Genuss und Lifestyle
Food-Content boomt: Bilder von Essen generieren in den sozialen Medien mitunter mehr Likes als Selfies; Influencer werden als Hobbyköche auf TikTok und Instagram zu Stars. Unter dem Slogan „What I Eat in a Day“ geben immer mehr Menschen Einblicke darüber, was sie sich über den Tag hinweg einverleiben, und erzählen von Essgewohnheiten, Diäten und ihrem Umgang mit Lebensmitteln. Zunehmend positioniert man sich moralisch dazu, was auf den Tisch kommt. Veganismus ist auf dem Vormarsch: Laut Statistischem Bundesamt stieg die Produktion von Fleischersatzprodukten 2023 um 16,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hypes beschleunigen sich – was heute viral geht, ist morgen im Supermarkt ausverkauft. Unlängst erlangten Schokoladenkreationen aus Dubai große Aufmerksamkeit: Die Kombination von Pistaziencreme und knusprigem Engelshaar (Kadaif) wurde als Luxusprodukt inszeniert, die Preise explodierten. Als in den 1520ern die ersten Kakaopflanzen aus dem Aztekenreich nach Spanien kamen, wusste man noch wenig damit anzufangen. Erst als im 17. Jahrhundert die Idee aufkam, Zucker hinzuzufügen, war das neue Modegetränk des europäischen Adels geboren: die heiße Schokolade. Nicht nur, weil sie schmeckt – angeblich soll Kakao aphrodisierend wirken. Heute hat die Gourmetküche einen hohen Stellenwert, jährlich bangen Küchenchefs um die höchste Auszeichnung unter Feinschmeckern: Michelin-Sterne zur Bewertung ihrer Küchenleistung. Allen Trends zum Trotz gibt es eine Konstante: Gemeinsames Essen schmeckt immer noch am besten.
Nahrung und Nachhaltigkeit
Bereits im antiken Griechenland galt Mäßigung beim Essen als Zeichen zivilisierter Lebensweise. In mittelalterlichen Klöstern wurde saisonal, regional und ohne Verschwendung gewirtschaftet – eine Praxis, die heute als zukunftsweisend gilt. Denn unser globales Ernährungssystem steht massiv unter Druck: durch Klimawandel, Artensterben und Ressourcenknappheit. Allen voran die Tierhaltung verursacht hohe Treibhausgasemissionen und belastet Böden und Gewässer, während Monokulturen sowie Pestizide die Biodiversität schädigen. Doch es gibt nachhaltige Alternativen: Die 1980 in Italien gegründete Slow-Food-Bewegung fördert bewussten Konsum, Fairtrade–rojekte verbessern die Produktionsbedingungen im Globalen Süden und Initiativen wie „Too Good To Go“ unterstützen kreative Resteverwertung. Auch in der Gourmetküche gewinnt Nachhaltigkeit an Bedeutung: Spitzen-restaurants setzen vermehrt auf pflanzenbasierte Menüs oder das Nose-to-Tail-Prinzip, bei dem alle Teile eines Tiers für Gerichte verwertet werden.
Gemeinsames Speisen ist eines der ältesten Instrumente der Diplomatie. Der US-amerikanische Präsident Richard Nixon setzte bei seiner historischen Annäherung an China auf symbolträchtige Staatsbankette und den sicheren Umgang mit Stäbchen, während Helmut Kohl im pfälzischen Deidesheim beim Saumagen-Dinner Weltpolitik machte. Staaten investieren Millionen, um mit nationaler Küche Imagepflege zu betreiben. Doch Essen verbindet nicht nur. Wer das Brot kontrolliert, kontrolliert die Menschen – eine Einsicht, die Machthaber seit Jahrtausenden nutzen. Im antiken Rom sicherte Getreideverteilung Loyalität, während der Französischen Revolution verursachten Brotpreise Aufstände. Hunger trieb gesellschaftliche Umbrüche voran, etwa während der irischen Hungersnot im 19. Jahrhundert. Bis heute ist der Zugriff auf Nahrung hochpolitisch: Im Krieg wird er als Waffe eingesetzt, Staaten sichern sich Land und Ressourcen. Steigende Preise verschärfen die Not für diejenigen, die nicht genug haben. Das seit 1966 völkerrechtlich garantierte Recht auf Nahrung bleibt in diesen Fällen unerfüllt.
Verzehr und Religion
Die Maya nannten sich selbst „Maismenschen“, denn sie glaubten, die Götter hätten sie aus eben jenem Korn geschaffen, das ihr wichtigstes Lebensmittel war. Katholiken teilen bei der Eucharistiefeier Brot und Wein – sie stehen für Leib und Blut Christi. Im Judentum wiederum ist der Verzehr von Blut verboten, denn es gilt als Sitz der Seele. Ebenso geboten ist der Verzicht auf Schweinefleisch – auch weil es in der Hitze schneller verdirbt als andere Fleischsorten. Als der Prophet -Mohammed den Islam begründete, übernahm er jüdische Speisevorschriften – weshalb das Schwein auch Muslimen als unreines Nutztier gilt. Bis heute verbindet viele Weltreligionen das Ideal der Askese. In Europa bedeutete dies zunächst vor allem den zeitweiligen Verzicht auf Fleisch. Das machte vor allem Klosterbrüder kreativ: Die Zisterzienser entwickelten ausgeklügelte Wassersysteme, um die Fischzucht zu perfektionieren. Und im Schwabenland erfanden Mönche die Maultasche: Sie umhüllten Fleisch mit Nudelteig, um es vor Gott zu verbergen – der schwäbische Volksmund nennt die Teigtaschen auch „Herrgottsbscheißerle“.








