Flexible Fauna

Menschliche Einflüsse bedrohen den Lebensraum vieler Arten. Der Klimawandel verschärft die Lage. Anpassung kann Tieren das Überleben sichern – die Strategien sind dabei so unterschiedlich wie verblüffend.

Gesichtsausschnitt und Auge eines Reptils
Foto: Passion Pictures / ARTE F

Charles Darwin (1809–1882) verdankt seine Evolutionstheorie den Galapagos-Inseln. Dort gewonnene Erkenntnisse lieferten die Initialzündung für sein Hauptwerk „Über die Entstehung der Arten“ von 1859. Auch fast 200 Jahre nach ­Darwins Forschungsreise wartet der ecuadorianische Pazifik-­Archipel noch mit Überraschungen für die ­Wissenschaft auf, wie die ARTE-Dokumentationsreihe „Tierische (R)Evolution“ zeigt.

Internationale Forschungsteams untersuchen dort die Fähigkeit von Meerechsen, ihre Körpergröße dem Nahrungsangebot anzupassen. Die drachenartige Leguanart lebt nur auf den Galapagos-Inseln und ist zugleich die einzige weltweit, die sich von Algen am Grund des Ozeans ernährt. Erwärmen sich die Gewässer um die Eilande durch das immer heftiger auftretende Klima-­Phänomen El Niño, wird ihr bevorzugtes Grünfutter knapp. Dann können die Körper der Tiere schrumpfen – Knochen für Knochen, millimeterweise um bis zu 20 Prozent. Die Tiere sparen damit Energie und kommen mit weniger Nahrung aus. Flaut El Niño ab und die Algen sprießen wieder, wachsen jene Meerechsen, die sich den mageren Zeiten erfolgreich angepasst und überlebt haben, zu ihrer alten Größe heran.

Dieser Ziehharmonika-Effekt ist eine besonders ungewöhnliche Reaktion auf klimatische Umwälzungen. Die Veränderung von Körperproportionen, das „Shapeshifting“, findet sich aber auch bei anderen Arten, australischen Papageien etwa. Ihre Schnäbel, mit denen sie die Körpertemperatur regulieren können, werden größer – parallel zur im Durchschnitt immer wärmeren Lebensumgebung. Gleiches gilt für die Schwanzlänge bei Waldmäusen. „In einer wärmeren Welt bekommen Tiere größere Extremitäten, Schwänze, Ohren und Flügel“, sagt der Biologe und Autor ­Bernhard ­Kegel im Gespräch mit dem ­ARTE ­Magazin. „Alles, womit sie im Wärmeaustausch mit ihrer Umgebung stehen, wächst.“ Sie folgen damit dem Bauplan der Allen­schen Regel aus der Tiergeografie. Wie die Evolutionstheorie bereits im 19. Jahrhundert entstanden, besagt sie, dass Tiere derselben oder verwandter Arten in wärmeren Gefilden größere Körperanhänge haben, weil sie sich darüber Kühlung verschaffen.

Für seinen Band „Die Natur der Zukunft“ (DuMont, 2021) hat sich Bernhard Kegel mit tierischen Strategien beschäftigt, die den Arten das Überleben sichern sollen. Und darum geht es nicht erst, seit die Menschheit durch das massenhafte Freisetzen von Treibhausgasen den Planeten aufheizt. Der gravierende Verlust an Biodiversität sei zunächst eine Folge der Landnutzung gewesen. Der Lebensraum für Tiere schwindet oder wird belastet, etwa durch Biozide. „Artensterben und Klimawandel bewegen sich aufeinander zu, es ist eine Zwillingskrise“, so der Experte.

Tierische (R)Evolution

5-tlg. Dokureihe

Ab Samstag, 13.1. —
20.15 Uhr
bis 10.7. in der Mediathek

AN LAND POLWÄRTS, IM MEER IN DIE TIEFE

Eine der am besten untersuchten Auswirkungen des Klimawandels auf Tiere ist laut Kegel die Verschiebung der Verbreitungsgebiete, international als „Range Shift“ bezeichnet. „Tiere versuchen auszuweichen und weiter in ihrem bevorzugten Temperaturbereich zu leben.“ Diese Reaktion auf klimatische Veränderungen sei durch fossile Funde aus früheren Wärmephasen bekannt. „An Land geht es polwärts, in den Meeren in tieferes Wasser – oder auch Richtung Pole“, erläutert der Biologe. Die „große Unbekannte“ sind für ihn dabei gebietsfremde Arten. Etwa solche, die bislang nur auf urbanen „Wärmeinseln“ leben, wie in unseren Breiten Papageienvögel oder andere Exoten. Steigen die Temperaturen, könnten sie sich weiter verbreiten. Mit Blick auf diese Spezies gebe es allerdings ein Umdenken, meint ­Kegel, auch bei ihm selbst: „Mittlerweile ist man froh, wenn es Arten gibt, die an bestimmten Standorten noch existieren können – fast zweitrangig, ob es einheimische sind oder nicht.“ Offen bleibe, was das für das Funktionieren von Ökosystemen bedeutet: „Wie stabil und leistungsfähig sind Tier- und Pflanzen­gesellschaften, die es vorher so nirgends gegeben hat?“

Dabei zeigen sich auch bestehende ökologische Ketten gestört. Zugvögel wie der Trauerschnäpper beispielsweise verpassen das Raupenfutter für ihren Nachwuchs, weil Insekten – begünstigt durch milde Witterung – früher ins Jahr starten. Von „Mismatch“ sprechen Wissenschaftler, wenn die Natur aus dem Rhythmus kommt. Das aber geschieht immer häufiger. Zu häufig, ist zu befürchten, selbst für eine Evolution im Zeitraffer.