Ganz schön haarig

Frisiert auf dem Kopf, inszeniert in der Kunst oder frei wuchernd als politisches Statement: Haare tragen Botschaften. Was bedeutet welches Styling?

Illustration von Amy Winehouse und einem Mann mit Afro.
Ob als politisches Statement, als Körperschmuck oder sprichwörtlich in der Suppe: Haare sind allgegenwärtig. Illustration: Silke Werzinger

Haar-Idole

David Bowie, Amy Winehouse und Grace Jones haben eines gemeinsam: Sie sind berühmt für ihre ausgefallenen Frisuren. Die Feuer-mähne in Bowies Ziggy-Stardust-Phase, die toupierte Hochsteckfrisur der britischen Soul-Musikerin oder der androgyne Kurzhaarschnitt der Popsängerin – die Haarpracht der Stars wurde zur Marke mit Wiedererkennungswert. Das spiegelt sich auch in den Summen, die Sammler bereit sind, für eine Strähne ihres Idols auszugeben: Zu den teuersten gehören neben John F. Kennedys letztem Haarbüschel (4.160 Euro), den Locken von Marilyn Monroe (40.000 Euro) und Beethovens wallendem Haar (7.300 Euro) auch Justin Biebers für einen guten Zweck in einer Talkshow versteigerte Strähne (41.000 Euro) und Elvis Presleys Schmalztolle, die seinem Friseur mit satten 115.000 Euro einen guten Nebenverdienst einspielte. Auch John Lennons Haare wurden teuer verkauft: Der Beatles-Sänger setzte 1969 mit Künstlerin Yoko Ono ein Zeichen für Pazifismus – sie ließen im friedlichen Protest gegen den Vietnamkrieg öffentlichkeitswirksam ihre Haare wachsen.

Symbolkraft von Haaren

Dass Kraft im Schopf steckt, lehrt schon das Alte Testament: Als dem unbezwingbaren Simson von den Philistern die lange Mähne gestutzt wird, verliert er seine Superkräfte. Auch Kinderbuch-Heldin Pippi Langstrumpf mit den feuerroten, der Schwerkraft trotzenden Zöpfen stemmt ihr Pferd mühelos. Im Mittelalter hingegen bezichtigte man rothaarige Frauen der schwarzen Magie – und verbrannte sie nicht selten als Hexen auf dem Scheiterhaufen. Etwas milder traf es nach dem Zweiten Weltkrieg Französinnen, die mit deutschen Besatzern kollaboriert hatten: Zur Strafe wurden sie kahl geschoren – ihre Glatze galt fortan als Stigma des Verrats. Resistenz wiederum bewies -Angela Davis in den 1970ern mit ihrer Haarpracht: Die Black-Panther-Aktivistin trug ihre krausen Locken offen und unbehandelt. Damit widersetzte sie sich dem weißen Schönheitsideal vom glatten, glänzenden Haar, dem seinerzeit viele schwarze Frauen mithilfe schädlicher Chemikalien oder Perücken zu entsprechen versuchten. Der Afro wurde zum Symbol des schwarzen Widerstands und -Davis zur rebellischen Stilikone.

Hairy

Dokumentarfilm

bis 14.2.26  auf arte.tv 

Illustration von Hinterkopf eines Mannes, der Haarausfall hat.
Illustration: Silke Werzinger für ARTE Magazin

Haare und Schönheitsideale

Schon in der Antike galt volles Haar als Inbegriff von Schönheit – und als Symbol für Status, Vitalität und sogar als Sitz der Seele. Körperpflegetrends wie Waxing sind ebenfalls keine Erfindung der Moderne, ihre Wurzeln reichen bis ins Alte Ägypten zurück. Heute prallen zwei Lager aufeinander: Die einen kämpfen um ihre verlorene Haarpracht, die anderen gegen jeden Stoppel. Besonders Männer leiden unter der berüchtigten „Mönchsglatze“, bei der sich am Hinterkopf das Haar lichtet, der Haarkranz aber wie ein Relikt aus alten Zeiten weiterwächst. Hunderttausende reisen deshalb in die Türkei, das als Mekka für Haartransplantationen gilt. Auch Bärte oder Brusthaare werden dort optimiert. Auf Social Media wird eine Istanbuler Fluggesellschaft deswegen als „Turkish Hairlines“ aufs Korn genommen. Zugleich ist Haarentfernung mittels Wachs und Laser gefragt: Glatte Haut gilt als Zeichen von Pflege und Ästhetik. Doch auch dieser Trend wird zunehmend kritisch betrachtet – manche Frauen lassen ihre Körperhaare bewusst wachsen, um gegen patriarchale Schönheitsnormen zu protestieren.

Illustration von der Mona Lisa mit Bart.
Illustration: Silke Werzinger für ARTE Magazin

Haare in der Kunst

Auch Künstler frisieren Köpfe: Sei es wallend und golden wie in Sandro Botticellis „Geburt der Venus“ (1485/1486) oder kahlgeschoren wie die Schweizer Gegenwartskünstlerin Manon. Allemal können Haare – oder deren Nichtvorhandensein – als künstlerisches Statement und zum Selbstausdruck in Szene gesetzt werden. Dazu zählen selbstverständlich auch Barthaare: Man denke nur an den großen, gezwirbelten Schnurrbart von Salvador Dalí, ohne den der spanische Künstler womöglich kaum wiederzuerkennen wäre. Auch andere Kunstschaffende spielen mit der Ausdruckskraft von Gesichtsbehaarung – etwa Marcel Duchamp in seinem Kunstwerk „L.H.O.O.Q.“, einem der bekanntesten Readymades, wie Alltags- oder Naturgegenstände genannt werden, die Kunst werden, indem man sie als solche deklariert. Das Werk entstand 1919 in der Zeit des Dadaismus und ist eine überarbeitete Reproduktion von Leonardo da Vincis weltberühmtem Gemälde „Mona Lisa“ (1503), wobei Duchamp der Dargestellten als Parodie mit Bleistift einen Schnurrbart und einen Spitzbart am Kinn hinzufügte.

Illustration von zwei Punks mit Irokese.
Illustration: Silke Werzinger für ARTE Magazin

Haare für die Rebellion

Frisuren sind mehr als bloßes modisches Beiwerk – sie können provozieren oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Subkultur zeigen. Der sogenannte Bubikopf bei Frauen galt in den 1920er Jahren als Symbol der Emanzipation, die kahlen Köpfe der Skinheads in den 1960er Jahren als Ausdruck von maskuliner Härte und Abgrenzung gegenüber der Hippiebewegung. In den 1970er Jahren wiederum waren die bunten Irokesen der Punks wohl das Radikalste, was man sich frisurentechnisch vorstellen konnte – eine stachelige Kampfansage an das Spießertum. Mittlerweile sind viele einst rebellische Haarschnitte zu Trends geworden. Dennoch können Frisuren heute noch Debatten auslösen – vor allem, wenn es um Fragen kultureller Aneignung geht. Ein Beispiel sind Dreadlocks bei weißen Menschen. Fest in afrokaribischen Traditionen verankert und vor allem aus der Rastafari-Kultur stammend, stehen die verfilzten Haarsträhnen ursprünglich für Spiritualität und kulturelle Identität. Wird diese Bedeutung ignoriert oder kommerzialisiert, kann das als respektlos und verletzend empfunden werden.

E-Paper Banner