einfamilienhäuser. Und die sind, wenn es etwa um Hausanschlüsse oder Fragen der Dämmung und Raumhöhe geht, in kleinen Häusern schwieriger einzuhalten. Die Bayerische Architektenkammer hat deshalb vorgeschlagen, eine neue Gebäudeklasse E (für Experiment) zu etablieren, um Innovationen im Wohnungsbau voranzutreiben. Menzl sieht darin für bestimmte Lagen großes Potenzial: Die Tiny Houses könnten auf den großen Grundstücken alter Einfamilienhäuser gebaut werden, Städte würden so nicht noch mehr in die Fläche wachsen und trotzdem mehr Wohnraum bieten.

Wir müssen kreativ werden und alte Häuser wieder attraktiv machen

Marcus Menzl, Soziologie-Professor

Donut-Effekt lässt Innenstädte ausbluten

Zum Teil müsse man aber auch gesamte Kommunen neu denken, gerade in Mobilitätsfragen, sagt Menzl. „Der Donut-Effekt setzt den Orten zu“, betont er. Gemeint ist, dass am Rand von Orten zwar Neubaugebiete entstehen, das Zentrum aber leer ist – wie bei einem Donut. „Der Einzelhandel stirbt, weil die Leute lieber neu bauen, als Häuser im Stadtkern zu erneuern, und vom Stadtrand aus dann lieber zu den großen Supermärkten an den Ausfallstraßen fahren“, erklärt Menzl. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen, indem man die Ortskerne attraktiv macht.

Kreative Ideen hierzu gibt es im ländlichen Raum: In Schleswig-Holstein setzen Kommunen beispielsweise auf „MarktTreffs“, multifunktionale Läden, in denen man Dinge für den täglichen Bedarf kaufen kann, aber zum Beispiel auch seine Post aufgeben oder zweimal wöchentlich einen Friseur besuchen kann. So entsteht ein sozialer Mittelpunkt im Ort, der die Versorgung der Bewohner sichert. Dann könne man beispielsweise die Häuser im Ortskern barrierefrei sanieren, um älteren Menschen zu ermöglichen, in der Gemeinde zu bleiben, auch wenn sie ihr Eigenheim aufgeben müssen, schlägt Menzl vor. „Die Kommunen müssen die Häuser, die sie haben, neu denken.“ Dazu gehöre auch, aus Ein­familien- Mehrfamilienhäuser zu machen. „Es braucht Wohnangebote für Menschen, die in der Gemeinde arbeiten, aber nicht die finanziellen Möglichkeiten für ein Haus haben“, fordert Menzl.

Die größte Aufgabe aber wird sein, die Menschen, die das Geld für und den Traum vom Eigenheim haben, davon zu überzeugen, ihn nicht zu verwirklichen. Stichworte: Eigentumsbildung, Lebensqualität und Status. Während es machbar sei, Leute davon zu überzeugen, dass sie auch mit einer Wohnung finanziell versorgt sind und darin gut leben können, sieht der Wohnsoziologe Menzl im Status ein wirkliches Problem: „Das Eigenheim ist ein Synonym für gesellschaftlichen Aufstieg. Man hat dafür als Familie Entbehrungen in Kauf genommen, gespart, gearbeitet – für viele steckt da ein Stück Lebenssinn drin.“

Zumal viele derjenigen, die heute bauen, selbst in Eigenheimen groß geworden sind. Jetzt wollen sie ihren Kindern dasselbe bieten. Menzl nennt das den „biografischen Zirkelschluss“. Am Ende ist es also vor allem der Mythos vom Eigenheim, der die nachhaltige Wohnwende erschwert. Es ist der Traum vom ewigen Wachstum und Wohlstand, den wir nur ungern aufgeben – auch wenn die Vernunft längst etwas anderes vorgibt. Ein Haus ist eben nie einfach nur ein Haus.