Ganz großes Kino

Färberlein Skandale, Innovation, Erfolg – der venezianische Maler Jacopo Tintoretto schöpfte aus dem Vollen.

L'Erezione del serpente in Bronzo von Jacopo Robusti (Tintoretto), 1575. Foto: Antonio Quattrone / Electa / Mondadori Portfolio via Getty Images
L'Erezione del serpente in Bronzo von Jacopo Robusti (Tintoretto), 1575. Foto: Antonio Quattrone / Electa / Mondadori Portfolio via Getty Images

Ein Sonntag war der 29. September 1518 nicht. Aber wenn man den waltenden Sternen Günstiges nachsagen möchte, dann kam Jacopo Robusti durchaus als Glückskind zur Welt. Der Vater ein erfolgreicher Tuchfärber, die Heimatstadt Venedig voller Kaufleute, Handelsherren und Bankiers, die für ein Wirtschaftswachstum sorgten, von dem man anderswo in Europa nur träumen konnte. Dass das reiche Konstantinopel an die Osmanen gefallen war, lag ja schon etwas zurück, und die Seeschlachten, in denen auch Zypern und Kreta verloren gehen würden, noch in einiger Ferne. Die Gesellschaft war in der Republik Venedig, der mächtigen Wirtschaftsmacht an der Adria, verlässlich von oben nach unten geordnet, die Lebensverhältnisse auskömmlich, der Bedarf an schönen Dingen riesengroß – beste Voraussetzungen für eine steile Malerkarriere.

Die Sendung auf Arte

Die Kulturdoku „Tintoretto und das neue Venedig“ gibt es am Sonntag 8.12.2019 um 15:15 Uhr bei ARTE und bis 6.1.2020 in der Mediathek.

Und weil man sich von Rom nicht allzu viel reinreden ließ, tat sich auch die Gegenreformation noch eine Weile schwer, bevor sie die freigeistigen Künstler und Intellektuellen wieder einfing. Vorerst wurde debattiert und gestritten in den venezianischen Palästen. Und wenn man auf der einen Kanalseite der Lehre des strengen Mönchs aus Deutschland durchaus etwas abgewinnen konnte, dann wollte man auf der anderen kein Iota von der alten Rechtgläubigkeit abzweigen. Da brauchte es nur noch den Maler, der zum Aufruhr der Geister Bilder liefern würde. Il Tintoretto hat seine Chance sofort erkannt.

Etwas abfällig hatten sie den kleingeratenen jungen Mann „das Färberlein“ genannt. Doch Jacopo Robusti wusste längst, wie man sich Ansehen verschafft. Er war gerade 20, als er seine erste eigene Werkstatt aufmachte. Ein künstlerisches Start-up, das es in ganz kurzer Zeit zu Stadt- und Landesruhm brachte. Der tüchtige Skandal gehörte natürlich auch dazu. Den Stadtheiligen San Marco lässt der Maler wie einen Greifvogel vom Himmel fallen, um den unschuldigen Sklaven vor dem Märtyrertod zu retten. So viel zuckende Körper und aufgebrachte Gemüter, das war schon heftig. Und das gebildete Publikum erkannte den gut kalkulierten Verstoß gegen das Maß- und Regelwerk der Renaissance sogleich. Mit dem Pathos aufgewühlter Seelen, wie es Tintorettos ewiger Konkurrent Tizian kultivierte, wäre der dynamischen Epoche nicht gedient. Davon war er überzeugt.

Genau wie Hollywood – nur gemalt

Noch heute steht man in der „Accademia“, dem Kunstmuseum in Venedig, und denkt: Vielleicht hätte der kleine Mann ja, wenn das Medium schon im Gebrauch gewesen wäre, große Filme gedreht. Gewaltige Leinwandmärchen, wie sie Steven Spielberg, James Cameron oder Ridley Scott erzählt haben. Und wenn Hollywood in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Studios in der Lagune unterhalten hätte, wäre er bestimmt der meistbeschäftigte Regisseur gewesen. Aber auch als Maler hat es Tintoretto weit gebracht. 154 Quadratmeter „Paradies“ im noblen Dogenpalast, 56 monumentale Gemälde für die Scuola San Rocco – das muss man erst mal schaffen, wenn die Arme nicht so weit reichen!

Das Kammerspiel, nein, dafür war Tintoretto nicht zuständig. Unter der ganz großen Bühne hat er es nicht gemacht. Dort war er Sonderklasse. Wie er seine Figuren gibt, als seien sie geradewegs beim Kampfspiel oder beim Liebesspiel, auf der Flucht oder beim Hilfseinsatz in letzter Sekunde, auf dem Höhepunkt der Erregung oder beim entscheidenden Stichwort angekommen, das ist ohne Vergleich. Und kein anderer seiner Generation war als Künstler-Unternehmer so erfolgreich, bediente Kirche, Stadtadel und Bürgertum so elegant, mühelos und mit sicherem Gespür für die Ausstattungsbedürfnisse einer stolzen Zeit. Dass man mit kunsttheoretischen Skrupeln nur scheitern würde, war Tintoretto von Werkbeginn an klar. Er würde sein anspruchsvolles Publikum nur gewinnen, wenn er ihm furiose Geschichten vorsetzte.

Wirklich aufregend, wie jetzt nur noch die Aufregung zählt. Seit der Antike hat die Kunst doch immerzu erhabene Ruhe, Schönheits-Trost, profane Erlösung versprechen wollen. Bei Tintoretto ist das Menschheits-Drama nie an seinem Ende. Und wenn er ein Bild zu aller Zufriedenheit fertig gemalt hat, dann ist es, wie wenn der Vorhang gefallen wäre. Kleine Pause. Umbau. Und beim nächsten Bild geht der Vorhang wieder auf.