Unbeirrt unbequem

Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat sich nach vielfachen Anfeindungen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Ihre Texte provozieren jedoch wie eh und je.

Elfriede Jelinek Porträtfoto
Foto: Isolde Ohlbaum/laif

Im Jahr 2004 erhielt Elfriede Jelinek den Literaturnobelpreis. Es war eines der letzten Male, dass die österreichische Schriftstellerin in die Öffentlichkeit trat. Doch selbst bei der Preisverleihung in Stockholm wurde ihre Dankesrede nur per Videoaufzeichnung eingespielt. Dem Trubel um ihre Person konnte die Autorin damit nicht entgehen. Neben Glückwünschen erfuhr sie zum wiederholten Mal in ihrer Karriere vielerlei Kritik und Anfeindungen. ­Jelinek reagierte, indem sie Interviews und Auftritte fortan ablehnte. Und das, obwohl sie einst für ihre Lust an der Selbstinszenierung bekannt gewesen war. Wegen einer Angststörung sei es ihr nicht mehr möglich, unter vielen Menschen zu sein, erzählt die Autorin in dem Dokumentarfilm „­Elfriede ­Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“.

Wie nähert man sich einer derart zurückgezogenen Künstlerin? Regisseurin Claudia Müller gelang es, indem sie Jelineks Umgang mit Sprache in den Mittelpunkt ihres Films stellte: „Ich habe ihr von Anfang an gesagt, dass ich kein biografisches, sondern ein Werkporträt machen möchte. Sie war einverstanden und wir haben eng zusammengearbeitet“, sagt ­Müller im Gespräch mit dem ­ARTE ­Magazin. Die Regisseurin verknüpft ­Jelineks rhythmische Sprache mit historischen Ereignissen und Orten, die deren Werk prägten. Schneebedeckte Landschaften aus der Steiermark, in denen die Autorin als Kind viel Zeit verbrachte, verbinden sich auf diese Weise mit gesellschaftskritischen Passagen aus ihren Texten.

Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen

Dokumentarfilm

Montag, 13.5. — 22.10 Uhr
bis 11.6. in der Mediathek

EIN WUNDERKIND WIDERWILLEN

Ihre biografischen Erfahrungen bilden für Jelinek eine wichtige Inspirationsquelle. Hineingeboren in eine – wie sie schreibt – „kleinbürgerliche Familienhölle“, wird sie von einem psychisch labilen Vater und einer dominanten Mutter erzogen, die das einzige Kind zu einer Spitzenmusikerin machen will. Jelinek lernt Klavier, Blockflöte, Geige, Gitarre und Bratsche und beginnt 1960, mit 13 Jahren, eine Ausbildung zur Berufsmusikerin am Konservatorium der Stadt Wien. Sie hetzt von Probe zu Probe, quetscht sich als „sperrig behängter Falter“ mit ihren Instrumenten in die Straßenbahn. Eine Karriere als Konzertpianistin scheint vorgezeichnet. Doch dann kommt alles anders: Als Jugendliche erleidet -Jelinek mehrfach seelische Zusammenbrüche. Dass sie in dieser Zeit beginnt, Gedichte zu schreiben, ist kein Zufall. „Es war die einzige Kunstform, die meine Mutter nicht gefördert hat“, sagt die Autorin in Claudia Müllers Dokumentarfilm.

Bereits ihr Romandebüt „wir sind lockvögel baby!“ (1970), in dem Jelinek mit Witz und Ironie die Unterhaltungsindustrie seziert und dafür Fragmente aus Werbespots, Illustrierten oder Comics montiert, verschafft ihr große Aufmerksamkeit. Autobiografische Parallelen finden sich zwar vielfach in ihren Romanen, darunter „Die Klavierspielerin“ (1983), der von einer missbräuchlichen Mutter-Tochter-Beziehung erzählt. Aber Jelineks Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen, Gewalt und Verdrängung geht weit über die Reflexion ihrer eigenen Lebensgeschichte hinaus.

„Es sind universelle Themen, an denen sie sich abarbeitet. Sie hat sich immer gegen Rassismus eingesetzt, gegen die FPÖ, für die Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft“, sagt Claudia Müller. Insbesondere Jelineks Fundamentalkritik an der Geschichtsverleugnung der österreichischen Gesellschaft ließ sie bald zur Reizfigur werden. Einen Skandal löste 1985 die Uraufführung ihres Theaterstücks „Burgtheater“ aus, das von dem Opportunismus einer bekannten Schauspielerdynastie im Nationalsozialismus handelt. Das Boulevardblatt Kronen Zeitung und die rechtspopulistische Partei FPÖ attackierten die Autorin fortan als „Staatsfeindin“. Höhepunkt des inszenierten Kulturkampfes gegen Jelinek war eine Kampagne im Jahr 1995: „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk … oder Kunst und Kultur?“, stand in Anspielung auf linksliberale Intellektuelle sowie Politiker auf dem Plakat, das die rechtspopulistische FPÖ anlässlich der Wiener Gemeinderatswahlen verbreitete. Jelinek reagierte darauf mit mehreren temporären Aufführungsverboten, die sie für Österreich verhängte. Sie zog sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück.

Für Claudia Müllers Porträt ist Elfriede Jelinek dennoch aus der Deckung gekommen und hat der Regisseurin ein exklusives Interview gegeben, das über Off-Texte in den Film eingeflossen ist. Und auch ihre künstlerische Produktivität lässt nicht nach. Sie schrieb über die Macht der Bilder, als der Irakkrieg ausbrach, über die Wahl von Donald Trump sowie über die Situation geflüchteter Menschen vor Lampedusa. Sie brachte ein Stück über die Ibiza-Affäre auf die Bühne. Zuletzt positionierte sie sich auf ihrer Homepage zum Israel-Palästina-Konflikt. Elfriede Jelinek bezieht Stellung.

Ein Einbruch der äußeren Welt, den ich ansonsten lieber vermeide

Elfriede Jelinek, Schriftstellerin, über ihren Nobelpreis