Botschaften der Ahnen

Die Shang glaubten an Orakel und entwickelten vor gut 3.200 Jahren die chinesische Schrift. Frauen führten in der Dynastie Heere an.

Fu Hao (Yi Zha, Spielszene) inspiziert ihre Truppen. Inzwischen gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse über Hunderte Shang-Frauen, die militärische Aufgaben bis in höchste Ränge wahrnahmen. Foto: Urban Canyons Ltd./ZDF

Von ihrer Existenz als Königsgemahlin und Kriegerin weiß man bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts. In den 1920ern schrieb ein chinesischer Autor sogar ein Theaterstück über Fu Hao, die Heerführerin aus der Bronzezeit. Als 1976 Fu Haos Grab entdeckt worden war und es wundersamerweise vor den üblichen Plünderungen verschont blieb, wirkte das wie das i-Tüpfelchen auf dieser Heldinnengeschichte, die mehr als 3.200 Jahre zurückreicht. 

Der König, an dessen Seite Fu Hao stand, hieß Wu Ding und war ein Herrscher der Shang, die wegen ihrer eigenen schriftlichen Überlieferungen als Chinas erste historisch gesicherte Dynastie gelten. Rund 700 Jahre bestand das Shang-Reich in Zentralchina, vom 18. bis zum 11. vorchristlichen Jahrhundert. Stets bedroht von Nachbarvölkern, gehörten fortwährende Waffengänge zum Regierungsgeschäft. Wie die ARTE-Dokumentation „Kriegerin und Königin: Chinas älteste Dynastie“ zeigt, waren die Kämpfe nicht den Männern vorbehalten. Fu Hao befehligte als Generalin ganze Shang-Armeen, das verraten sogenannte Orakelknochen. 

Als die ersten dieser Knochen – Brustpanzer von Schildkröten oder Schulterblätter von Nutztieren – um 1900 gefunden wurden, sei das eine Sensation gewesen, sagt der Archäologe Lothar von ­Falkenhausen, Professor an der University of California, Los Angeles (UCLA), im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Denn die Knochen-­Inschriften, frühe Vorformen heutiger chinesischer Schriftzeichen, deckten sich mit Texten über die Entstehungsgeschichte des Riesenreichs. Vor allem mit dem „Shiji“, den Aufzeichnungen des Chronisten ­Sima Qian, der in der frühen Han-Kaiserzeit Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. lebte – 1.000 Jahre nach dem Ende der Shang-Dynastie. Die Reihenfolge und Namen der Shang-Könige, alles habe übereingestimmt, so von ­Falkenhausen. Aber die Knochen hätten noch mehr preisgegeben, etwa über die Beziehungen der Shang zu benachbarten Völkern, Stämmen oder Staatsgebilden, von denen man zuvor nichts wusste, weil sie keine eigenen schriftlichen Quellen hinterlassen hatten.

 

Foto: Urban Canyons Ltd./ZDF

Kriegerin und Königin: Chinas älteste Dynastie

Geschichtsdoku

Samstag, 20.8. — 20.15 Uhr

bis 17.11. in der Mediathek

Der ursprüngliche Zweck der Orakelknochen war für die Shang und ihre Regenten ein ritueller. Sie dienten der Befragung der königlichen Vorfahren, die als Götter verehrt wurden. Aus Bruchstellen, die durch Erhitzen entstanden, meinte man deren Botschaften ermitteln zu können. Die Interpretation oblag dem König. Der hatte – bei allem Respekt vor dem Ahnenkult – vermutlich einen gewissen Spielraum bei der Deutung. Die Orakel waren nicht der einzige Bezug der Shang zu ihren Verwandten im Jenseits. Belegt sind Opfergaben – Tiere, aber auch Menschen ließen dafür hundertfach ihr Leben.

So viel über Herrscher und Oberschicht der Shang bekannt war, so wenig wusste man zunächst über anderes. „Chinesische Archäologen sind fasziniert von Schätzen, die man in Gräbern finden kann, und haben sich lange darauf konzentriert“, erläutert der UCLA-Forscher. Allmählich wachse aber nun die Kenntnis über den bronzezeitlichen Siedlungsbau, Werkstätten und das Ausmaß der handwerklichen Produktion, vor allem in der Hauptstadt der Shang, Yinxu, nahe der heutigen Millionenmetropole Anyang. In ihrer Epoche war schon die Shang-­Kapitale gewaltig: Auf einem riesigen Areal lebten und arbeiteten viele Zehntausend Menschen.

Im Umgang mit dem Werkstoff Bronze waren die Shang meisterlich, wie eine große Zahl kunstvoll gegossener Funde zeigt – Ritualgefäße etwa mit feinem Zierrat und Reliefs. Was es von ihnen nicht gibt, sind bildliche Zeugnisse etwa ihrer Könige. „Die Darstellung von Menschen war in der Shang-Zeit tabu“, erklärt Experte ­Lothar von ­Falkenhausen. Gibt es überhaupt menschliche Figuren, seien das stereotyp gestaltete Dienende. „Wichtige Personen oder Götter wurden nicht gezeigt“, das sei ein prägender Unterschied zwischen dem bronzezeitlichen China und anderen Kulturen, etwa im Orient oder im Mittelmeerraum. Auch wie Fu Hao aussah, ist unbekannt. Eine moderne Statue vor ihrer Grabstelle in Yinxu ist pure bildhauerische Fantasie.

Die Darstellung von Menschen war bei den Shang tabu

Lothar von Falkenhausen, Archäologe