Eigentlich ganz lustig

Ein Mann mit einigem Humor, der als Jurist Karriere machte: War Franz Kafka etwa ganz anders als sein bleischwerer Ruf?

Franz Kafka Illustration seines Gesichts
Illustration: Ewa KLOS/Agence Opale/Alamy Stock Photo

Wer an Franz Kafka (1883–1924) denkt, dem kommt Düsteres in den Sinn. Helden, die ohne Grund verhaftet werden. Menschen, die sich im Hamsterrad des Lebens sinnlos abmühen, mit unverständlichen Regeln hadern. Kein Wunder, war der Autor doch ein Einzelgänger mit problematischem Vater und kruden Tagträumen. Oder? ­Kafka, der große, singuläre Schriftsteller, galt stets als Fachmann fürs Verzweifeln. Dabei bemüht sich die Forschung seit Langem, auch andere Facetten seines Werks zu beleuchten – und den Schriftsteller sozusagen vom Image wegzubekommen, er sei zum Lachen in den Keller gegangen. Zu ­Kafkas Abgründen kommen relativierende Töne: schon, aber.

Kennen Sie Kafka?

Kulturdoku

Montag, 3.6. — 22.05 Uhr
ab 24.5. in der Mediathek

Das ist auch deswegen interessant, weil alles Kafka-­Verwandte derzeit eine regelrechte Renaissance erlebt. Es liegt zum einen daran, dass sich das Todesdatum des Autors zum hundertsten Mal jährt, was mit neuen Büchern, Ausstellungen, Serien und Filmen einhergeht. Das momentane Interesse findet aber selbst ­Reiner Stach ungewöhnlich, der sich als Kafka-­Biograf so intensiv wie wenige mit der Materie beschäftigt hat. Dass ­Kafka noch immer so gut funktioniert, liegt an dessen klarer Sprache, die nie auf historische Umstände verweist, glaubt Stach: „Seine Texte könnten auch vor 20 Jahren geschrieben worden sein.“ Sie stellen existenzielle Konflikte dar, die in jeder Kultur vorkommen, von der Einsamkeit bis zur Angst vor dem Tod. Hinzu kommt nun noch, dass unsere Welt selbst immer undurchsichtiger – man könnte sagen: kafkaesker – zu werden scheint. In Romanen wie „Der Prozess“ (1925) oder „Das Schloss“ (1926) überrollen den Helden Informationen wie eine Lawine, es ist unmöglich, zu ihrem Kern vorzudringen. Ähnlich überwältigt mag man sich heute mit Blick auf Welt- und Nachrichtenlage fühlen – es scheint, als renne Kafka offene Türen ein. Dass er zugleich die erlösende Wirkung des Humors zu schätzen wusste, ist kein Widerspruch.

 

Franz Kafka Zeichnungen 1923
Ohne Schnörkel: Die kleinen Zeichnungen hat Franz Kafka um 1923 in seinen Notizbüchern skizziert. Illustration: Fine Art Images/Heritage Images/Getty Images

Auch wenn das Geheimnisvolle und Ausweg­lose in ­Kafkas Werk vorherrscht, so ist es immer wieder durchsetzt von Ironie und Komik. Er selbst soll sich beim Lesen gelegentlich vor Lachen gebogen haben. Sein Witz fußt im Absurden, in einer Verschiebung des Gewohnten. Da purzeln Rechtsanwälte die Treppen hinunter, um einen unzufriedenen Klienten zu ermüden; Sachbearbeiter heulen und stampfen mit den Füßen auf wie Kinder, wenn man ihnen zu wenige Akten vorlegt. Und es ist ­Kafkas Beobachtungsgabe und seinem Radar für Floskeln geschuldet, dass das Lustige in der Mechanik des Alltags und des Pflichtgefühls verankert ist. In der kurzen Erzählung „Poseidon“ (1920) etwa sitzt der Meeresgott am Schreibtisch und rechnet. Wegen der aufwendigen Verwaltung seiner Gewässer ist er kaum je am Meer gewesen: „Er pflegte zu sagen, er warte damit bis zum Weltuntergang, dann werde sich wohl noch ein stiller Augenblick ergeben, wo er knapp vor dem Ende nach Durchsicht der letzten Rechnung noch schnell eine kleine Rundfahrt werde machen können.“

 

Zeichnung Franz Kafka 1923
Illustration: Fine Art Images/Heritage Images/Getty Images

VON DEN EXISTENZIALISTEN UMARMT

Kafka, der als Sohn einer deutschsprachigen jüdischen Familie den Großteil seines Lebens in Prag verbrachte, kannte das bürokratische Umfeld gut. Als Jurist arbeitete er für eine Versicherung, und zwar durchaus erfolgreich. Er war angesehen, wurde mit heiklen Fällen betraut. Trotzdem wollte er nichts als schreiben. Er veröffentlichte nur wenig, etwa die Erzählung „Die Verwandlung“ (1915). Nach seinem Tod gab sein Freund Max Brod, bekanntlich gegen Kakfas Willen, zahlreiche weitere Schriften heraus. Auch die Umwege, die das Werk nahm, haben das ernste Bild des Autors geprägt, glaubt Literaturwissenschaftler Reiner Stach. „Brod hat die Schriften religiös gedeutet, sodass man immer das ganz große philosophische Besteck geholt hat, wenn es um Kafka ging.“ Während seine Bücher in Nazi-Deutschland verboten waren, wurden sie in den USA und in Frankreich berühmt. Dort, so erklärt es Stach, glaubten die Existenzialisten, einen Geistesverwandten erkannt zu haben: Kafka wurde einsortiert mit Camus und Sartre. In der düster-philosophischen Färbung wurde er zum Welthit.

Es ist also eine späte Volte, wenn sich nun die Idee von Kafka als – Überraschung! – vielschichtigem Menschen etabliert. Der sogar manchmal Vergnügliches im Tagebuch notierte. Etwa, wie ihm im Italienurlaub vor Lachen die Grenadine durch die Nase schießt.

Der Prozess

Drama

Montag, 3.6. — 23.00 Uhr
bis 12.6. in der Mediathek