Wie wollen wir zahlen?

Die Deutschen pflegen ein inniges Verhältnis zu ihrem Bargeld. Das Angebot an digitalen Zahlsystemen aus Europa wächst dennoch. Mit dem klaren Ziel: mehr Unabhängigkeit von den USA.

Illustration zeigt ein Smartphone, davor aufgetürmte Geldmünzen.
Bargeld hat für viele Menschen in Deutschland nach wie vor einen hohen Stellenwert, deutlich stärker als in Ländern, in denen längst fast alles mit Karte oder dem Smartphone bezahlt wird. Das erklärt vielleicht, warum das Projekt „Digitaler Euro“ schon jetzt hitzige Debatten auslöst, obwohl die meisten hierzulande kaum davon gehört haben. Foto: Philotheus Nisch

Wer Kinder hat oder sich an sein erstes eigenes Konto erinnert, kennt vielleicht dieses spezifische Gefühl: Das mühsam zusammengesammelte Taschengeld wandert von der Spardose zur Bank – und plötzlich sind Scheine und Münzen nur noch Zahlen im Sparbuch oder, heute, in einer App. Ist das Geld wirklich noch da? Ist es dort genauso sicher wie im Sparschwein? Bargeld hat für viele Menschen in Deutschland nach wie vor einen hohen Stellenwert, deutlich stärker als in Ländern, in denen längst fast alles mit Karte oder dem Smartphone bezahlt wird. Das erklärt vielleicht, warum das Projekt „Digitaler Euro“ schon jetzt hitzige Debatten auslöst, obwohl die meisten hierzulande kaum davon gehört haben. In Frankfurt am Main, der Bankenmetropole, gab es sogar schon Demonstrationen gegen die Idee eines digitalen Zentralbankgeldes. Besonders in Querdenker-­Kreisen ist die Sorge groß, dadurch zum gläsernen Bürger zu werden und dass Bargeld letztlich abgeschafft werden könnte, was allerdings niemand plant.

Die fabelhafte Geschichte des Geldes

4-tlg. Dokureihe

ab Samstag, 29.11. — 20.15 Uhr
bis 27.7.26 auf arte.tv 

Es ist nicht zu übersehen: Die Art, wie wir bezahlen, wird zunehmend politisch. Als der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) den sogenannten digitalen Euro 2021 beschlossen hat, ging es zunächst darum, ein schnelles und sicheres gesetzliches Zahlungsmittel auf digitaler Basis zu schaffen, das Bargeld und Bankkonten ergänzt. Bislang gilt: Wer in Europa mit Karte oder Smartphone bezahlt, nutzt Geschäftsbankengeld (Giral­geld), das nicht von der Europäischen Zentralbank herausgegeben wird wie Bargeld. Das will die EZB ändern: Bis 2027, womöglich aber erst 2029, soll die virtuelle Geldbörse starten. Einzelhändler sollen dann verpflichtet sein, den digitalen Euro anzunehmen. Jeder EU-Bürger kann ihn nutzen – muss aber nicht. Der digitale Euro soll Scheine und Münzen ergänzen, nicht ersetzen; bei kleinen Zahlungen soll Anonymität gewahrt bleiben.

Spätestens seit der abermaligen Wahl von US-Präsident Donald Trump rückt ein weiteres Argument für den digitalen Euro in den Vordergrund: Der digitale Euro soll Europas Souveränität im Zahlungsverkehr sichern. Bislang sind europäische Kartenzahlungen weitgehend von US-Anbietern abhängig: Die beiden Kreditkartenunternehmen ­Mastercard und ­Visa wickeln grenzüberschreitende Zahlungen ab, der US-Dienstleister ­Paypal dominiert den deutschen Onlinehandel mit 30 Millionen Kunden – Deutschland ist nach den USA der zweitwichtigste Markt für den Konzern aus San José in Kalifornien.

Ein Muster aus Geldmünzen.
Wer in Europa mit Karte oder Smartphone bezahlt, nutzt Geschäftsbankengeld (Giral­geld), das nicht von der Europäischen Zentralbank herausgegeben wird wie Bargeld. Das will die EZB ändern: Bis 2027, womöglich aber erst 2029, soll die virtuelle Geldbörse starten. Einzelhändler sollen dann verpflichtet sein, den digitalen Euro anzunehmen. Foto: Sebastian Mast/Connected Archives

Eigentlich aber, so kritisieren es wiederum viele Banken, ist es nicht die Aufgabe der Notenbank, sich im Zahlungsverkehr zu betätigen. Sie sagen, die EZB kümmert sich um ein Problem, das es eigentlich gar nicht gibt, denn private Anbieter könnten diese Aufgabe auch übernehmen. Die EZB treibt den digitalen Euro also auch deshalb voran, weil bislang mehrere Versuche der Banken scheiterten, eine europäische Paypal-­Alternative aufzubauen. Aufgegeben haben sie aber nicht: 2020 gründeten Geldhäuser aus Deutschland, Belgien, Frankreich und den Niederlanden die European Payments Initiative (EPI), die das System ­Wero entwickelt hat.

