»Ich bin ein Geschichtenerzähler«

Der Titel seines Regiedebüts „Wilde Maus“ erinnert nicht ohne Grund an durchgedrehte Nagetiere. Kabarettist Josef Hader über männlichen Narzissmus, das Scheitern und die Notwendigkeit der Selbstentblößung.

Josef Hader, Regisseur, Porträt
Eine rosa getönte Brille würde ­Josef ­Hader vermutlich nicht aufsetzen – weich gezeichnet ist sein Blick auf die Welt nämlich nicht. Foto: Lukas Beck

Als „totale Überforderung“ habe er seine Dreifachrolle als Drehbuchautor, Hauptdarsteller und Regisseur in dem Kinofilm „Wilde Maus“ empfunden, erzählt Josef Hader. Allerdings lächelt er dabei auf eine Weise, die klar macht: Überforderung ist Teil seiner Existenz als Künstler. Tatsächlich ist der 59-Jährige niemand, der sich schonen würde. Bei seinen Bühnenauftritten als Kabarettist geht er stets ans Limit, aktuell in seinem vielgelobten Programm „­Hader on Ice“. Als Schauspieler gilt er seit seinem Durchbruch mit „Indien“ (1993) und vor allem seit den preisgekrönten Verfilmungen der Brenner-Krimis von Wolf Haas als gefragter Charakterdarsteller.

arte magazin Herr Hader, könnte es sein, dass Sie gerne alles selbst machen – siehe „Wilde Maus“?
Josef Hader Ich genieße beim Drehen vor allem die Intensität der Zusammenarbeit. Man trinkt in der Früh mit den Leuten vom Licht Kaffee, und selbst in den größten Stressmomenten arbeitet das Team freundlich und konzentriert miteinander. Es ist ja nicht so, dass man als Regisseur alles alleine macht. Der Vorteil ist aber, dass man sich die Leute aussuchen darf, mit denen man arbeitet.

arte magazin „Wilde Maus“ zeigt, wie ein Mann mittleren Alters erst den Job und dann die Frau verliert und daraufhin auf eher klägliche Weise Amok läuft. Ist der Mann Ihnen eigentlich sympathisch?
Josef Hader Ich finde, Hauptfiguren dürfen nicht zu sympathisch sein. Im Kino ist es immer gut, wenn das Publikum jemanden hat, mit dem es sich identifizieren kann. Aber es sollte eine Figur sein, die herausfordert. Um die man sich auch mal Sorgen macht. Das ist eine gute Möglichkeit, dramatische Spannung zu erzeugen. Also: In vielerlei Hinsicht ist die Hauptfigur, der Musikkritiker ­Georg Endl, mir nicht sympathisch. Wo ich mich am meisten von ihm unterscheide, ist, dass ich ein guter Improvisator bin. Wenn mich ein Schicksalsschlag ereilt, dann denke ich sofort: Okay, was sind die Vorteile?

arte magazin Der Film handelt auch vom Abdriften in die Bedeutungslosigkeit. Leiden Ihrer Erfahrung nach Männer mehr darunter als Frauen?
Josef Hader Unbedingt. Frauen gehen ihr Leben oft klüger an und setzen nicht alles auf ein Pferd. Ich glaube, Männer tun oft alles für ihre Karriere, während das Privatleben nebenbei mitläuft. Und dann ist eines Tages die Karriere zu Ende und zu Hause sitzt eine fremde Familie, mit der sie sich nie beschäftigt haben.

Wilde Maus

Tragikomödie

TV Mittwoch, 17.11. — 20.15 Uhr 

Josef Hader, Wilde Maus, Regisseur, Film
Selbstironie pur: Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs sind Josef Haders Spezialität: Hier in seiner ersten Regiearbeit „Wilde Maus“ (2017), in der er die Hauptrolle spielt. Foto: Wega Filmproduktionsges.m.b.h

arte magazin Sie karikieren in dem Film ein gediegenes bürgerliches Milieu, bei dem der Fisch keinesfalls aus Aquakultur sein darf: Kennen Sie den Impuls, alles richtig machen zu wollen, von sich auch?
Josef Hader Klar, auch ich verhalte mich so, wie es mir ohnehin gefällt, verkaufe das aber als gute Tat: Ich esse sehr wenig Fleisch und ich fliege äußerst ungern. Also posaune ich groß hinaus, wie wenig Fleisch ich esse und dass ich von Wien mit dem Zug nach Berlin fahre, obwohl beides in Wahrheit keine Opfer für mich sind.

arte magazin Im Film wird der Journalist Georg Endl nach 25 Jahren wegrationalisiert, weil er zu teuer ist. Geht das noch, in Würde im Berufsleben zu altern?
Josef Hader Ich kann dazu nicht viel sagen, denn ich habe das Glück, dass ich meine Arbeit selbst gestalten kann. Viele Journalisten, die ich kenne, schreiben einfach weiter. Aber sie bekommen halt viel weniger bezahlt.

arte magazin Und die Angst vor dem sozialen Abstieg sitzt immer im Nacken?
Josef Hader Der Mittelstand hat ja nicht ohne Grund Angst. Gewisse Sicherheiten, wie sie meine Generation noch kannte, bröckeln immer mehr weg. Wenn ich die Situation der jungen Leute heute mit meiner Lage früher vergleiche, dann weht da ein viel rauerer Wind. Ich weiß nicht, ob ich heutzutage noch eine Chance hätte, von dem Bauernhof, auf dem ich aufgewachsen bin, weg­zukommen.

