Mit Teufel und Engel im Leib

Gefeiert für ihre Stimme und doch kein Publikumsliebling: Sopranistin ­Maria ­Callas galt als umstrittene Operndiva, die sich geschickt zu inszenieren wusste. 

Operndiva Maria Callas im New Yorker Taxi
Foto: Erio Piccagliani/Teatro alla Scala

Als hätte sie gerade den Oscar und den Emmy gewonnen, weltweit den Spitzenplatz der Charts erobert und hätte Millionen von Followern: ­Maria ­Callas wird zu ihrem 100. Geburtstag am 2. Dezember grenzenlos gefeiert. Warum eigentlich? Die amerikanisch-griechische Sopranistin war ein Star der Oper, aber nur der Oper – angeblich ein vom Aussterben bedrohtes Genre. Sie war eine Sängerin mit drei Oktaven Stimmumfang. Aber kaum eine Stimme musste und muss sich üblere Vergleiche gefallen lassen als ihre: sauer, kantig, eckig, gurgelnd. Sie war eine Perfektionistin, die angeblich jede Partitur besser kannte als der Dirigent. Perfekt aber war sie nie. Immer wurde jenes „wobble“ in ihrer Stimme moniert, ein unkontrolliertes Tremolo, und der hörbare Registerbruch, den sie trotz allen Feilens nie ausgleichen konnte. Sie war eine Ikone, eine Schönheit jedoch keineswegs. „Sie ist überhaupt nicht hübsch“, schrieb der Schauspieler ­Richard ­Burton in sein Tagebuch. Maria ­Callas war zwar Mittelpunkt der Medien, ein Publikumsliebling aber nie. Sie wurde gefeiert als grandiose Sängerdarstellerin. Doch es existieren fast keine Filmmitschnitte, die das beweisen. 

Die großen Musikrivalen: Callas vs. Tebaldi

Dokumentation

Sonntag, 3.12.
— 17.40 Uhr

bis 29.2.2024 in der
Mediathek

Warum also ist sie gegenwärtig und ihre größte Konkurrentin ­Renata ­Tebaldi (1922–2004) so gut wie vergessen? ­Arturo ­Toscanini (1867–1957), dem berühmtesten Dirigenten seiner Zeit, wurde fälschlicherweise unterstellt, er habe ­Tebaldis „voce d’angelo“, ihre Engelsstimme, gepriesen. Geglaubt und verbreitet wurde das, weil es passte. Engel gelten, obwohl sie im Alten Testament männliche Namen tragen, als geschlechtslos, sie sind makellos und erhaben über die Niederungen der Menschlichkeit. Das war ­Tebaldi meistens, ­Callas nie, weder als Künstlerin noch als Privatperson, und sie wollte es nicht sein. Ingeborg Bachmann (1926–1973) geriet 1956 durch Zufall in eine „Traviata“-Probe in der Scala. Fassungslos schrieb sie: „Es gibt da eine Sängerin, die heißt ­Maria ­Callas und singt und spielt, als hätte sie einige Teufel und Engel im Leib.“ Obwohl die Partie der Violetta das Etikett der Opferrolle trägt, hatte ­Bachmann den Eindruck: Dort stand „ein gefährlicher Mensch“ auf der Bühne. Und ­Maria ­Callas war gefährlich. Mitte 20 war sie erst, als sie einem südamerikanischen Intendanten drohte, ihm einen Briefbeschwerer an den Schädel zu werfen. Sie war die erste Sängerin, die auf der Opernbühne die Faust ballte, die erste, die ein Engagement an der New Yorker Metropolitan Opera ablehnte, weil ihr die Inszenierung zu spießig war. 

Die Opferrolle lag ihr nie, aber sie beherrschte auch die. In einem Interview, das Tom Volf seiner Dokumentation „­Maria by ­Callas“ (2017) zugrunde legte, stellte sie sich als Opfer dar. Bei diesem Fernsehauftritt war ­Maria ­Callas 47 Jahre alt, ihre Karriere war vorbei und auch ihre Liaison mit Aristoteles ­Onassis, damals einer der reichsten Männer weltweit. Der junge Filmemacher ging ihr auf den Leim. Tatsächlich war sie äußerst wehrhaft. Sie prozessierte gegen Gegner und Verleumder und gewann fast immer. 

SIE PROZESSIERTE – UND GEWANN FAST IMMER

Ihr Durchbruch im Dezember 1953 an der Mailänder Scala war ihr mit der monströsesten Partie der Opernliteratur gelungen: als Medea – eine Mehrfachmörderin, die sogar ihre eigenen Kinder umbrachte. Bewirken, nicht gefallen zählte für sie. Der US-Komponist ­Leonard ­Bernstein, der sie „die größte Künstlerin des 20. Jahrhunderts“ nannte, war der Ansicht, Schönheit sei nur ein Köder, mit dem die Musik die Rezipienten einfange, um sie dann mit dem Wesentlichen zu konfrontieren. ­Callas führte vor, wie das aussah, wie sich das anhörte: Ihre Kunst war eine Hymne auf das Risiko. Maria ­Callas konfrontierte das Opernpublikum mit Unerwartetem, um es aus seiner Bequemlichkeit zu reißen. Der Ausdruck war ihr wichtiger als der perfekte Ton. Heute, im Zeitalter der Fälschbarkeit jeder Wahrheit, ist Perfektion überall und jederzeit herstellbar. Das Perfekte ist tot und damit kalt. Es ist Fehlerhaftigkeit, die uns Gestalten der Vergangenheit, sogar der Antike, nahezubringen vermag; sie heizen uns ein, indem sie lügen und betrügen, scheitern, verzweifeln. Wir glühen für sie, wenn sie vor Eifersucht den Verstand verlieren und aus Leidenschaft jede Beherrschung. Diese Zerrissenheit zeichnete Maria Callas und zeichnete sie aus. Deshalb ist sie uns so nah. Deshalb lässt sie auch heute niemanden kalt.

Die Autorin Eva Gesine Baur, Kulturhistorikerin und Schriftstellerin
Ihre Bücher besitzen meist musikgeschichtlichen Hintergrund. Zuletzt erschien „Maria Callas. Die Stimme der Leidenschaft“ bei C.H. Beck.

Maria Callas singt Opernarien Pariser Oper, 1958

Konzertaufzeichnung

Sonntag, 3.12.
— 16.55 Uhr

bis 1.3.2024 in der
Mediathek