Zu viel Marktmacht für US-Systeme

Wero zählt schon heute über 40 Millionen Kunden in Frankreich, Belgien und Deutschland. Bislang lassen sich nur Beträge zwischen Konten verschicken – ohne IBAN, nur mit Telefonnummer oder Mailadresse. Noch in diesem Jahr soll Wero in den E-Commerce starten, 2026 an Ladenkassen verfügbar sein. Bislang ist Wero zwar noch ebenso unbekannt wie der digitale Euro. Nach einem Paypal-Sicherheitsvorfall im September, bei dem die deutschen Banken und Sparkassen nach einer Welle betrügerischer Lastschriften Paypal-Transaktionen in Milliardenhöhe stoppen mussten, stieg das Google-Suchinteresse nach dem europäischen Paypal-­Rivalen aber deutlich an; und auch der Handelsverband Deutschland (HDE) unterstützt ausdrücklich die europäische Alternative. US-Systeme hätten aus Sicht des Handels zu viel Marktmacht und verursachten hohe Abwicklungskosten, so der HDE. Viele Einzelhändler hoffen auf eine günstigere Alternative zu ­Paypal. Sie müsste zumindest so günstig sein, dass sich der Aufwand für sie lohnt, ein neues Bezahlverfahren einzubinden, bei dem man noch nicht weiß, ob es überhaupt genutzt wird – das klassische Henne-Ei-­Problem.

Tatsächlich ist Wero nicht der erste Versuch, Paypals Dominanz zu brechen – nachdem die deutsche Bankenbranche das Thema E-Commerce vor 20 Jahren komplett verschlafen hatte und ­Paypal dadurch groß werden konnte. Projekte wie ­Paydirekt oder ­Giropay scheiterten trotz hoher Investitionen an Halbherzigkeit, mangelnder Beteiligung oder anderen Managementfehlern. Deutsche Banken und Sparkassen gaben einen hohen dreistelligen Millionenbetrag für diese Vorhaben aus, ohne nennenswerte Erfolge.

 

 

Trumps Politik erfordert Umdenken

In der bisherigen, regelbasierten und arbeitsteiligen Weltwirtschaft war diese Abhängigkeit weitgehend unproblematisch: Die USA spezialisierten sich auf Zahlungsdienste und viele andere digitale Angebote, Deutschland eben auf Maschinenbau oder Autos. Doch seit Trump dieses Modell infrage stellt und seine früheren Handelspartner mit Zöllen und anderen Drohungen überzieht, wächst die Sorge, die USA könnten ihre Zahlungsdienste politisch einschränken – so wie ­Visa und ­Mastercard Russland nach dem Überfall auf die Ukraine ausgeschlossen haben.

Ein solcher Schritt wäre zwar nicht wahrscheinlich, schließlich hätten die US-Dienstleister kein Interesse daran; unter Trump ist jedoch nichts auszuschließen. In der Praxis würde das Europas Zahlungsverkehr massiv treffen: Reisende könnten keine Flugtickets oder Hotels mehr buchen, Händler keine Waren versenden. Überweisungen über das europäische Sepa-­System und Bargeld blieben zwar möglich, doch der Zahlungsfluss im Alltag käme ins Stocken. „Diese strategische Unabhängigkeit erscheint angesichts der unberechenbaren geopolitischen Lage wichtiger denn je“, sagt Bundesbankvorstand ­Burkhard Balz, der regelmäßig für das Projekt des digitalen Euro wirbt.

Anders als in früheren Jahren kann ­Wero nun aber womöglich vom zunehmenden Wunsch vieler Bürger nach digitaler Souveränität und mehr Datenschutz profitieren. Denn auch wenn Paypal stets beteuert, man halte europäische Gesetze zum Datenschutz ein, bleibt es ein US-Unternehmen, dessen Datenzugriff im Zweifel US-amerikanischem Recht unterliegt. Der Cloud Act erlaubt US-Behörden, auf Daten zuzugreifen, auch wenn diese im Ausland liegen. Ob europäische Tochterfirmen beteiligt sind oder nicht, spielt keine Rolle. Und wer will schon, dass demnächst die US-Heimatschutzbehörde Zugriff auf die eigenen Zahlungsdaten bekommt?

Gerade vor diesem Hintergrund erscheint es gar nicht so spleenig, dass viele Deutsche leidenschaftlich am Bargeld festhalten – auch wenn es umständlich ist. Wer mit Karte oder App zahlt, hinterlässt Spuren, die ausgewertet werden können, von wem auch immer, warum auch immer. Bargeld bedeutet Anonymität und individuelle Freiheit in einer digitalisierten Welt, deren Machtstrukturen sich derzeit so sehr ändern wie noch nie in den vergangenen Jahrzehnten. Man muss daher kein Querdenker sein, um auch den digitalen Euro kritisch zu sehen. Aber wer Wert auf Freiheit legt, tut wahrscheinlich gut daran, Bargeld aktiv zu nutzen – selbst wenn es nur darum geht, beim Bäcker die Brötchen oder den Kaffee auch mal bar zu bezahlen.

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