arte magazin Gab es jemanden, der Sie gefördert hat?
Josef Hader Ich bin aufs Internat gegangen, weil die einen Werbesonntag bei uns in der Pfarrei gemacht haben mit Theater und Musik. Die haben mich quasi mit Kultur eingekauft. Danach war für mich klar, dass ich zum Studieren nach Wien gehen würde. Ich wollte nach der Matura nicht irgendwo bei der Kreissparkasse arbeiten, sondern in der Stadt ins Theater gehen und amateurhaft Kabarett machen. Meine Eltern haben das nicht sehr unterstützt. Aber sie hatten auch nichts dagegen, weil es finanziell für sie kein großes Opfer bedeutet hat. Es gab damals staatliche Hilfen, die Kindern aus nicht so reichen Familien eine gute Ausbildung ermöglicht hat. Ich bekam einen Freifahrtschein für ganz Wien und ein monatliches ­Stipendium.

Ein gewisser Mangel an Selbstachtung ist wichtig, um gut zu spielen

Josef Hader, Kabarettist
Josef Hader, Kabarettist, Regisseur, Film, Kino
Josef Hader in „Silentium“ (2004) von Wolfgang Murnberger. Foto: United Archives_picture alliance

arte magazin Anders als bei vielen anderen Kabarettisten geht es bei Ihnen fast nie um Politik. Warum eigentlich nicht?
Josef Hader Das ist nicht mein Feld. Auf Österreichisch würde man sagen: Da ist mir zu viel G’scheitln dabei. Ich fühle mich nicht wohl in der Rolle desjenigen, der oben steht und vorgibt, er wüsste besser, wie es läuft.

arte magazin Ihr Humor ist nicht ohne Tragik und Melancholie zu haben.
Josef Hader Eigentlich geht es ums Scheitern. Meine Form von Kabarett kommt aus dem Volkstheater, da geht es immer um menschliche Abgründe, um Unzulänglichkeiten. Ich bin eher ein Geschichtenerzähler.

arte magazin Auf der Bühne, und auch in „Wilde Maus“, scheuen Sie vor keiner Peinlichkeit und Selbstent­blößung zurück. Fällt Ihnen das schwer?
Josef Hader Ein gewisser Mangel an Selbstachtung ist wichtig, um gut zu spielen. Ich meine damit nicht, dass man sich als Person nicht achtet, aber dass man ohne Rücksicht auf Eitelkeiten und private Umstände spielt, um eine möglichst beeindruckende Performance abzuliefern. In dieser Hinsicht bin ich gerne gewissenlos.

arte magazin Ist das Publikum für Sie eher Zielscheibe oder Verbündeter?
Josef Hader Eher eine Art Gegenspieler. Das gilt vor allem fürs Solokabarett. Weil es keine anderen Schauspieler gibt, sind es die Zuschauer, die mitgestalten, sie entscheiden auch darüber, wie der Abend wird: ob sie einen emporheben oder niederdrücken, sodass man sich dagegen wehren muss.

arte magazin Sie haben mal gesagt: Jeder hat das Publikum, das er verdient. Was für eines haben Sie?
Josef Hader Ich bin ein bisschen ein Gemischtwarenhandel. Jetzt, beim neuen Programm „Hader on Ice“, kommen Leute in meinem Alter, die über sich selber lachen. Und junge Leute, die über ihre Eltern lachen. Das ist sehr angenehm.

arte magazin Was ist die größte Falle beim Älterwerden als Kabarettist?
Josef Hader Die Gefahr ist, dass man sich selbst immer ernster nimmt und irgendwann die Leichtigkeit verliert. Es gibt aber Ausnahmen wie Dieter Hildebrand – der war auf der Bühne auch mit 80 Jahren noch jung.

arte magazin Es gibt ja gerade viele Diskussionen darüber, was man sagen darf und was nicht.
Josef Hader Ich bin absolut dafür und bemühe mich im Privatleben darum, darüber nachzudenken, wie man etwas formuliert. Sprache ändert sich ja ohnehin dauernd. Auf der Bühne ist es ein wenig komplizierter: Da spiele ich einen alten, weißen Mann …

arte magazin … mit Ansichten, die nicht Ihre sind?
Josef Hader Und ich sage Dinge, die aus dem Kontext gerissen sicherlich problematisch wären. Allerdings wird meine Figur so heruntergerockt – da kann am Ende eigentlich niemand mehr denken, das sei ich. Zum Glück, denn ich habe ja Interesse daran, nicht mit denjenigen verwechselt zu werden, die ich karikiere.

Zur Person

Josef Hader, Kabarettist und Schauspieler
Der Sohn einer Bauernfamilie, Jahrgang 1962, ist nicht nur der bekannteste österreichische Kabarettist, sondern auch Schauspieler (preisgekrönt u. a. für die Brenner-Krimis), Autor und Regisseur. Aktuell ist er mit „Hader on Ice“ auf Tournee.

Nah dran

Jenny Hoch, Chefredakteurin
Im Schwarzen Café, einer Institution im Berliner Westen, bestellt Josef Hader erst mal einen doppelten Espresso. Vorher mag er nicht reden, es ist ja noch früh am Morgen. Dafür ist er dann ein zugewandter und bescheidener Interviewpartner, der über sich selbst lachen kann.